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Neue Sinnlichkeit für die Alten Meister

Die neue Dresdner Gemäldegalerie ist fast die alte und doch faszinierend anders. Nach sieben Jahren Sanierung wird sie Freitag wiedereröffnet.

Von Birgit Grimm
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Die "Sixtinische Madonna" von Raffael, das berühmteste Gemälde der Dresdner Galerie Alte Meister, hängt an seinem alten Platz.
Die "Sixtinische Madonna" von Raffael, das berühmteste Gemälde der Dresdner Galerie Alte Meister, hängt an seinem alten Platz. © dpa-Zentralbild

Raffaels „Sixtinische Madonna“ ist wieder zu Hause. Das berühmteste Gemälde der Dresdner Galerie Alte Meister hängt an seinem alten Platz, an dem es seit 1956 bis zum Sanierungsbeginn zu sehen war. Dieses Gemälde ist ein Heiligtum im Heiligtum der Kunst, in diesem wunderbaren Schatzhaus. Am Freitagabend wird die Gemäldegalerie im Semperbau am Dresdner Zwinger festlich wiedereröffnet nach sieben Jahren Bauzeit. 

Das Museum hat sich sehr verändert, und es ist dennoch ganz bei sich geblieben, indem es den prachtvollen Auftritt, den Gottfried Semper Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut hat, noch steigert. „Er baute einen Palazzo für eine königliche Sammlung. Wir wollen ein Gefühl der Überwältigung“, sagte Museumsdirektor Stephan Koja. Das ist gelungen.

Koja kam im Frühjahr 2016 aus Wien nach Dresden, da war die Sanierung im vollen Gang. Manche Museumsdirektoren, auch Intendanten, machen zunächst und grundsätzlich alles anders, wenn sie einen neuen Job anfangen. 

Die Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister wurde für knapp 50 Millionen Euro renoviert.
Die Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister wurde für knapp 50 Millionen Euro renoviert. © dpa-Zentralbild
Die französische Malerei des 18. Jahrhunderts wird auf blauem Grund präsentiert.  Skulpturen ermöglichen Vergleiche.
Die französische Malerei des 18. Jahrhunderts wird auf blauem Grund präsentiert.  Skulpturen ermöglichen Vergleiche. © SKD
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Die "Schlummernde Venus" von Giorgione.
Die "Schlummernde Venus" von Giorgione. © dpa-Zentralbild
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Insgesamt werden 700 Gemälde und 420 Skulpturen gezeigt. 
Insgesamt werden 700 Gemälde und 420 Skulpturen gezeigt.  © dpa-Zentralbild

Koja hat mit Respekt vor der Geschichte des Hauses, vor der Qualität der Sammlungen und wohl auch vor der Leistung des langjährigen Galeriedirektors Harald Marx gemeinsam mit seinen Kuratoren und Restauratoren die Bestände durchforstet und jedes der 700 Bilder, die jetzt zu sehen sind, jede der 420 Figuren auf den Prüfstand gestellt und eine faszinierende Neuordnung der Galerie entwickelt. Die war freilich auch notwendig, weil vor der Sanierung keine Skulpturen in der Sempergalerie ausgestellt waren.

„Wir haben die berühmte Dresdner Hängung wieder aufgegriffen“, sagte Koja. Das natürlich mit Bedacht, denn so dicht wie im 19. Jahrhundert sollten die Wände dann doch nicht mit Bildern tapeziert werden. Und es sollte Abwechslung in die Raumfolge kommen. Geordnet ist die Galerie wieder geografisch nach Malerschulen: die Italiener auf roten Wänden, die Spanier und und die Franzosen auf dunklem Blau und die Deutschen und die Niederländer auf Grün. 

Jeder Raum hat ein Thema, die Kunstwerke sind mal dichter, mal weniger dicht angeordnet. Wo die Bestände der Galerie stark sind – etwa bei den Werkgruppen von Cranach, Rembrandt, van Dyck, Bellotto – wird prachtvoll gewuchert. Und wo die Gemälde in einen Dialog treten mit Skulpturen, wird Kunstgeschichte nicht nur anschaulich, sondern direkt lebendig. 140 Gemälde wurden restauriert für ihren neuen Auftritt, auch zahlreiche barocke Galerierahmen hat man überarbeitet.

Lichtdurchflutet ist die  neue Skulpturenhalle mit den Antiken.   
Lichtdurchflutet ist die  neue Skulpturenhalle mit den Antiken.    © SKD
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Eine Bronzestatuette des Kriegsgottes Mars aus dem 16. Jahrhundert.
Eine Bronzestatuette des Kriegsgottes Mars aus dem 16. Jahrhundert. © dpa-Zentralbild

Hinter der schweren Eingangstür im Foyer begrüßen Apoll und Minerva, Hauptwerke von Balthasar Permoser, die Besucher. „Wir mussten den Keller verstärken lassen, denn eine Figur wiegt zwei Tonnen“, erzählte Koja. Auch der von Lästermäulern „Maulwurfsgang“ genannte unterirdische Durchgang von der Garderobe zur Osthalle bekam Farbe. Skulpturen weisen den Weg in die Antikenhalle. Im Ostflügel, wo einst die Rüstkammer mit Waffen, Harnischen, Rössern und Reitern untergebracht war, sind jetzt antike Skulpturen aufgestellt. „Weite und Vielfalt“ könnte über diesem lichtdurchfluteten Saal stehen, in dem die Figuren Tageslicht von zwei Seiten bekommen und sich rundherum von nah und ganz nah betrachten lassen.

Der 1855 von Gottfried Semper errichtete Bau wird mit dieser Entscheidung und dieser wohl auffälligsten Veränderung zu seinen Ursprüngen zurückgeführt. Es war die Idee des Architekten, diese Halle für die historischen Gipsabgüsse aus der Sammlung von Anton Raphael Mengs vorzusehen. Allerdings zog die Mengs’sche Abgusssammlung schon Ende des 19. Jahrhunderts dort wieder aus. Später wurde die Rüstkammer im Ostflügel untergebracht. Jetzt flirten die antiken Skulpturen auch mit König Johann auf dem Theaterplatz und mit Balthasar Permosers Figuren im Zwinger.

Museumsdirektor Stephan Koja.
Museumsdirektor Stephan Koja. © SKD

Barocke Kleinbronzen und Marmorfiguren sind im sogenannten Skulpturengang zu bewundern, in den eintritt, wer aus dem Foyer nicht zur Garderobe hinab-, sondern über den roten Teppich die Treppe hinaufgestiegen ist. Hat man Sachsens Fürsten in den Porträts von Louis de Silvestre die Ehre erwiesen, begegnet man Permoser, Paul Heermann, Adriaen de Vries, Giambologna auf Augenhöhe ... Dessen „Mars“ übrigens, der nach seiner Rückkehr nach Sachsen in den vergangenen Monaten zunächst durchs Land reiste, darf nun das Semperkabinett, einen neuen Sonderausstellungsraum, einweihen. Auch im alten Gobelinsaal, der jetzt Winckelmannforum heißt, werden künftig Sonderausstellungen zu sehen sein.

Wo in den Galerieräumen Gemälde gemeinsam mit Skulpturen gezeigt werden, wird man anfangen zu vergleichen. „Wir haben versucht, den Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur vorzuführen“, sagte Stephan Koja. „Die Antike ist der Maßstab, an dem sich alle messen.“

An anderer Stelle sind es Künstlerfreundschaften, die wunderbare Kombinationen ermöglichen. Neben Rembrandts Gemälde „Ganymed in den Fängen des Adlers“ ist ein Marmorköpfchen ausgestellt von Henrick de Keyser. „Die beiden waren befreundet, Rembrandt besaß einige Stücke von ihm“, erzählte Koja. „Im 17. Jahrhundert war es üblich, nach Skulptur zu malen und nicht nach Modell. Wir sind überzeugt, dass dieses weinende Kind das Vorbild für den greinenden Knaben war.“ Der Kopf entstand 1615, das Gemälde 1635.

„Ganymed in den Fängen des Adlers“ 
„Ganymed in den Fängen des Adlers“  © SKD
Raffaels "Sixtinische Madonna" von  1512/13 ist das berühmteste und beliebteste Gemälde der Dresdner Galerie.
Raffaels "Sixtinische Madonna" von  1512/13 ist das berühmteste und beliebteste Gemälde der Dresdner Galerie. ©  © Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsa
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Auf Ganymeds nackten Po schaut man auch, wenn man in der Tribuna in der Mitte der Galerie steht. Dreht man sich um, sieht man Raffaels „Sixtina“. Eine kühne Blickachse ist das! Aber auch solche Überraschungen gehören zum neuen Heiligtum der Kunst. Mit Augenzwinkern werden Kunstgeschichten erzählt, mit leichter Hand komplexe Zusammenhänge sinnlich erlebbar gemacht.

Für 50 Millionen Euro hat der Freistaat die Sempergalerie klima-, sicherheits- und brandschutztechnisch modernisieren lassen. Mit akzentuiertem Licht, mit großer Sachkenntnis, viel Feingefühl und einer Prise Humor haben Stephan Koja und sein Team ein Museum eingerichtet, das seinen Platz in der Welt der bedeutendsten Gemäldegalerien überzeugend behauptet.

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