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Die Frau mit der Glaskugel

Als Sabine Zinnecker den Verband „Meißner Hochland“ übernahm, galt er als notleidend. Heute steht er glänzend da. 

Von Jürgen Müller
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Ein Leben für das Wasser: Sabine Zinnecker, die Diplom-Ingenieurin für Wasserwirtschaft, war mehr als zwei Jahrzehnte Geschäftsführerin des Zweckverbandes „Meißner Hochland“. Der galt einst als „notleidend“, steht inzwischen glänzend da. Sabine Zinnecker
Ein Leben für das Wasser: Sabine Zinnecker, die Diplom-Ingenieurin für Wasserwirtschaft, war mehr als zwei Jahrzehnte Geschäftsführerin des Zweckverbandes „Meißner Hochland“. Der galt einst als „notleidend“, steht inzwischen glänzend da. Sabine Zinnecker © Claudia Hübschmann

Nossen. Es ist Zeit zu gehen. Sabine Zinnecker räumt ihren Schreibtisch im Zweckverband „Meißner Hochland“ mit Sitz in Raußlitz. Mehr als 20 Jahre war sie hier die Geschäftsführerin. Den Abschied sieht sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Es ist sicher selten, dass jemand von sich sagt, jeden Tag mit Freude auf Arbeit zu gehen. Bei mir war es so. Klar, Acht-Stunden-Tage hatte ich hier nicht. Aber ich will mich nicht beklagen. Die Arbeit hat mir immer sehr viel Spaß gemach“, sagt sie. Andererseits freut sie sich auf den Ruhestand, kann sich nun mehr ihrem Mann Peter, mit dem sie seit 43 Jahren verheiratet und der seit zwei Jahren im Ruhestand ist, dem Haus und Garten in Niederau, den Kindern und Enkeln widmen.

Dennoch: Ein Abschied von jetzt auf gleich ist es nicht. Bis Ende April wird sie noch zwei Tage pro Woche in Raußlitz sein, Dinge erledigen, die sie schon immer machen wollte, aber nie dazu kam: das Archiv aufzuräumen, beispielsweise. Und ihren Nachfolger einarbeiten. Thomas Käseberg heißt er, ist 32 Jahre jung, in Oschatz geboren, in Riesa aufgewachsen und wie Sabine Zinnecker Diplom-Ingenieur für Wasserwirtschaft. Bald auch mit Doktortitel. Seine Dissertation ist fertig.

Die Not war groß

Sabine Zinnecker hinterlässt ein gut bestelltes Feld, von dem ihr Nachfolger die Ernte einfahren kann. Käseberg übernimmt einen kleinen, aber intakten und effizienten Verband. Das war nicht immer so. Als ihn Sabine Zinnecker im Dezember 1997 als Geschäftsführerin übernahm, galt der Verband als „notleidend“. Im Verbandsgebiet, das die Gemeinde Käbschütztal sowie die ehemals selbstständigen Gemeinden Ketzerbachtal, Heynitz und Leuben-Schleinitz umfasst, gab es 30 Wasseranlagen. Die Wasserqualität war schlecht, riesige Investitionen standen an. „Das Gebiet war, was die Wasserversorgung betraf, ein weißer Fleck, ein Flickenteppich. In vielen Ortsteilen wurden von den Gemeinden oder LPG’s eigene kleine Wasserversorgungsanlagen betrieben. Keiner der umliegenden Verbände wollte uns übernehmen. So wurde schließlich ein eigener Verband gegründet“, erinnert sich die scheidende Geschäftsführerin.

Das „notleidend“ wurde vom Fluch zum Segen. Denn dadurch bekam der Verband 90 Prozent Fördermittel, konnte so insgesamt 20 Millionen Euro investieren. Heute sind 99 Prozent aller Grundstücke an die zentrale Wasserversorgung angeschlossen, es gibt 2 610 Hausanschlüsse. Wurden einst 9 400 Einwohner vom Verband mit Trinkwasser versorgt, sind es heute wegen des Bevölkerungsrückganges noch rund 7 900. Dennoch ist der Wasserpreis nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Betrug der nach der Wende umgerechnet rund 2,45 Euro netto pro Kubikmeter, sind es heute 1,65 Euro. „Die Investitionen machen sich bezahlt, aber auch der geringe Personalaufwand“, sagt Sabine Zinnecker. Im Verband sind lediglich sechs Leute beschäftigt.

Sabine Zinnecker stammt aus Kleinmachnow bei Berlin, kam durch das Studium an der TU Dresden nach Sachsen. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann Peter kennen. Nach dem Studium bekamen beide Arbeit in Schwerin. Und nicht nur das, sondern auch eine Wohnung. Das war damals wie in Fünfer im Lotto. Dennoch blieben sie nicht im Norden. „Mein Mann ist sehr bodenständig, wollte zurück in die Heimat“, sagt sie. Nach zwei Jahren der Umzug. Heute lebt das Paar in Niederau.

Preise bleiben stabil

Ihr ganzes Leben war Sabine Zinnecker mit der Wasserwirtschaft beschäftigt, in Planungsbüros, bei der WAB in Coswig, dann im Zweckverband. Auf ihrem Schreibtisch steht eine Glaskugel. Blickt sie in diese, wenn es um die künftigen Wasserpreise geht? „Klar“, sagt sie und lacht. „Der Blick in die Kugel sagt mir, dass unsere Preise auch in den nächsten Jahren stabil bleiben werden.“ Mit der Glaskugel hat das freilich nichts zu tun, sondern damit, dass die Anlagen neu sind, in absehbarer Zeit nicht ersetzt werden müssen. Eine Wasserleitung muss schließlich 80 Jahre halten. Zu Gute kommt den Kunden auch, dass in der Satzung des Verbandes verankert ist, keine Gewinne zu erzielen. „Das sind wir unseren Kunden schuldig. Wasser ist eine Daseinsvorsorge. Unsere Kunden können sich anders als bei Strom oder Gas ihren Versorger nicht aussuchen“, sagt sie. Mit ihrem Wasserpreis liegen die Raußlitzer im unteren Drittel im Landkreis Meißen. Andere Verbände verlangen pro Kubikmeter zwischen 2,20 und 2,40 Euro.

Manches wird Sabine Zinnecker künftig fehlen. Beispielsweise die Rituale. So frühstücken die Mitarbeiter jeden Tag gemeinsam. Mittwochs gibt es Bockwurst, donnerstags Fischbrötchen. „Das dient nicht nur der Kommunikation, sondern auch dem Arbeitsklima. Es ist nicht nur wichtig, dass wir sehr gutes fachliches Personal haben, es muss auch menschlich stimmen“, sagt sie.

Wird ihr nicht etwas fehlen ab Mai, hat sie Bedenken, dass ihr die Decke auf den Kopf fällt, wenn sie den ganzen Tag zu Hause ist?„Ach, überhaupt nicht“, sagt sie. Als Erstes wolle sie sich ein E-Bike kaufen und dann mit ihrem Mann Radtouren unternehmen. „Ich bin kulturell und politisch sehr interessiert, wir haben einen großen Freundeskreis“, sagt sie. Der erste kulturelle Höhepunkt wartet schon auf die beiden. Ihre Kollegen haben ihr zum Abschied zwei Karten für „Schwanensee“ in der Semperoper geschenkt.

Der Neue: Thomas Käseberg wurde in Oschatz geboren, wuchs in Riesa auf.
Der Neue: Thomas Käseberg wurde in Oschatz geboren, wuchs in Riesa auf. © Claudia Hübschmann