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Dichter Thomas Rosenlöcher gestorben

Der Dresdner Dichter Thomas Rosenlöcher hat die Welt ein bisschen weiser und schöner gemacht. Mit 74 Jahren ist er jetzt gestorben.

Von Karin Großmann
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Thomas Rosenlöcher ist gestorben. Er hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder.
Thomas Rosenlöcher ist gestorben. Er hinterlässt eine Ehefrau und drei Kinder. ©  Archivfoto: Daniel Förster

Dresden. Keiner hat das Sandsteindresden mit so viel spöttischer Liebe bedacht wie er. Keiner hat die Stimmung aus Jubel und Frust in den Wendemonaten so genau festgehalten. Keiner hat so ironisch und melancholisch zugleich alltägliche Sensationen in Poesie verwandelt. Und nie wäre Kleinzschachwitz mit den Biertrinkern an der Elbfähre in die Weltliteratur gelangt, hätte nicht er davon geschrieben.

Am Mittwochfrüh ist der Dichter Thomas Rosenlöcher nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Noch am Abend zuvor hatte der Publizist Hans-Peter Lühr bei seiner Buchpremiere im Dresdner Stadtmuseum in einem berührenden Text seinen Freund gerühmt. Der Beifall galt dann auch ihm.

Thomas Rosenlöcher wurde 74 Jahre alt. Auf die Frage, was er auf den letzten Weg mitnehmen würde, ein Bündel Bücher oder einen Stapel Schallplatten, hatte er in einem Interview geantwortet, dass er sich wohl doch für die Musik entscheiden würde – „vorausgesetzt, ich hätte im Jenseits ein ordentliches Abspielgerät“.

Mit dem Jenseits hat er sich beizeiten gutgestellt. In seinen Gedichten herrscht eine bemerkenswerte Engeldichte. Manche sausen die lichtgeknüpfte Himmelsleiter hinauf und hinab. Andere wischen die Schmutzspuren weg, wenn die „Erdenwänster“ mit ungeputzten Füßen den Himmel betreten. Ein reizender kleiner Engel kichert, weil die langbärtigen Propheten ihre Abzählverse durcheinanderbringen. „Allein ein Kichern ändert schon die Welt.“ Falls der Satz stimmt, dann hat Thomas Rosenlöcher seinen Teil zur Weltveränderung beigetragen. In seinen Gedichten sitzt der Schalk manchmal auf den Zeilen und öfter dazwischen. So wird das Feierliche, Erhabene und Idyllische, das allzu schön wäre hienieden und deshalb erzählt werden muss, mit lakonischem Humor unterlaufen. Es ist pur nicht zu haben, wusste der dialektisch geschulte Dichter. Er konnte in einem einzigen Satz das Dilemma des 89er-Herbstes zusammenfassen: „Da wir ein Stück Leben gewannen, ist uns ein Stück Leben verlorengegangen.“ Auch beim Wiederlesen erweisen sich seine Prosatexte als unerhört hellsichtig, Bände wie „Die verkauften Pflastersteine“, „Ostgezeter“ oder „Die Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern“.

Rosenlöcher konnte über sich selber kichern, wenn er sich im Gedicht als Träger betrüblicher Hosen beschrieb oder sein Spiegelbild in einer westdeutschen Fensterscheibe rügte: „Etwas elastischer federnd könnte ich auf dem Bahnsteig aber einhergehen!“ Sonst sei er ja gleich als Ostler erkennbar. Das blieb er mit seinem freundlichen Trotz und seiner vertrackten Sanftheit immer. Seine Sympathie galt nie den „Bullaugenresidenzen für Besserverdienende“ oder den „Benzinkathedralen“. Ihm fiel auf, was schon keinem mehr auffiel: „Das geistige Zentrum des Orts war der Parkplatz.“ Das vorbehaltlose Staunen des Ungläubigen hat seit Kleinzschachwitz nie aufgehört.

Aufgewachsen ist Thomas Rosenlöcher am Dresdner Stadtrand in einer „volkseigentümlichen Bröckelvilla“. Das Bürgerlich-Randständige hat ihn geprägt. Die geglückte Balance von Landschaft und Architektur. Die Nachbarn mit dem Sinn fürs Praktische. Der verwilderte Garten mit knorrigen Kirschbäumen, wo er stundenlang sitzen und den weißen Blüten beim Fallen zuschauen konnte, bis die Mutter rief: Thomas, träume nicht! Später hat er darüber geschrieben, wie er als Kind Klavierunterricht bekam und die Lehrerin ihm zuvor die Fingernägel verschnitt. Der Vater übte als dilettierender Sänger jeden Sonntagvormittag die Lieder nach Lyrik von Wilhelm Müller und Eichendorff.

Er habe nicht ahnen können, so Rosenlöcher, „dass mir ihr tröstlich-untröstlicher Ton seither immer nachgehen wird“. Die Musik war es auch, die ihn mit Dresden verband. Der Dichter Mörike kam als Seelenverwandter hinzu. Der musste auch alles selber erlebt und gesehen haben, das Wiesengrün und das Himmelsblau, um es beschreiben zu können. Dem klassischen Wortvorrat mischte Rosenlöcher ganz eigene Bilder bei von Barockschnee und Gänseblumengezwitscher, versetzte sie mit scharfen Widerhaken, wenn er Raketenplage und Drahtverhau ins Gedicht holte oder den Giftstaub, der auf Wiesen fällt. Ein moderner Romantiker. Ein Philosoph. Ein Moralist. Er beherrschte das poetische Handwerk, veröffentlichte Essays, Erzählungen und Kinderbücher, engagierte sich in der Sächsischen Akademie der Künste und als brillanter Vorleser – wo auch immer man sein selbstironisches Sächsisch hören wollte. Leider wurde es kaum festgehalten in Hörbüchern.

Vor allem aber war der Dichter ein kritisch liebender Dresdenbekenner. Auch deshalb warf er sich damals ins Zeug, um die Rotbuchen am Waldschlößchen vorm Fallbeil zu retten. „Jeder Angriff auf Dresdens Besonderheit ist ein Angriff auf meine schriftstellerische Existenz. Das kann bis zur persönlichen Beleidigung gehen, wenn ich nur an die Allerweltsbebauung auf dem Altmarkt oder der Prager Straße denke. Oder an den Historienkitsch im Umkreis der Frauenkirche.“

Auf der Flucht vor Neueigentümern war er mit seiner Familie nach Beerwalde an den Erzgebirgsrand gezogen. Die Stube bekam eine doppelte Decke. Unterm Dach schrieb der Dichter am Stehpult und sang seine Verse. Ein Wanderbüchlein hatte er angefangen, das kreuz und quer bis ins Vogtland führen sollte. Hinterm Haus steigt ein Feld hügelan. Dort steht das viel bedichtete Bäumel und daneben der Hochstand, für Thomas Rosenlöcher eine Landerampe für Engel. Mit einem „Zipfelchen der Ewigkeit“ schließt sein Alphabet des Wünschenswerten.