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Der "Wilde Westen" bei Sarrasani in Dresden

Vor allem Karl May ist es zu verdanken, dass die Dresdener ein besonderes Faible für amerikanische Ureinwohner hatten. Schon vor 110 Jahren wusste der damalige Zirkus Sarrasani dieses Interesse geschäftlich zu nutzen.

Von Ralf Hübner
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Siouxs ehren Karl May an seiner letzten Ruhestätte in Radebeul: Sioux-Häuptling Big Snake, der Dresdner Generalkonsul der USA Arminius T. Haeberle, Zirkusdirektor Hans Stosch-Sarrasani, Schriftsteller, Museologe und Indianerforscher Patty Frank und Euchar
Siouxs ehren Karl May an seiner letzten Ruhestätte in Radebeul: Sioux-Häuptling Big Snake, der Dresdner Generalkonsul der USA Arminius T. Haeberle, Zirkusdirektor Hans Stosch-Sarrasani, Schriftsteller, Museologe und Indianerforscher Patty Frank und Euchar © Repro Postkarte

Dresden. Seit Karl May seine Abenteuerromane über den Wilden Westen mit den Helden Winnetou und Old Shatterhand zu Papier gebracht hat, erfreuen sich die indigenen Völker Nordamerikas in Dresden besonderen Interesses. Vor 110 Jahren schlug der Kult besonders hohe Wellen, als am 14. März 1913 eine erste Gruppe von Sioux-Angehörigen am Hauptbahnhof eintraf, die im Zirkus Sarrasani gastieren sollten. Sie wurden zu einem Markenzeichen des Zirkus. Edward Two-Two, der Chef der Gruppe, wurde später auf eigenen Wunsch in Dresden beerdigt.

"Indianer kommen!", überschrieben die Dresdner Nachrichten ihren Bericht damals. Dresdner Schüler hatte dem Bericht zufolge teilweise frei bekommen. Sie seien in Massen herbeigeströmt, "um die leibhaftigen Gestalten ihrer phantastischen Träume von Angesicht zu Angesicht zu sehen". Die Polizei habe mit Mühe und Not ein wenig Ordnung in die wogenden Massen auf dem Wiener Platz gebracht. Unter schmetternden Trompetenklängen sei die Ehreneskorte des Zirkus Sarrasani durch die Prager Straße geritten gekommen. Da seien im Seitenportal der Bahnhofshalle "die vertrauten Federbüsche" aufgetaucht. Das Gedränge sei geradezu beängstigend gewesen. 18 Pferde seien bestiegen worden und dann sei es im Triumphzug durch die Prager Straße gegangen.

Erfundene Geschichten in Umlauf gebracht

Amerikanische Ureinwohner waren zur Jahrhundertwende nicht zuletzt durch die Romane Karl Mays in Deutschland sehr populär. Mit "Buffalo Bill's Wild West" kamen das erste Mal auch welche in einer Show 1887 nach London und 1890 nach Wien. Die Initiative für das Engagement bei Sarrasani war von der Agentur der Gebrüdern Miller in Oklahoma ausgegangen, die 1908 mit dem Zirkusmann Edward Arlington die "Ranch 101" gegründet hatten, eine Wild-West-Show. Die Bedingungen im Vertrag mit Sarrasani waren zwar gepfeffert. Doch der Zirkusdirektor hoffte dennoch auf gute Gewinne, denn bis dahin hatte kein anderer Wanderzirkus eine solche Show im Programm.

Sarrasani ließ die Werbung anlaufen. Das Pressebüro brachte teilweise frei erfundene Geschichten in Umlauf, wie jene, dass Sarrasani angeblich einen Vertrag mit mehr als 400 Paragrafen mit der Regierung der Vereinigten Staaten geschlossen habe. Für jeden der 22 Ureinwohner hätten 10.000 Goldmark in Washington hinterlegt werden müssen. Zudem sei Direktor Hans Stosch verpflichtet worden, jeden Mann mindestens ein Mal im Jahr "zum Weibe zu führen".

Wie sich später herausstellte, war in Wahrheit ein Vertrag geschlossen worden, wie er einem üblichen Künstlerengagement entsprach. Two-Two und seine zumeist Familienangehörigen kamen auch nicht direkt aus den USA, sondern aus Hamburg, wo sie zuvor ein Engagement bei der Völkerschau des Tierparks Hagenbeck hatten.

Indigenes Familienleben gemimt

Anfang April gab es im Zirkus das erste Mal "Wild-West": "Exotisches Schauspiel in vier Bildern mit kinematografischen Zwischenspielen", hieß es in einer Anzeige. "Wild-Weset" zaubere kein Theater, sondern eine naturgetreue, wissenschaftlich nachprüfbare Wiedergabe des Lebens in der Prärie. Eine "spannende, allgemeinverständliche Handlung voll aufregender Kämpfe in den Felsen", wurde angekündigt. Ein echtes und unverfälschtes Circusspiel mit mehreren hundert Rossen und Reitern und tollkühnen Kunststücken, mit Virtuosen des Tomahawks, echte Sioux und echte Cowboys. "Das grandioseste circensische Schauspiel, das Dresden je sah."

Die Kritik in der Presse fiel nach der Vorstellung zwar nüchterner aus, bestätigte aber die fantastische Wirkung der Schau. Die Künstlergruppe zog mit dem Zirkus von Stadt zu Stadt. Dabei wirkten die Akteure nicht nur in den Vorstellungen mit. Ähnlich wie bei Völkerschauen mussten sie auf dem Gelände indigenes Familienleben mimen. Dabei soll es durchaus zu herzlichen Begegnungen mit Besuchern gekommen sein, die den Ureinwohnern Bewunderung und Verehrung entgegenbrachten, wie der Zirkusexperte Ernst Günther in einem seiner Bücher schrieb.

Bereits auf einer Postkarte von 1908/09 wurde mit der Wild-West-Show bei Sarrasani geworben.
Bereits auf einer Postkarte von 1908/09 wurde mit der Wild-West-Show bei Sarrasani geworben. © Repro Postkarte

Jene erste Gruppe blieb bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei Sarrasani. Nach dem Krieg gelang es Zirkusdirektor Hans Stosch 1926 abermals, eine Gruppe zu engagieren. Bis 1937 folgten immer weiterer Gruppen. Doch die Künstler jetzt waren im Grunde nur noch einfache Amerikaner, die Smith, Brown oder Miller hießen. Ganz unromantisch. Der Zirkusdirektor verlieh ihnen deshalb Namen wie White Eagle, Big Snake oder Black Horse und staffierte sie aus, als seien sie Karl-May-Romanen entsprungen.

Der Direktor ernannte die Häuptlinge und bestimmte deren Alter – mindestens 80 Jahre. Weniger einfach war es, sie im Gebrauch von Pfeil und Bogen zu unterrichten und den Frauen das Sticken bunter Perlmuster beizubringen. Auf dem Zirkushof wurde ein "Indianerdorf" aufgebaut, in denen Männer, Frauen und Kinder das Leben zelebrierten. In den Vorstellungen spielten sie abenteuerliche Action-Szenen.

Nie fehlen durfte der Überfall auf eine Postkutsche, der zuvor mit Oberregisseur und dem Clown Magrini einstudiert worden war. Bei Paraden schritten sie würdevoll im Federschmuck daher. Regelmäßig standen Besuche des Grabmals von Karl May auf dem Programm. Als besonders werbewirksam erwiesen sich Empfänge durch die Oberbürgermeister der Städte, in denen der Zirkus gastierte. Auch der Dresdner Oberbürgermeist Bernhard Blüher konnte 1926 zu einem solchen Empfang bewegt werden. Ähnliches Interesse für indigene amerikanische Kultur erzielten nach dem Krieg erst wieder die Filme in der Bundesrepublik und der DDR.