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Absturz im Maschinenbau-Studium

Erste Drogenerfahrungen machte ein 27-Jähriger mit zehn. In Haft holte er alle Schulabschlüsse samt Abitur nach, doch dann griff er wieder zur Droge.

Von Alexander Schneider
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Prozessauftakt im Landgericht Dresden: Wachtmeitser nehmen dem Angeklagten Patrick K. (2.v.l.) die Handfesseln ab. Links sein Verteidiger Matthias Engel.
Prozessauftakt im Landgericht Dresden: Wachtmeitser nehmen dem Angeklagten Patrick K. (2.v.l.) die Handfesseln ab. Links sein Verteidiger Matthias Engel. © Foto: Alexander Schneider

Dresden. Patrick K. wurde am frühen Morgen des 3. Juli in Pieschen von der Polizei erwischt. Der 27-Jährige war auf einem Rad unterwegs – und als die Polizei ihn spontan kontrollieren wollte, versuchte er den Beamten zwischen Bürger- und Leipziger Straße zu entkommen. Bald hatten die Uniformierten den Mann gefasst. K. hatte gut 20 Gramm Crystal dabei, außerdem geringe Mengen anderer Drogen und Medikamente. Dazu ein Beil, ein Tierabwehrspray, ein Brecheisen und zwei Schraubendreher. Der mutmaßliche Dealer wurde verhaftet.

Jetzt stand er vor dem Landgericht Dresden wegen bewaffneten Handels mit Drogen und einer Reihe weiterer Drogengeschichten, Fahrrad-Diebstählen und Hehlereien. Drei Anklagen hatte die Staatsanwaltschaft erhoben, die letzte erst Anfang Dezember.

Weitgehendes Geständnis

Patrick K. räumte die meisten Vorwürfe ein, so weit er sich erinnern konnte. Seit März habe er bei seiner Freundin in Halle gewohnt. Allerdings sei es am 1. Juli zum Streit gekommen, woraufhin er die Wohnung verlassen habe. In Leipzig habe er bei einem Bekannten 25 Gramm Crystal gekauft und sei dann weiter nach Dresden gefahren. Er habe einen Teil der Menge selbst konsumieren und den Rest verkaufen wollen, sagte er.

Die Werkzeuge habe er dabei gehabt, um auf seiner nächtlichen Tour eventuell „noch einen Einbruch zu machen“, wie er sagte. Auch die übrigen Vorwürfe gab er weitgehend zu, darunter einige Fahrraddiebstähle aus Kellern von Mehrfamilienhäusern.

Der 27-Jährige ist schon mehrfach bei der Dresdner Polizei mit gestohlenen Räder aufgefallen. Man könnte auch sagen: immer wieder. 14 Vorstrafen hat der 27-Jährige seit 2008 gesammelt. Darunter schon in den ersten Jahren Jugendstrafen von knapp drei Jahren Haft für Raub-Delikte, und auch als Erwachsener setzte sich die kriminelle Karriere fort. Der Vorsitzende Richter Joachim Kubista hat jedes einzelne Urteil vorgelesen.

Über Jahre geschlagen und missbraucht

In den Gerichtsakten lässt sich nicht nur die kriminelle Karriere nachvollziehen, sondern auch das persönliche Schicksal eines Angeklagten, der schon mit zehn Jahren regelmäßig Alkohol getrunken und wenig später auch zu Cannabis gegriffen hatte. In seiner Kindheit war er weitgehend sich selbst überlassen, die Mutter war offensichtlich komplett mit der Erziehung überfordert. Nach der Grundschule lebte er einige Zeit bei seiner Großmutter, die Mittelschule verließ er ohne Abschluss.

Vom Stiefvater sei er geschlagen worden, berichtete K. Sein älterer Stiefbruder habe ihn sexuell missbraucht und gezwungen, nichts zu verraten, sonst werde er die Cannabis-Experimente des damals 12-Jährigen verpetzen. Es blieben nicht die einzigen derartigen Erfahrungen sexualisierter Gewalt. Als Jugendlicher sei K. von einem „Ex-Polizisten“ namens Micha in Radebeul missbraucht worden, hieß es an einer anderen Stelle in dem zweitägigen Prozess.

Umso beeindruckender ist, dass K. seine Zeit im Jugendgefängnis von Regis-Breitingen zu nutzen wusste. Er holte dort erst den Qualifizierenden Hauptschulabschluss nach, später auch den Realschulabschluss. Er habe sich schließlich auch in eine Thüringer Haftanstalt verlegen lassen, um dort auch das Abitur zu machen. „Das ist in Regis nicht möglich“, sagte K.s Verteidiger Matthias Engel aus Leipzig. Er habe großen Respekt vor dieser Leistung, so der Verteidiger.

Im Studium an die Grenzen gekommen

Vor einem Jahr habe Patrick K. dann an der TU Dresden Maschinenbau studiert. Doch da sei er an seine Grenzen gekommen, habe wieder zu Drogen gegriffen, um mithalten zu können – und sei gründlich gescheitert. Der psychiatrische Sachverständige, der den Angeklagten begutachtet hatte, berichtete, dass K. ab elf Jahren Alkohol getrunken hatte, mit 14 täglich bis zu zehn Flaschen Bier. Mit 15 habe er den Alkohol zunehmend durch Crystal ersetzt.

Im Alter von 18 habe er ein bis zwei Gramm konsumiert, rund 50 Euro habe er täglich für den Stoff aufbringen müssen. K. habe schon als Kind an einer fehlenden Anerkennung gelitten. Mutter und Stiefvater seien ihm „feindselig“ gegenübergetreten. Vor dem Studium habe K. einen Physikkurs besucht, um seine Schwächen abzubauen.

Er habe jedoch Rückschläge erlitten und versucht, diese mit dem Konsum von Drogen „erträglicher“ zu machen. So sei K. wieder in die Beschaffungskriminalität abgerutscht. K. habe einen Hang, ohne eine erfolgreiche Therapie wieder extreme Mengen Drogen zu sich zu nehmen und weitere Straftaten zu begehen. Der Arzt glaubt aber, dass Patrick K. mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Therapie erfolgreich abschließen werden. Er brauche dazu jedoch die professionelle Hilfe. „Ohne die geht es nicht.“ Nach Ansicht des Gutachters werde K. jedoch nicht aufgeben. Nach der Haft wolle er ein neues Studium begonnen.

Unterbringung angeordnet

Das Gericht orientierte sich an der Einschätzung des Gutachters. Der Angeklagte wurde wegen Handels mit Drogen in einer Vielzahl von Fällen, Diebstahls und Hehlerei zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von insgesamt fünfeinhalb Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Laut Kubista habe K. einen positiven Eindruck auf die Kammer gemacht. Er sei überdurchschnittlich intelligent und habe schon bei seiner Verhaftung im Juli einen Großteil der Vorwürfe eingeräumt und auch Angaben zu seinen „Geschäftspartnern“ gemacht. Das habe das Gericht als wertvolle Aufklärungshilfe gewertet. „Wir haben selten jemanden hier sitzen, der so viele Straftaten begangen hat, der nicht dumm ist, aber Hilfe braucht“, sagte der Vorsitzende.

Nach neun Monaten Haft werde der 27-Jährige in eine stationäre Drogentherapie wechseln. Von diesen neun Monaten habe er bereits sechs in Untersuchungshaft abgesessen, so Kubista. Die fehlenden drei Monate reichten jetzt gerade, um einen Therapieplatz für den Angeklagten zu finden. Gelingt die Therapie, kann Patrick K. auf eine Entlassung nach der Hälfte der Zeit hoffen. Sollte die Therapie missglücken, bleibt er länger hinter Gittern. Die Staatsanwältin und Verteidiger Engel hatten sich in ihren Plädoyers für ein ähnliche Ergebnis ausgesprochen. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

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