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Brauchen wir Zuwanderer für die Pflege?

Die Dresdner wollten beim Wahlforum am Mittwoch nicht nur über Energie- und Verkehrswende reden. Auch das Alter bereitet Sorgen.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Am Mittwoch diskutierten die Spitzenkandidaten des Wahlkreises Dresden 7 beim Wahlforum der Landeszentrale für politische Bildung.
Am Mittwoch diskutierten die Spitzenkandidaten des Wahlkreises Dresden 7 beim Wahlforum der Landeszentrale für politische Bildung. © Sven Ellger

Ganz Deutschland rätselt, wer am 1. September stärkste Partei in Sachsen wird, wer die nächsten fünf Jahre mit wem regiert, und ob auch der neue Ministerpräsident Michael Kretschmer heißen wird. Alles ganz egal, könnte man sagen, nachdem man am Mittwochabend den Spitzenkandidaten des Wahlkreises Dresden 7 zugehört hat. Denn was die Pflege alter und kranker Menschen angeht, so müsste diese bald nicht nur günstiger für Betroffene und Angehörige werden. Auch die Pflegekräfte bekämen endlich mehr Geld.

Jedenfalls müssen die rund 120 Zuschauer des Wahlforums der Landeszentrale für politische Bildung nach Nuancen suchen, so ähnlich, ja fast identisch, schilderten die Kandidaten ihre Standpunkte. Pflege sei mehr als Hintern-Abputzen und müsste in unserer Gesellschaft eine ganz andere Wertschätzung erfahren, sagte die CDU-Kandidatin und amtierende Sozialministerin Barbara Klepsch. Und wenn Pflegebedürftige monatlich 1.500 Euro zuschießen sollen, um gepflegt zu werden, dann sei das zu viel Geld. Da möchte keiner ihrer Gegner widersprechen.

Uta Gensichen (Die Linke), Vincent Drews (SPD), Susanne Krause (B90/Die Grünen), Moderator Dr. Roland Löffler, Stefan Schubert (FDP), Barbara Klepsch (CDU) und Hans-Jürgen Zickler (AFD). (v.l.n.r.)
Uta Gensichen (Die Linke), Vincent Drews (SPD), Susanne Krause (B90/Die Grünen), Moderator Dr. Roland Löffler, Stefan Schubert (FDP), Barbara Klepsch (CDU) und Hans-Jürgen Zickler (AFD). (v.l.n.r.) © Sven Ellger

Von einem Missverhältnis in der Pflege spricht FDP-Kandidat Stefan Schubert. Der Steueranteil würde sich nicht in der Pflege widerspiegeln. SPD-Kandidat und Stadtrat Vincent Drews erzählt, er habe selbst erlebt, wie schwierig es sei, einen Pflegeplatz zu bekommen. „Das dauert monatelang.“ Man müsse das Netz der Pflegeeinrichtungen ausbauen, eine faire Bezahlung der Mitarbeiter sicherstellen, und dürfe dabei nicht auf das Vermögen der Angehörigen zurückgreifen. Das sei eine staatliche Aufgabe.

So nachvollziehbar, so unverfänglich. Aber wie genau wollen die Kandidaten denn die Probleme lösen, will Landeszentrale-Direktor und Moderator Roland Löffler wissen. Immerhin scheint es an diesem Abend Konsens zu sein, für höhere Löhne zu sorgen, Pflegebedürftige und Angehörige finanziell zu entlasten und obendrein mehr Pflegeheim-Plätze zu schaffen. Die Pflegeversicherung müsse neu gedacht werden, findet Barbara Klepsch, und spricht sich für einen ergänzenden Steueranteil aus. Für eine sogenannte Pflegevollversicherung plädiert die Linke-Kandidatin Uta Gensichen. „Dort zahlen alle ein, wie bei der Krankenversicherung.“ Wer Mutter oder Vater zu Hause pflege, solle einen Ausgleich für den entgangenen Arbeitslohn erhalten und später einmal keine Nachteile bei der eigenen Rente bekommen. Für die Pflegekräfte sei ein Flächentarifvertrag nötig.

Für gleiche Löhne in ganz Deutschland sprechen sich auch Barbara Klepsch und Grüne-Kandidatin Susanne Krause aus. Beide argumentieren, dass nur so verhindert werden könne, dass Fachkräfte in Regionen ziehen, in denen es für denselben Job mehr Geld gibt. Das sieht AfD-Kandidat Hans-Jürgen Zickler genauso. Ob das reichen wird, genügend Fachkräfte zu gewinnen? Immerhin, so rechnet die Sozialministerin Klepsch vor, wird es in zehn Jahren weit mehr als 210.000 Pflegebedürftige in Sachsen geben. Großes Potenzial sieht Susanne Krause bei ausländischen Fachkräften, sagt sie. Man sollte versuchen, Asylsuchende in diesem Bereich unterzubringen.

Diese Politiker diskutierten beim Wahlforum:

Uta Gensichen (Die Linke)
Uta Gensichen (Die Linke) ©  Sven Ellger
Susanne Krause (B90/Die Grünen)
Susanne Krause (B90/Die Grünen) ©  Sven Ellger
Vincent Drews (SPD)
Vincent Drews (SPD) ©  Sven Ellger
Stefan Schubert (FDP)
Stefan Schubert (FDP) ©  Sven Ellger
Hans-Jürgen Zickler (AFD)
Hans-Jürgen Zickler (AFD) ©  Sven Ellger
Barbara Klepsch (CDU) 
Barbara Klepsch (CDU)  ©  Sven Ellger

Was Moderator Roland Löffler dazu veranlasst, den AfD-Kandidaten zu fragen: „Brauchen wir Pflege-Zuwanderung?“ „Natürlich, qualifizierte Zuwanderung wird die AfD nicht kritisieren“, erwidert Zickler, schränkt dann aber ein: „Die Frage ist eher, ob wir den armen Ländern es antun können, Pflegekräfte abzuwerben, weil wir zu bequem sind, diese selbst auszubilden.“ Und plötzlich kommt etwas Schwung in die Pflegedebatte. Denn mit dem Wort „abwerben“ scheint Barbara Klepsch ein Problem zu haben. „Darum geht es nicht“, entgegnet sie. Es würden Vereinbarungen mit Ländern getroffen, in denen es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gebe. „Wir wollen keinen Unfrieden in anderen Ländern stiften.“

Worüber an diesem Abend niemand spricht: Eine Reform der Pflegeversicherung ist bereits von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angestoßen worden. Für Herbst ist eine Sozialminister-Konferenz dazu geplant. Und auch für einen Flächentarifvertrag gibt es schon einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Wird die rechtliche Grundlage für einheitliche Löhne tatsächlich beschlossen, so müssen die Gewerkschaften und die Arbeitgeber zueinander finden.

Müsste, sollte, könnte – einer älteren Dame im Publikum sind die vielen Konjunktive an diesem Abend zu viel. „Warum machen sie nicht etwas“, fragt sie das Podium. Die meisten Kandidaten würden wahrscheinlich gern, sitzen – bis auf Klepsch – aber noch nicht im Landtag.

Die Kandidaten aller Dresdner Wahlkreise finden Sie hier.