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Wenn der Strompreis Sprünge macht

Langfristige Lieferverträge, wie sie die Schmiedeberger Gießerei hat, funktionieren. Doch wer kurzfristig Strom kaufen muss, erlebt böse Überraschungen.

Von Franz Herz
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Funken fliegen beim Abstich am Schmelzofen in der Schmiedeberger Gießerei. Um das Eisen zu erhitzen, wird viel Strom verbraucht, und der ist momentan überteuert.
Funken fliegen beim Abstich am Schmelzofen in der Schmiedeberger Gießerei. Um das Eisen zu erhitzen, wird viel Strom verbraucht, und der ist momentan überteuert. © Egbert Kamprath

Holger Kappelt, Geschäftsführer der Schmiedeberger Gießerei GmbH, war am Montag unterwegs nach Stuttgart zu einem schwierigen Kundengespräch, wie er sie zurzeit oft führt. Er muss über Preise verhandeln, weil sein Unternehmen durch die enorm gestiegenen Energiekosten unter Druck steht.

Der größte Stromverbraucher im Osterzgebirge

Die Schmiedeberger Gießerei, ein Unternehmen der Dihag-Gruppe, verbraucht mit ihren Elektro-Schmelzöfen im Jahr rund 29 Gigawattstunden Strom. Das ist ungefähr die Energiemenge, wie sie 6.000 Vier-Personenhaushalte benötigen, die in Einfamilienhäusern leben. Das Schmiedeberger Unternehmen ist damit der größte Stromverbraucher im Osterzgebirge.

Langfristige Verträge sichern 80 Prozent des Bedarfs

Die Gießerei hat über die Dihag-Gruppe langfristige Verträge abgeschlossen, die im Schnitt 80 Prozent des Strombedarfs absichern, berichtet Kappelt. Das reicht in Zeiten mit wenig Aufträgen. Den Rest kauft der Betrieb an der Strombörse ein. Aber jetzt spielen die Preise an der Strombörse verrückt. Das spürt nicht nur die Gießerei.

Ein Allzeithoch, das den gesamten Welthandel betrifft

„Die Preisentwicklung auf dem Energiemarkt, wie sie seit dem Frühsommer 2021 zu beobachten ist, gab es in diesem Maß noch nie. Es handelt sich um ein Allzeithoch, das den gesamten Welthandel betrifft“, berichtet Nora Weinhold, Pressesprecherin bei Sachsenenergie. Das Unternehmen ist sowohl Strom- als auch Gasversorger. Bei beiden spielen die Preise verrückt.

Hohe Energiekosten schwächen den Industriestandort

Die Gießerei versucht, ihre steigenden Kosten an die Kunden weiterzureichen. Aber dazu gehören schwierige Verhandlungen wie am Montag in Stuttgart. Wenn die Kosten für die Energie zu hoch sind, kommt die Gießerei gegenüber der Konkurrenz in anderen Ländern ins Hintertreffen. „Die haben nicht diese hohen Kosten“, sagt der Geschäftsführer. Sollten die Preise so hoch bleiben, müsste die Gießerei die Produktion zurückfahren. Das würde zuerst die Kunden treffen, die länger auf ihre Lieferungen warten müssen. Es könnte aber auch den Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge haben. Kappelt sieht hier die deutsche Energiepolitik kritisch. „Wenn wir die eigene Produktion von Strom zurückfahren und uns davon abhängig machen, aus dem Ausland zuzukaufen, schwächen wir damit unseren Industriestandort“, sagt er.

Ein Mix von Ursachen treibt die Preise

Die Preiserhöhung auf dem Energiemarkt geht teilweise auf die wirtschaftlichen Turbulenzen infolge der Corona-Pandemie zurück. Erst haben sowohl Energieerzeuger als auch die Industrieunternehmen auf der Verbraucherseite Kapazitäten zurückgefahren. Dann hat die Industrieproduktion schneller als erwartet wieder angezogen, während die Energielieferanten weltweit nicht hinterhergekommen sind. Auch werden beispielsweise Flüssiggaslieferungen aus den USA bevorzugt auf den asiatischen Markt verkauft, wo derzeit ebenfalls die Nachfrage hoch ist. Und in Europa waren die Gasspeicher nach dem langen Winter 2020/21 geleert, erklärt Sachsenenergie-Sprecherin Weinhold. Dazu kommen politische Entscheidungen wie Netzentgelte und die zum 1. Januar 2022 gestiegene CO2-Abgabe, die den Strompreis steigern.

Regionale Versorger müssen einspringen

Die regionalen Versorger Sachsenenergie und Envia Mitteldeutsche Energie, der in den westlichen Gemeinden des Landkreises aktiv ist, gehen davon aus, dass sie ihre Verträge langfristig erfüllen können. Dafür haben auch sie langfristige Verträge abgeschlossen.

Sie hatten aber nicht einkalkuliert, dass ihre Billigkonkurrenz in die Knie geht. Deren Geschäftsmodell bestand darin, keine langfristigen Lieferverträge zu schließen, sondern kurzfristig Energie an der Börse zu kaufen, immer dann, wenn sie dort billig zu haben war. Doch solche Momente gab es in jüngster Zeit kaum noch. Also mussten sie teuer einkaufen und konnten daher ihre günstigen Angebote nicht mehr aufrechterhalten.

Deutlich höhere Tarife für Neukunden

Kunden, die so von ihrem Anbieter im Stich gelassen werden, bleiben aber nicht im Dunkeln oder Kalten, sondern bekommen Strom und Gas weiter von ihrem regionalen Grundversorger. Dem geht es aber auch nicht besser. Er hat ja mit diesen zusätzlichen Mengen nicht gerechnet. „Diese außerplanmäßigen Energiemengen müssen nun zusätzlich zu den aktuell sehr hohen Marktpreisen eingekauft werden. Für Neukunden gelten deshalb gesonderte Preise für die Grund- und Ersatzversorgung“, teilt Sachsenenergie mit. Diese gesonderten Preise sind deutlich höher als diejenigen, die bezahlen muss, wer schon länger seinen Strom von Sachsenenergie bezieht. Wer seinen Vertrag bis 30. November 2021 abgeschlossen hat, bekommt im Tarif „Enso.Strom.Privat“ die Kilowattstunde für 30,04 Cent. Wer ab Dezember neu zu Sachsenenergie gewechselt ist, zahlt für die Kilowattstunde 58,24 Cent, also fast das Doppelte. Der Grundpreis von 99,69 Euro im Jahr ist für beide gleich.

Envia hat Kunden von acht Anbietern übernommen

Die Freitaler Stadtwerke lassen auf die Anfrage von saechsische.de ausrichten, dass sie kein Interesse hätten, zu dem Thema zu informieren.

Die Envia, zu deren Grundversorgungsbereich Hartmannsdorf-Reichenau und Teile der Gemeinde Klingenberg gehören, beobachtet auch, dass vermehrt Kunden anderer Firmen zu ihr in die Grundversorgung kommen. „Insgesamt haben wir bereits Kunden von acht betroffenen Energieanbietern übernommen“, teilt das Unternehmen mit. Der Strom kostet in der Grundversorgung einen Grundpreis von 145,05 Euro im Jahr und pro Kilowattstunde 28,99 Cent. Wer aber beispielsweise von Stromio kommt, einem Billiganbieter, der im Dezember seine Lieferungen eingestellt hat, zahlt für die Kilowattstunde 54,29 Cent. Aus diesem teuren Tarif könne man aber jederzeit in einem anderen Liefervertrag wechseln, schreibt Cornelia Sommerfeld, Pressesprecherin bei Envia.

Wie es weitergeht auf dem Energiemarkt, dafür legt sich keiner der Versorger fest. Die jetzige Situation ist für alle neu. Die Leitung der Schmiedeberger Gießerei stellt sich darauf ein, dass die Preise für Energie weiter anziehen werden.