Was der Pilzprofi in der Dresdner Heide alles findet

Dresden. Ein Gallen-Täubling, vermutet Stefan Zinke nach einem kurzen Blick auf den unscheinbaren Pilz zwischen buntem Herbstlaub. "Schön scharf" schmeckten die, sagt der Pilzsachverständige und zieht ihn aus dem feuchten Waldboden. Brennend scharf sogar, korrigiert er. Aber erst die Geruchsprobe. Wie vermutet: fruchtig. Außerdem hat er gelbe Lamellen. Recht leicht zu bestimmen, der Gallen-Täubling.
Trotzdem beißt Stefan Zinke nun ein Stück aus dem Schirm des als ungenießbar geltenden Pilzes. "Oh. Ja. Wirklich brennend scharf." Er spuckt das Stück schnell wieder aus. Manchmal verlangt die Pilzleidenschaft auch einem Sachverständigen viel ab.
Beim Gang mit Zinke durch die Dresdner Heide in Klotzsche lernt man vor allem eines: Pilzbestimmung hat mit allen Sinnen zu tun. Zwei Stunden lang hält der Dresdner sich Pilz um Pilz unter die Nase, streift über Lamellen, um zu sehen, ob sie splittern, bricht Stiele, um zu sehen, ob Milch kommt, und kaut immer wieder kurz auf einem Stück, um zu kosten, ob der Pilz scharf oder bitter schmeckt. Und wenn er nicht ganz sicher ist, landet das Exemplar unter seinem Mikroskop.
So wie der Pilz, den Zinke relativ zum Anfang dieser Suche Ende Oktober nahe dem Forsthaus in Klotzsche entdeckt. Seine Neugier ist geweckt. "So süßlich wie das Ding riecht, wäre es ein Rötelritterling. Dann wäre er essbar. Er schmeckt mild, ich habe gekostet. Aber ich müsste ihn zu Hause erst aussporen lassen und dann nach der Sporenpulverfarbe bestimmen."
Der kleine Pilz landet in seinem Korb, die Mühe wird sich der Pilzsachverständige machen, obwohl er später noch einige leckere Violette Rötelritterlinge finden und mitnehmen wird. "Meistens bin ich ja nicht auf Nahrungssuche im Wald, sondern auf Erholung und spannende Funde fürs Mikroskop aus", erklärt Zinke.

An einen violetten Pilz trauen sich wahrscheinlich nicht viele Sammler, aber der Profi sagt, nach der Farbe brauche man nicht zu gehen. "Es gibt schöne violette giftige und sehr leckere violette wie den Rötelritterling." Und auch dem Geruch dürfe man nicht trauen. "Der Grüne Knollenblätterpilz zum Beispiel riecht honigartig und ist tödlich giftig." Der Camembert-Täubling, den Zinke irgendwann findet, riecht tatsächlich recht ansprechend nach dem Käse, schmeckt aber brennend scharf und ist daher auch kein Speisepilz.
Andersherum funktioniere es mit dem Geruch schon eher: Was für einen selbst schon nicht angenehm rieche, sollte man besser zurücklassen. Nebelkappen, die im Spätherbst überall reichlich wachsen, riechen für Zinke eklig süßlich, parfümiert. Heute weiß man, dass sie krebserregende Stoffe enthalten. "Wir als Pilzsachverständige geben die nicht mehr frei."
Und dann gibt es noch die kuriosen Gerüche wie den des Eichen-Heringstäublings, der tatsächlich nach Fisch riecht. Manche Düfte kann aber nur der Pilzprofi erkennen und beschreiben. "Der Schwefelritterling riecht nach Leuchtgas", sagt Zinke. Den Geruch kenne er, weil Anfang der 90er-Jahre in seiner Sporthalle mal eine Neonröhre von der Decke gekommen sei. Ein anderer Pilz rieche wie eine kalte Dampflok, manche Arten röchen nach Weidenbohrerraupe, der Eichen-Milchling nach Blattwanze.
Über 1.000 Arten kennt der Pilzsachverständige
Die Faszination für Pilze stammt schon aus Stefan Zinkes Kindheit. Mit vier, fünf Jahren geht er mit auf die Suche in den Wald, seine Eltern und Großeltern zeigen ihm die wichtigsten Speisepilze: Maronen, Steinpilze, Pfifferlinge, Rotfußröhrlinge, Ziegenlippen. Er ist so begeistert davon, dass er sich bis zum Alter von etwa zwölf Jahren die wichtigsten Röhrlinge selbst beibringt, um sie sicher bestimmen zu können.
Richtig ernst mit den Pilzen wird es dem heute 40-Jährigen dann wieder ab 2006, nach seinem Chemiestudium: Er will Pilzsachverständiger der Deutschen Gesellschaft für Mykologie werden. 2012 geht dieser Wunsch in Erfüllung, ein Jahr später fängt er damit an, Pilze auch zu kartieren. Über 1.000 Arten kennt der Dresdner heute, darunter auch Brandpilze, Mehltaue und mehr. Wer heute Pilze sammelt und sich unsicher ist, was er da im Korb hat, kann Stefan Zinke drauf schauen lassen.
Der wundert sich manchmal, zum Beispiel, wenn wie vor Kurzem zwei Frauen mit Plastiksäcken voller Pilze vor ihm stehen. Ein absolutes No-Go, erklärt er, nicht nur, weil die Sammelmenge viel zu hoch ist. "Pilze müssen atmen und in Plastik verderben sie recht leicht."
Auch einen Stoffbeutel sollte man nur im Notfall nehmen, besser ist immer ein Korb mit großer Bodenfläche, damit die Pilze nicht gequetscht werden. Pro Sack konnte er dann auch nur vier, fünf Pilze retten, der Rest landete im Biomüll. "Man sollte maßvoll und sinnvoll sammeln", sagt Zinke. "Nicht alles, was nach Pilz aussieht."
"Hallimasch esse ich nicht so gerne"
Obwohl Zinke kaum die Waldwege in der Heide verlässt, macht er an diesem Tag selbst Fund um Fund, lässt das meiste aber stehen, oder untersucht es nur kurz. Täublinge, von denen viele Arten essbar sind, einen Süßlichen Buchen-Milchling (kein Speisepilz), winzige Mäuseschwanz-Rüblinge
an
einem Kiefernzapfen (essbar, aber unergiebig), einen alten Rotfuß-Röhrling (nicht mehr essbar), wunderschöne Perlpilze (essbar, aber etwas herb), eine kleine, angefressene Marone und immer wieder Hallimasch. "Für viele ist das ein beliebter Speisepilz", sagt Zinke, "aber ich esse ihn nicht ganz so gern, weil man ihn erst überbrühen muss oder sehr lange durchgaren, denn roh ist er tödlich giftig."
Der Fund, der ihn wirklich begeistern würde, ist aber noch nicht dabei. Röhrlinge wären schön, sagt Zinke und geht das erste Mal nach rechts vom Weg ab, wo er sie zwischen einer Gruppe von Bäumen vermutet. Und tatsächlich: Was wegen des leicht feuchten, dunklen Huts erst aussieht wie eine fette Kröte, ist ein Flockenstieliger Hexen-Röhrling. "Ein sehr schmackhafter Speisepilz", schwärmt Zinke, fest, fast nie madig - "man muss ihn nur sicher erkennen". Schneidet man ihn an, wird er sofort tiefblau, daher auch der Name.

Einziges Manko: "Man muss ihn verdammt gut durchgaren, denn roh ist er giftig." Eine halbe Stunde müsse man ihn schon braten. Zinke trocknet den Pilz auch gerne für Soßen - und freut sich, als er gleich noch einen findet.
Langsam schwindet das letzte Tageslicht und die Pilze heben sich kaum noch vom herumliegenden Laub ab. Einer aber sticht doch noch heraus, ein Fliegenpilz wie aus dem Märchenbuch. Kann Zinke sich auch noch für solche Allerweltspilze begeistern? "Für mich ist er immer wieder hübsch", sagt der Pilzsachverständige. "Ein, zwei Fliegenpilzfotos im Jahr müssen sein." Einmal hat er eines gemacht, auf dem der Pilz ein Häubchen aus Schnee hatte, wunderschön sah das aus.

Apropos: Wenn das Wetter nicht zu kalt wird, kann man noch bis in den Dezember oder sogar Januar ein paar spannende Funde machen, sagt Zinke. Für seine Eltern hat es sich übrigens gleich doppelt gelohnt, den Sohn so früh mit auf die Pilzsuche genommen zu haben. Die in Dresden gesammelten Exemplare - mit Ausnahme derer, die unter Zinkes Mikroskop landen werden - bekommen die Eltern für eine leckere Pilzpfanne.