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Die Wiege der Roboter von morgen

Als Hund, als Koch oder Altenpfleger: An der TU Dresden werden intelligente Roboter entwickelt. Auch die Beziehung zwischen Mensch und Maschine wird erforscht. Wie werden wir mit ihnen zusammenleben?

Von Johannes Frese
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"Sir Barkalot" im Centrum für Taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) an der Dresdner TU. Foto: SZ/Veit Hengst
"Sir Barkalot" im Centrum für Taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion (CeTI) an der Dresdner TU. Foto: SZ/Veit Hengst © Foto: SZ/Veit Hengst

Mit zackigem Schritt marschiert Sir Barkalot den Flur entlang. Der lange Hals ist zurückgestreckt, wie bei einer Schlange kurz vor dem Angriff. Sein glatter weißer Körper dröhnt. Läuft er mit seinen athletischen Gliedmaßen auf einen zu, beginnen unweigerlich die Handflächen zu kribbeln: Hoffentlich will der nur spielen! Ganz so, als hätte dieser hundeähnliche Roboter ein eigenes Bewusstsein und würde nicht von einem freundlich lächelnden Doktoranden gesteuert. Seinen Spitznamen Sir Bark-a-lot ("Belle-viel") haben ihm Studenten am CeTI verliehen. Die Abkürzung steht für das "Centrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion" an der TU Dresden.

Sir Barkalot wurde vom amerikanischen Robotik-Unternehmen Boston Dynamics entwickelt. Ganz wie ein guter Hirtenhund dreht er etwa in Fabrikhallen eigenständig seine Runden und erkennt gefährliche Situationen, die menschlichen Beobachtern entgehen, zum Beispiel austretendes Gas oder Temperaturschwankungen. Im Nünchritzer Chemiewerk Wacker ist einer der Roboterhunde bereits unterwegs.

Schon heute spielen Roboter eine wichtige Rolle bei industriellen Fertigungsprozessen, in der Medizin und bei militärischen Operationen. In Zukunft werden sie auch unseren Alltag bevölkern – als Paketzusteller, Köche oder sogar Altenpfleger. Am CeTI in Dresden arbeiten Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen intensiv auf diese Zukunft hin. Wie wird unser gemeinsames Leben mit den Robotern aussehen?

Frank Fitzek sitzt in der Laborküche des CeTI. Über einer Kücheninsel hängen drei Roboterarme wie in einer Tesla-Fertigungshalle. Fitzek ist Professor für Kommunikationsnetze an der TU. Über seinem langen grauen Haar trägt er eine Baseballcap – eine Mischung aus Professoren-Look und Jugendlichkeit, die gut zu seiner futuristisch anmutenden Forschung passt. Zurzeit beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage, wie sich Sinneseindrücke wie Geruch und Berührung digital übertragen lassen.

Die Akzeptanz wird unterschiedlich sein

Noch am Vormittag war ein Dresdner Michelin-Koch zu Besuch, der dem Roboter an der Decke das Kochen beibringen soll, erzählt Fitzek. Hunderte Male müsse der Koch vorbeikommen, bis die Wissenschaftler hier seine Art zu kochen analysiert haben und den Roboter in die Lage versetzen können, etwa eine Zwiebel bis zum richtigen Bräunungsgrad zu braten.

Langfristig geht es Fitzek und seinen Kollegen um den Einsatz zu Hause – etwa bei älteren Menschen, die nicht mehr selbst kochen können. Sich von einem Roboter bekochen lassen? Fitzek wischt Bedenken zur Seite: "Das Massachusetts Institute of Technology hat dazu eine Studie gemacht. Je älter die Menschen, desto eher konnten sie sich vorstellen, einen Pflege-Roboter ins Haus zu lassen." Er fügt hinzu: "Aber ich denke, dass die Akzeptanz in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich ausgeprägt sein wird."

Professor Frank Fitzek forscht an Robotern, die künftig das Kochen oder Pflegetätigkeiten übernehmen könnten. Foto: SZ/Veit Hengst
Professor Frank Fitzek forscht an Robotern, die künftig das Kochen oder Pflegetätigkeiten übernehmen könnten. Foto: SZ/Veit Hengst © Foto: SZ/Veit Hengst

Fitzek weiß, wovon er redet. Letzten Sommer unternahmen er und sein Team im institutseigenen Bus eine Reise durch Europa mit Roboterhund Sir Barkalot. "Wenn ich hier mit ihm unterwegs bin, kommt auch mal ein negativer Spruch. Aber ab Italien haben die Leute es nur noch geliebt." Ein Kellner auf der Piazza Brà in Verona habe gleich sein Tablett auf den Roboterhund gestellt, es aber schnell wieder an sich gerissen. "Der hat auch verstanden: das ist ja sein Job."

Jobverlust durch Automatisierung – eine Sorge, die mit jeder anbrandenden technologischen Entwicklung erneut aufschwappt. Fitzek relativiert: Roboter seien zwar sehr gut in einfachen Aufgaben. Aber dafür werde der Einfallsreichtum des Menschen wichtiger. "Roboter werden ihn nicht ersetzen, sondern ergänzen." Nicht zuletzt darum gehe es den CeTI-Forschern – die Gesellschaft auf eine Zukunft vorzubereiten, in der Mensch und Maschine zusammenleben und voneinander lernen.

Die Stärke künstlicher Intelligenz

Ein Stockwerk tiefer betasten fünf schwarz glänzende Finger vorsichtig einen Tannenzapfen, drehen ihn langsam um die eigene Achse. Eine andere Hand befühlt einen Zauberwürfel, eine weitere einen Federball. Die Roboterhände drehen sich auf einem Bildschirm im Büro von Roberto Calandra.

Um zu verstehen, welche Rolle Künstliche Intelligenz bei der Entwicklung der Roboter von morgen spielt, muss man mit dem Informatik-Professor sprechen. Calandra hat im Silicon Valley gearbeitet und ein Roboterlabor bei Facebook aufgebaut. Seit einem Jahr forscht der gebürtige Italiener, der mit seiner kräftigen Statur und dem graumelierten schwarzen Bart an einen Opernsänger erinnert, am CeTI.

Auf einem gerahmten Foto in seinem Büro ist er als junger Student zu sehen. Neben ihm ein älterer Herr mit akkuratem Scheitel und Anzug. Es ist Teuvo Kohonen, einer der Wegbereiter der Künstlichen Intelligenz. Roberto Calandra las sein Buch und ging deshalb an die Technische Universität von Helsinki. Erst zwei Tage vor Abreise begegnete er seinem Vorbild durch Zufall. Calandra lacht leicht verlegen auf dem Foto, aber er wirkt überglücklich.

In einer Ecke seines Büros steht eine Kiste mit buntem Spielzeug in unterschiedlichen Formen. "Die Hand ist in der Lage, jeden Gegenstand zu drehen, den wir ihr geben", sagt Calandra. "Das ist nur dank Künstlicher Intelligenz möglich."

Mit dem Tastsinn die Welt entdecken

In der klassischen Robotik musste alles von Menschenhand festgelegt werden: das exakte Maß an Druck, das nötig ist, um verschiedene Objekte zu halten und zu drehen, ohne dass sie herunterfallen. Die Eigenschaften des Objektes – schwer oder leicht, rau oder glatt. Die gesamte Vielfalt der realen Welt musste dem Roboter mühsam einprogrammiert, sein Lernprozess von Studenten überwacht werden. Eine quälend langwierige Aufgabe. Dank Künstlicher Intelligenz ist die Hand nun in der Lage, durch viele Versuche selbstständig den richtigen Griff und das ideale Maß an Kraft für einen bestimmten Gegenstand herauszufinden. Aus den Erfahrungen, die sie macht, kann sie ihre eigenen Schlüsse ziehen. "Künstliche Intelligenz ist fähig, zu generalisieren und sich der Unordnung der echten Welt anzupassen", sagt Calandra.

Doch um sich die Welt zu erschließen, benötigt die Künstliche Intelligenz Sinnesorgane. "Der Tastsinn ist unheimlich wichtig für uns Menschen", erklärt der Professor. "Er streicht mit einer Hand über ein metallisches Teesieb, das auf seinem Schreibtisch liegt. Physiologische Studien zeigten, dass Menschen mit betäubtem Tastsinn selbst einfache Aufgaben wie das Greifen eines Gegenstandes nur mit größter Schwierigkeit bewältigen können. In der Entwicklung intelligenter Roboter spielt der Tastsinn daher eine entscheidende Rolle.

Professor Roberto Calandra trainiert Roboterhände so, dass sie lernen, jeden erdenklichen Gegenstand zu greifen. Foto: SZ/Veit Hengst
Professor Roberto Calandra trainiert Roboterhände so, dass sie lernen, jeden erdenklichen Gegenstand zu greifen. Foto: SZ/Veit Hengst © Foto: SZ/Veit Hengst

Mit seinem Team hat Calandra einen Sensor entwickelt, der in der Lage ist, die Oberflächenstruktur von Gegenständen bis zu einer Auflösung von 50 Mikrometern abzubilden – also etwa die Oberfläche eines menschlichen Haares. Es ist die primitive Grundlage dessen, was in einigen Jahren der Finger eines Roboters sein könnte.

Calandra und sein Team arbeiten bereits an einem Sensor in der Größe eines menschlichen Fingergliedes. "Nach dem Sehen und Hören ist das Fühlen der nächste Sinn, den wir digitalisieren werden", davon ist Calandra überzeugt. Das würde nicht nur die Entwicklung humanoider Roboter voranbringen. Er hofft, dass eines Tages auch Menschen mit künstlichen Gliedmaßen Berührungen dank digitalem Tastsinn wieder spüren können.

Das unheimliche Tal

Doch Berührungen helfen uns nicht nur, die Welt um uns herum zu entdecken. Sie tragen auch dazu bei, dass wir anderen vertrauen.

Irene Valori erforscht am CeTI die emotionale und soziale Wirkung von Berührungen. Zwischen Informatikerinnen und Ingenieuren ist die Psychologin dafür zuständig, die Science-Fiction-Vision einer Zukunft, in der Mensch und Roboter sich jeden Alltagsbereich teilen, kritisch abzuklopfen. "Manche Menschen empfinden es als angenehm und tröstend, von Robotern berührt zu werden. Andere erleben diese Berührung als unangemessen und übergriffig." Eine wichtige Rolle spiele dabei die individuelle Einstellung gegenüber Technologie, erklärt Valori. "Menschen, die technologischen Entwicklungen gegenüber offener sind, erleben Berührungen durch Roboter eher als angenehm."

Wie menschlich muss ein Roboter wirken, damit Menschen ihm überhaupt Vertrauen schenken?

Besser weniger als mehr, wenn es nach der Psychologin geht. Das unbedingte Streben nach größtmöglicher Ähnlichkeit zum Menschen hält sie für einen zwiespältigen Weg. Der könne ins sogenannte "Uncanny Valley" führen. Mit dem Begriff des "Unheimlichen Tals" beschrieb der japanische Robotiker Masahiro Mori seine Beobachtung, dass Menschen Roboter umso unheimlicher finden, je mehr sich ihr Äußeres einem Menschen annähert. Sehr menschenähnlich und doch anders – diese Beschreibung trifft auch auf Zombies zu.

Das Gehirn, erklärt Irene Valori, sei jedoch sehr gut darin, Menschlichkeit in den einfachsten Objekten zu sehen. Dafür brauche es keine aufwendige Illusion von Menschlichkeit. "Es geht weniger darum, das perfekte Produkt zu erschaffen", sagt Valori. "Sondern darum, dass seine Eigenschaften Erwartungen wecken, die es auch erfüllen kann. Dann können wir ihm vertrauen."

Vertrauen – dieser Begriff taucht in Gesprächen mit den Wissenschaftlern häufig auf. In der aktuellen Hochphase Künstlicher Intelligenz gewinnt er neue Bedeutung. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis ein Roboter uns Ratatouille kocht oder liebevoll eine Hand auf die Schulter legt. In den nächsten Wochen trifft der erste humanoide Roboter am CeTI ein. Der nächste Schritt auf dem Weg in die gemeinsame Zukunft von Mensch und Roboter.