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Die Entfremdung der Entfremdung

Der Künstler aus Rochsburg ist mit seiner neuen Ausstellung zurück in Hartha. Auf seinen Fotos ist nichts, wie es scheint.

Von Marvin Graewert
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Wiegand Sturm bei der Vernissage in Hartha: Seine Kamera hat er immer dabei.
Wiegand Sturm bei der Vernissage in Hartha: Seine Kamera hat er immer dabei. © Dietmar Thomas

Hartha. Wiegand Sturm steht vor einem Foto, das die Beine einer Frau zeigt. Zumindest könnten es die Beine einer Frau sein – wirklich erkennen lässt sich das nicht. „Manch einer würde sagen, das ist aber verwackelt“, scherzt Sturm. Tatsächlich sieht es aus wie eines dieser Fotos, wo man beim in die Tasche stecken, aus Versehen auf den Auslöser gekommen ist. Doch statt im Papierkorb ist das Foto in der Kunstgalerie der Stadtbibliothek Hartha gelandet.

Der Künstler und Fotograf ist gerade auf dieses Bild besonders stolz: „Schauen Sie sich nur die haarscharfen Linien an.“ Wiegand Sturm streicht ganz behutsam über die verwischten Streifen, die ineinander verlaufen. 

Auf den zweiten Blick könnte es nämlich auch ein feingezeichnetes Aquarell sein. Das ist Sturms Konzept: Seine Fotos sind so verfremdet, dass sich ohne Erklärung des Künstlers das eigentliche Motiv gar nicht mehr erkennen lässt. „Das ist gerade meine Absicht: In jedem Motiv soll etwas Geheimnisvolles mitschwingen.“

Für den Rochsburger Künstler ist es bereits seine zweite Ausstellung in der Stadtbibliothek Hartha. Schon in den 90er Jahren schmückten seine entfremdeten Fotos die Wände. In seiner aktuellen Ausstellung sind die Fotos noch ein ganzes Stück abstrakter. 

Das liegt schon allein daran, dass modernen Bildbearbeitungsprogramme die Verfremdung von Fotografien viel einfach geworden ist. Doch Sturm versteht sein Handwerk von Grund auf und hat schon zu Schwarz-Weiß-Zeiten seine Aufnahmen im Fotolabor manipuliert. Mit dem Einsatz von Photoshop konnte er den Hang zum Surrealen auf die Spitze treiben .

Allerdings ist in seiner Ausstellung nicht alles manipuliert, nur weil es so scheint. Die bis zur Unkenntlichkeit bearbeiteten Fotos reihen sich an Aufnahmen, die einfach nur aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel fotografiert wurden: Zum Beispiel ist es eine Wasserspiegelung oder der Blick durch ein historisches, besonders gewelltes Glas, das einen Kirchensaal zu einem außergewöhnlichen Ort werden lässt. 

„Kein Mensch würde auf die Idee kommen, so etwas zu malen“, erklärt Sturm. „So was entsteht nur durch die Entfremdung der Entfremdung. Das macht für mich den Reiz aus.“

Für den Fotoreporter sind seine Kunstprojekte das perfekte „Gegengewicht“ zu seinen sonst so realistischen Pressefotos. Die passenden Motive dafür findet Sturm überall: Wer mit dem Fotografen unterwegs ist, muss damit rechnen, dass ihn ein kleines Details in den Bann ziehen kann. 

Bis er das perfekte Foto geschossen hat, nimmt er seine Welt dann nur noch durch seinen Kamerasucher wahr. In Hartha begeistert ihn der Froschbrunnen. Wer weiß? Vielleicht wird die Aufnahme Teil seiner nächsten Ausstellung. Die Frage ist nur, ob sich der Brunnen dann noch identifizieren lässt.

Bis April ist diese surreale Auswahl von Wiegand Sturm noch in der Harthaer Stadtbibliothek zu sehen.

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