Hochweitzschen. Die jungen Leute der Arbeitsgruppe (AG) Geschichte des Treibhausvereins haben sich einer großen und schwierigen Aufgabe gestellt. Jetzt präsentierten sie das Ergebnis einer mehrjährigen intensiven Recherche zur sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Hochweitzschen in der Zeit des Nationalsozialismus.
Dokumentiert sind die Erkenntnisse auf 160 Seiten des Buches „Der Mensch als Ballast“.
Neben den Mitgliedern der AG Geschichte gehören auch der ehemalige Ärztliche Direktor Dr. Rudolf W. Lehle und der Ärztliche Direktor des Fachkrankenhaus Bethanien Hochweitzschen – Zentrum für Psychosoziale Medizin Professor Dr. med. Francisco Pedrosa Gil zu den Autoren.
Vergangenheit muss aufgearbeitet werden
Lehle widmet sich der Geschichte der Landesanstalt in der Zeit von 1874 bis 1932.„Als Psychoanalytiker ist mir sehr bewusst, dass wir die Gegenwart und ihre historische Dimension nur verstehen, wenn wir die Vergangenheit so weit wie möglich aufarbeiten“, heißt es im Nachwort von Professor Francisco Pedrosa Gil.
Das Buch macht deutlich, dass die Klinik ab 1933 nicht dem Wohl der Patienten verpflichtet war, sondern auch im Dienst der NS-Ideologie stand. Die Klinik Hochweitzschen war keine Tötungsklinik mit Gaskammer, spielte aber nachweislich eine Rolle für die „Euthanasie-Verbrechen“ – der systematischen Behinderten- und Krankenmorde der Nationalsozialisten.
In der Klinik wurden 845 Personen für die Sammeltransporte nach Pirna Sonnenstein im Rahmen der „T4-Aktion“ – der Tötung durch Kohlenmonoxid – zusammengestellt und auch dorthin verbracht.
Patienten bekamen nur Suppenkost
Hochweitzschen spielte auch als sogenannte Zwischenanstalt bei den Transporten aus anderen Kliniken eine Rolle. Damit sollten die Transporte nicht direkt nachverfolgbar sein. Aufgrund der erstellten Datenbank war dies den Autoren des Buches aber zum großen Teil möglich.
Herausgefunden haben sie auch, dass 465 Menschen zwangsweise sterilisiert wurden – vor oder während der Zeit in Hochweitzschen.
1.297 Patienten verstarben in NS-Zeit in der Klinik. „Hier gibt es eine gewisse Unschärfe. Es geht um das stille Töten. Die Menschen erhielten nur einen minimalen Kostensatz. Mit dieser sogenannten Suppenkost konnten sie nicht überleben. Hinzu kam eine erhebliche Medikation. Die Patienten sind dann in kurzer Zeit gestorben, obwohl sie sicher länger leben hätten können“, so der Ärztliche Direktor.
Gedenkstätte für NS-Opfer geplant
Schon seit 1998 gibt es im Flur des Verwaltungsgebäudes eine Gedenktafel für die Opfer der nationalsozialistischen Mordaktion T4.
Im Zusammenhang mit dem 150-jährigen Bestehen der Klinik soll im nächsten Jahr ein Gedenkort für alle etabliert werden, die in der NS-Zeit in Hochweitzschen ums Leben gekommen sind oder von hier in andere Lager gebracht wurden. Dieser Ort wird für jeden zugängig sein, sagte der Theologische Geschäftsführer Michael Veihelmann.
Die NS-Zeit sei ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt von Hochweitzschen.
Digitale Datenbank angelegt
„Noch heute kommen Nachfahren von Menschen, die während der NS-Zeit in Hochweitzschen Patienten waren, zu uns und forschen nach ihren Angehörigen“, sagte Francisco Pedrosa Gil.
Bisher wurde nach der entsprechenden Karteikarte gesucht, um Informationen geben zu können. Das könnte sich künftig ändern. Denn ein wesentliches Werkzeug während der Recherche der AG Geschichte war die Erstellung einer Datenbank. Insgesamt wurden 4.237 Patientenakten in eine digitale Form überführt.
Finanziert wurde das Buch „Der Mensch als Ballast“ unter anderem von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Es ist in einer Auflage von 750 Stück erschienen.