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Ein Waldheimer ist dann mal weg

Leopold Schmid aus Waldheim ist am Montag auf die Walz gegangen. Dabei muss er sich an viele Regeln halten. Los ging es damit am Ortsausgangsschild von Neuhausen. Das zeigen Bildergalerien.

Von Sylvia Jentzsch
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Bevor Leopold Schmid aus Neuhausen seine Wanderschaft beginnen konnte, musste er vor dem Ortsausgangsschild von Neuhausen ein Loch mit den Händen graben. Das Abschiedszeremoniell verfolgten viele Freunde, Verwandte und Bekannte.
Bevor Leopold Schmid aus Neuhausen seine Wanderschaft beginnen konnte, musste er vor dem Ortsausgangsschild von Neuhausen ein Loch mit den Händen graben. Das Abschiedszeremoniell verfolgten viele Freunde, Verwandte und Bekannte. © SZ/DIetmar Thomas

Waldheim/Neuhausen. Diesen Tag werden Leopold Schmid und seine Familie wahrscheinlich nie vergessen. Der 19-jährige Metallbauer ist am Montag nach einem kleinen Dorffest mit Verwandten und Bekannten und einer Herausforderung auf die Walz gegangen.

Der junge Mann musste nur mit den Händen und dem Einsatz eines sogenannten Stenz, eines Wanderstockes, ein 80 Zentimeter tiefes Loch graben. Darin versenkt wurden neben einer Flasche Schnaps auch noch Wünsche, die zehn Wandergesellen auf Zettel schrieben.

Danach kletterte Leopold über das Ortsausgangsschild von Neuhausen, eines Ortsteils von Waldheim. Auf dem Schild hatten die Wandergesellen zuvor ihre Signaturen und Aufkleber hinterlassen.

Leopold Schmid steigt über das Ortsausgangsschild von Neuhausen und kehrt der Heimat für mindestens drei Jahre und einen Tag den Rücken.
Leopold Schmid steigt über das Ortsausgangsschild von Neuhausen und kehrt der Heimat für mindestens drei Jahre und einen Tag den Rücken. © privat
Leopold übersteigt das Ortsausgangsschild.
Leopold übersteigt das Ortsausgangsschild. © privat
Die Wandergesellen nehmen ihn auf. Leopold  zieht davon und darf, entsprechend einer Regel,  nicht zurückschauen.
Die Wandergesellen nehmen ihn auf. Leopold zieht davon und darf, entsprechend einer Regel, nicht zurückschauen. © privat

Drei Jahre ohne Handy

Ohne noch einmal zurückzuschauen, so ist es der Brauch, beginnt das Abenteuer von Leopold Schmid, das mindestens drei Jahre und einen Tag dauert. In dieser Zeit darf er sich seinem Heimatort nicht auf 50 Kilometer nähern.

Auch das Handy hat er zu Hause gelassen. Denn es ist eine eiserne Regel der Wandergesellen, dass sie kein Handy oder andere Geräte, die mobilfunkfähig sind, dabeihaben dürfen.

Lediglich eine Digitalkamera ist erlaubt, um besondere Eindrücke aufzunehmen. Die Wandergesellen gehen mit 5 Euro los und kommen mit 5 Euro zurück – so die Regel.

Der 19-Jährige besuchte die Waldheimer Oberschule und erlernte im Metallbaubetrieb Müller in Gadewitz den Beruf des Metallbauers. Seit Februar ist Leopold Schmid Handwerksgeselle und nun Wandergeselle.

Leopold muss  vor dem Ortsausgangsschild ein 80 Zentimeter  tiefes Loch graben. Dafür darf ein nur einen Stock und seine Hände verwenden.
Leopold muss vor dem Ortsausgangsschild ein 80 Zentimeter tiefes Loch graben. Dafür darf ein nur einen Stock und seine Hände verwenden. © SZ/DIetmar Thomas
Die Wandergesellen hinterlassen auf dem Ortsausgangsschild ihre Signatur.
Die Wandergesellen hinterlassen auf dem Ortsausgangsschild ihre Signatur. © SZ/DIetmar Thomas
Die Verabschiedung von Leopold ist ein kleines Fest geworden.  Gekommen  sind  Freunde, Bekannte und Verwandte.
Die Verabschiedung von Leopold ist ein kleines Fest geworden. Gekommen sind Freunde, Bekannte und Verwandte. © SZ/DIetmar Thomas
In das Loch  wird eine Flasche mit Wünschen der Wandergesellen eingelassen.  Die Zettel werden vor Ort geschrieben.
In das Loch wird eine Flasche mit Wünschen der Wandergesellen eingelassen. Die Zettel werden vor Ort geschrieben. © SZ/DIetmar Thomas

Die Freiheit genießen

„Die Walz ist eine gute Sache, eine Möglichkeit, die Welt zu erkunden und sich handwerklich weiterzubilden. Ich kann frei sein, muss nicht direkt nach der Lehre ein Leben in eingefahrenen Gleisen beginnen“, sagte Leopold.

„Als ich 14 Jahre alt war, habe ich das erste Mal mit einem Wandergesellen gesprochen. Der hat mir versucht, alles rund um die Walz zu erklären. Ich habe damals nur die Hälfte verstanden. Aber mein Interesse war geweckt“, so der 19-Jährige.

Wohin die Wanderschaft gehe, wisse er noch nicht. Zurzeit habe er nur einen Plan bis zum Ortsschild und dann gehe es mit den erfahrenen Wandergesellen weiter.

„Ich habe mir die Sache gut und lange überlegt, habe das Für und Wider abgewogen. Es gehört auch mal ein bisschen Abenteuer zum Leben. Man kann nicht immer nur behütet sein“, so der Waldheimer.

Ihm sei bewusst, dass es durchaus Tage gebe, an denen er keine Unterkunft oder keine Arbeit finde. Aber dann sei das eben so. Viele Handwerker, die auf der Walz waren oder sind, überstehen das. Und da ist ja auch ein Schlafsack für den Notfall.

Das Handwerkszeug gehört dazu

Außerdem hat Leopold Schmid das wichtigste Werkzeug eingepackt. Dazu gehören Hammer, Zange, Parallelreißer, Reißnadel und Körner. Eingepackt hat er auch Wechselsachen.

„Alles wird in Charlottenburger Leinentücher eingepackt. Außerdem muss ich mich an eine Kleiderordnung halten. Der Schnitt der Kluft ist bei allen gleich. Nur die Farbe richtet sich nach dem Gewerk. Deshalb trage ich eine blaue Kluft“, so Leopold.

Manche Gesellen würden sich diese anfertigen lassen. „Meine ist von der Stange aus dem Internet. Nur die Jacke eines Wandergesellen habe ich mir aufarbeiten lassen.“

In der vergangenen Woche wurde er schon von Wandergeselle Georg auf die bevorstehende Walz eingestimmt. Der Zimmermann stammt aus Augsburg und ist seit zweieinhalb Jahren auf der Walz.

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Er wird den Waldheimer die ersten eineinhalb bis zwei Monate begleitet und dem „Neuling“ grundlegende Dinge zeigen. So zum Beispiel wie man als Wandergeselle trampt, wie man sich ordentlich verhält oder wo bekannte Anlaufstellen sind, um Arbeit zu bekommen.

Die Gesellen dürfen dann maximal drei Monate in einem Unternehmen arbeiten. Dann ziehen sie weiter. „Es gibt das Sprichwort: Wenn du kommst, und der Hund nicht mehr bellt und der Postbote grüßt, dann ist es Zeit, weiterzuziehen“, so Georg.

Viele interessante Bekanntschaften

Er findet es toll, auf seiner Wanderung viele Menschen kennenzulernen. Das sei auch ganz einfach. Denn man müsse nach dem Weg fragen oder sich nach anderen Dingen erkundigen. Da komme man schnell ins Gespräch. Die Leute seien sehr offen und würden auch viel fragen.

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Stolz zeigt er sein Wanderbuch, das ihn als Wandergeselle ausweist. Viele Stempel der Städte und Gemeinden, in denen er sich aufgehalten hat, zieren die Seiten. Die Meister, bei denen die Gesellen arbeiten, schreiben ein Arbeitszeugnis ins Buch.

Am Montag kamen das Siegel der Stadt Waldheim und die Unterschrift von Bürgermeister Steffen Ernst (FDP) dazu. Denn die elf Wandergesellen statteten dem Bürgermeister noch einen Besuch ab.

Der zeigte ihnen den großen Saal, von dem sie sehr beeindruckt waren, und der Ratshausturm wurde bestiegen. Danach gab es ein spätes Frühstück.

„Ich liebe das Wanderleben, das sich treiben lassen“, so Georg. Es gebe nur in den dunklen Jahreszeiten ein paar Tage zwischendurch, an denen er lieber eine Wohnung hätte. Das sind die, wenn es regnet, kalt ist und man allein unterwegs ist.

Die Wandergesellen, die den Waldheimer das erste Stück des Weges begleiten waren am Montagvormittag zu Gast bei Bürgermeister Steffen Ernst. Er zeigten den Handwerkern den großen Ratssaal und ermöglichte ihnen einen Blick vom Rathausturm.
Die Wandergesellen, die den Waldheimer das erste Stück des Weges begleiten waren am Montagvormittag zu Gast bei Bürgermeister Steffen Ernst. Er zeigten den Handwerkern den großen Ratssaal und ermöglichte ihnen einen Blick vom Rathausturm. © SZ/DIetmar Thomas

Schönste Reisezeit sind Frühling und Sommer

In der Regel habe er als Wandergeselle viele tolle Dinge erlebt. Die schönste Reisezeit sei der Frühling und der Sommer.

Etwa 70 Wandergesellen reisten am Sonnabend in Neuhausen an. Sie wollten dabei sein, wenn Leopold sozusagen auf die Wanderschaft von mindestens drei Jahren und einem Tag festgenagelt wird.

Und das nicht nur im sprichwörtlichen Sinn, sondern mit einem Nagel durch das Ohr. Das Loch ziert nun ein Ohrring.

„Der Abschied macht mich nicht traurig. Ich sage, immer: Ich bin nicht weg. Ich bin nur woanders“, so Leopold.