SZ + Döbeln
Merken

Warum eine Gesellin auf Wanderschaft Halt in Döbeln macht

Die Walz ist eine jahrhundertalte Tradition im Handwerk. Aber nicht nur Zimmerer sind unterwegs, wie eine junge Unterfränkin zeigt.

Von Lea Heilmann
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Leni ist seit zwei Monaten auf Wanderschaft. In Döbeln war die Siebdruckwerkstatt des Treibhaus-Vereins ihr Ziel. Eine Nacht ist sie geblieben.
Leni ist seit zwei Monaten auf Wanderschaft. In Döbeln war die Siebdruckwerkstatt des Treibhaus-Vereins ihr Ziel. Eine Nacht ist sie geblieben. © SZ/DIetmar Thomas

Döbeln. Unter den anderen Menschen, die am Mittwochmittag ihre Erledigungen in der Stadt machen, fällt die junge Frau auf. Mit Holzstock, schwarzer Melone auf dem Kopf und Zunftjacke sowie -hose läuft sie durch Döbeln.

Leni ist 25 Jahre alt und kommt ursprünglich aus einem kleinen Dorf in Unterfranken. In Hessen hat sie ihre Ausbildung zur Gemüsegärtnerin absolviert und in Mainz in einer solidarischen Landwirtschaft gearbeitet. Seit ungefähr zwei Monaten ist sie nun auf Wanderschaft. Mindestens drei Jahre und einen Tag müssen fertige Gesellen im Regelfall unterwegs sein, wenn sie sich auf die Walz begeben.

Der Zauber der Wanderschaft hat Leni angesteckt

Schon während der Ausbildung war Leni begeistert von dem Thema, weil zwei ihrer Freunde Zimmerer sind und ebenfalls unterwegs waren. „Die beiden meinten: Das kannst du als Gärtnerin auch machen. Ich wusste nicht, dass es auch in anderen Handwerken Brauch ist und dann haben sie mich damit angesteckt“, erzählt Leni und lacht dabei.

Ungefähr 700 Wandergesellen sind in Deutschland unterwegs. Das Spektrum, welche Gewerke auf Wanderschaft gehen können, ist breit. Auch Köche, Bäcker, Instrumentenbauer oder Schlosser haben die Möglichkeit.

Immer wieder spielte die 25-Jährige mit dem Gedanken, auf Wanderschaft zu gehen. Damals war sie aber noch hin- und hergerissen: Nee doch nicht, ich habe zu viel Schiss davor. Doch, ich probiere das jetzt.

Auf die Frage, warum das Thema Wanderschaft sie so fasziniert, antwortet die Gemüsegärtnerin, dass sie der Zauber total angesteckt habe. „Ich finde oder fand die Vorstellung, ohne digitale Medien unterwegs zu sein und Reisen und Arbeiten zu kombinieren, spannend. Aber auch die Möglichkeit, dass man nicht so viel Geld braucht und auch mal an einem gemeinnützigen Projekt arbeiten kann“, sagt sie weiter.

Nach Döbeln in die Siebdruckwerkstatt

Maximal drei Monate darf sie an einem Ort bleiben. „Wenn der Hund vom Nachbarn dich nicht mehr anbellt und du gegrüßt wirst vom Postboten, dann es ist Zeit weiterzuziehen, so sagt man“, erklärt die Gärtnerin. In den vergangenen Wochen war Leni schon viel unterwegs - in Bayern, im Wendland bis nach Schwerin, im Harz und in Quedlinburg.

Sie wolle zuerst das Reisen lernen, später aber auch länger an einem Ort sein. In ihrem Gewerk konnte sie bisher noch nicht arbeiten, während der Winterzeit sei dies schwierig. Währenddessen hat Leni auf einem Weihnachtsmarkt gearbeitet. Sie hofft aber, bald auch in ihrem Handwerk etwas zu finden.

Silvester verbrachte Leni in Dresden und von dort ging es nach Döbeln. Um von A nach B zu kommen, wird getrampt. Während der Wanderschaft darf kein Geld für Transportmittel oder Unterkunft ausgegeben werden. Theoretisch dürfen Gesellen und Gesellinnen überall hinreisen, auch ins Ausland. Eine Regel gibt es allerdings: Die Bannmeile darf nicht mehr betreten werden. Das sind 50 Kilometer rund um den Heimatort.

In Döbeln hatte sie ein ganz bestimmtes Ziel: die Siebdruckwerkstatt des Vereins Treibhaus. Doch wie kam sie auf Döbeln? In Dresden hatte Leni sich schlaugemacht, wo es in der Nähe die Möglichkeit gibt und hat durch Zufall Döbeln entdeckt. Deshalb dachte sich Leni: Dann versucht sie, hierher zu reisen. Hätte es nicht geklappt, wäre die Gesellin weitergefahren.

Gepäck passt in drei Beutel

Die Sachen von Leni passen in drei Tücher, auch Charlottenburger genannt. Dabei hat sie einen Schlafsack, Wechselkleidung, Pflegeprodukte, eine Trinkflasche und Sportschuhe. „Ich gehe abends gerne joggen und auf die möchte ich gerade nicht verzichten“, so Leni.

Außerdem hat sie ein paar Dinge zur Beschäftigung eingepackt, wie einen Farbkasten oder ihre Kamera. Mit ihrer Auswahl ist Leni bisher zufrieden, die meisten Dinge hat sie schon benutzt. Erlaubt sind eigentlich alle Gegenstände, außer Handy, Laptop oder Tablet. Der Handyverzicht macht der gebürtigen Unterfränkin keine großen Probleme.

  • Nachrichten aus der Region Döbeln von Sächsische.de gibt es auch bei Facebook und Instagram

„Ich kann mich allerdings an einen Abend erinnern: Da war ich alleine und ich hätte total gerne meine Oma angerufen“, erzählt Leni. Also hat sie bei den Nachbarn geklingelt und gefragt, ob sie telefonieren darf – das ist erlaubt. „Daraus ist eine echt schöne Bekanntschaft geworden und ich durfte morgens immer zu ihnen zum Kaffeetrinken rüberkommen“, sagt sie weiter.

Ihre Reise beschreibt die Gesellin als intensiv und aufregend. Sie hat viele neue Erfahrungen gesammelt, nette Menschen getroffen, aber sich auch Ängsten gestellt. „Ich war schon aufgeregt, wie es ist, alleine zu trampen, und abends nach einem Schlafplatz zu suchen“, so Leni. Aber bisher habe sie so viele hilfsbereite Menschen getroffen. „Ich möchte den Glauben an das Gute in den Menschen behalten und es ist so schön, darin bestätigt zu werden, dass Leute einem helfen.“

Emotionaler Abschied von Familien und Freunden

Die bisher prägendste Erfahrung für die 25-Jährige war der Beginn ihrer Wanderschaft. Auch dafür gibt es einen Brauch. Familie und Freunde versammeln sich auf der einen, Gesellen und Gesellinnen auf der anderen Seite des Ortschilds der Heimatstadt.

Darunter auch ihre Altgesellin. Diese ist seit mindestens einem Jahr auf Wanderschaft und hat Leni am Anfang begleitet und unterstützt. Mit der Hilfe von beiden Gruppen musste Leni über das Schild klettern und dann ging es los – ohne Blick zurück.

„Da habe ich schon ganz viel infrage gestellt, weil sich zwar alle für mich gefreut, aber dann doch geheult haben. Da dachte ich mir: Oh Gott, was mache ich hier eigentlich?“, erinnert sich Leni und ergänzt: „Aber eine Woche später war ich wieder zufrieden mit der Entscheidung. Ich würde es viel mehr bereuen, wenn ich es nicht mache“. Eine Nacht ist die Gemüsegärtnerin in Döbeln geblieben. Wo es danach hingeht, das wusste sie noch nicht. Sich treiben lassen, schauen, wo die Straße sie hinführt – das ist ein großer Teil der Wanderschaft.