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Katie Melua in Dresden: So säuselt der Weltfrieden

Hier verlieben sich selbst ärgste Feinde – eine entspannte Katie Melua gibt in der Jungen Garde in Dresden viel von ihrem privaten Glück weiter. Wegen eines Notfalls muss das Konzert kurz unterbrochen werden.

Von Tom Vörös
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Katie Melua verzauberte am Samstag die Junge Garde in Dresden.
Katie Melua verzauberte am Samstag die Junge Garde in Dresden. © Thomas Kretschel

Weniger ist mehr. Bei Katie Melua sowieso. Am Sonnabend in der Dresdner Freilichtbühne Junge Garde wurde diese Phrase prallvoll mit Inhalt gefüllt. Das bescheidene Musik-Besteck aus Schlagzeug und Gitarren wirkte auf der großen Bühne derart verloren, dass man schnell ins Witzeln kommen konnte. In der locker gefüllten Garde ist man ja an andere musikalische Materialschlachten gewöhnt.

Umso präsenter und voller wurde der Eindruck, als eine Katie Melua die Bühne mit ihrer tiefenentspannten Präsenz und neun Millionen Fahrrädern füllte. Ihr wohl bekanntestes Lied, „Nine Million Bicycles“, ist gleich das erste. Darüber waren vielleicht alle froh, die vor allem gespannt auf die neuesten Kreationen aus dem Hause Melua. Optisch wusste das türkise Designerkleid über die anfängliche, seichte Langeweile zu triumphieren. Denn erst Lied für Lied verwandelte sich die bloße Entspannungskur in eine kreative Klangreise. Ein guter Kurzurlaub war auch nötig, denn die bis zu 95 Euro teuren Tickets sollten auf jeden Fall vom Ohr absegnet werden.

Sehnsucht nach Georgien

Bei Katie Melua geschieht das alles gefühlt so langsam wie vielleicht vor 100 Jahren. Ein Grund ist sicher auch, dass die 1984 in Georgien geborene Sängerin, popmusik-untypisch, kaum zu Gefühlsausbrüchen neigt, weder beim Singen noch beim Sprechen. Zuweilen übernehmen das ihre hervorragend eingespielten Mitmusiker am Instrument. Etwa wenn der Gitarrist teils komplexe Melodieläufe durch die Boxen schickt und der Schlagzeuger sich im Hintergrund an den Trommeln durch die grazilen Popsongs wirbelt.

Katie Melua „sirent“ sich derweil mit samtweicher Stimme derweil in höchste Höhen und mit Heimatbezug. Über ihre teils nüchternen Ansagen dazu lässt es sich schmunzeln: „Ich spiele jetzt zwei Lieder über die Erinnerungen an meine ehemalige Heimat Georgien. In den einen geht es um die Berge, in dem anderen um den Fluss.“ Kein Wort verliert sie im übrigen über den ehemaligen Krieg mit dem Nachbarland oder aktuelle Geschehnisse.

Melua trat im blauen Designerkleid auf.
Melua trat im blauen Designerkleid auf. © Thomas Kretschel
Die Junge Garde in Dresden ist an diesem Samstagabend sehr gut besucht.
Die Junge Garde in Dresden ist an diesem Samstagabend sehr gut besucht. © Thomas Kretschel
Die gebürtige Georgierin teilte auf der Bühne manch Persönliches - zum Beispiel ihre Gedanken zum Tod ihres ehemaligen Psychaters.
Die gebürtige Georgierin teilte auf der Bühne manch Persönliches - zum Beispiel ihre Gedanken zum Tod ihres ehemaligen Psychaters. © Thomas Kretschel

Und so schwelgt man unpolitisch, fast biedermeierhaft, weiter in den vielen gut komponierten Liedern und einer Stimme, die das sonst so gekünstelte Popmusik-Genre zum natürlichsten der Welt werden lässt. Die Dame verlängert ihre Anmut einfach hinein in den Gesang. Für die Überschläge, Saltos und Stimmband-Pirouetten sind andere zuständig. Vermisst werden sie hier jedenfalls nicht.

Katie Melua schafft es aber auch verbal, das Weniger im Ton in ein Mehr für die Fantasie zu verwandeln. Zum Beispiel als sie von ihrem Tag in Dresden berichtet. Ganz reduziert, versteht sich: „Ich bin heute durch diese wunderschöne Stadt gelaufen. Und ich habe Salsa getanzt.“ Ist das tatsächlich diese in sich ruhende Dame auf der Bühne, die gemächliche Liebeslieder zum Träumen intoniert? Mit „Wonderful Life“ liefert sie eine erfrischende Cover-Version des Songs 1986er-Song von Black. Und während sie sich so durchs Konzert singt und vor Glück lächelt, kommt man nicht umhin zu spüren, dass sie genau das gerade hat, dieses wundervolle Leben. Vorbei die Zeit der Trennung vom ehemaligen britischen Motorradrennfahrer James Toseland. Sicherlich ist es auch die Tatsache, dass Melua im November letzten Jahres Mutter eines Sohnes geworden ist. Und sie von ihrem jüngeren Bruder virtuos an der Gitarre begleitet wird.

Vertrauensbildung auf Deutsch

Aber auch das Wohl ihres Publikums ist ihr offensichtlich ein Anliegen. Als jemand abzuklappen droht und von Rettungssanitätern versorgt werden muss, ist auch Katie Melua zur Stelle und unterbricht sofort das Konzert mitten in einem Lied. Erst nach der Entwarnung geht es weiter. Auch, und für einige überraschend, mit einem entzückenden Lied auf Deutsch. Melua spricht zwar nur Georgisch, Russisch und Englisch, formte aber 2017 schon mal mit Peter Maffay deutsche Worte.

In Richtung Finale wird Melua aber dann doch noch offener und kündigt ein Lied über ihren ehemaligen und kürzlich verstorbenen Psychiater an. „Um 2010 hatte ich große Probleme mit einem Burnout“, sagt sie. „Aber er half mir damals heraus aus dem Loch. Er hatte sogar eine E-Gitarre im Behandlungszimmer hängen.“

Und warum Melua überhaupt schon so lange auf der Bühne steht, das besingt sie mit ihrem inzwischen 20 Jahre alten, ersten Erfolgssong von 2003, „The Closest Thing To Crazy“. Auch ein romantisches Lied, wie so viele im Leben der Wahl-Britin. In einem früheren Interview beklagte sie einmal, dass das Tourleben naturgemäß problematisch für Beziehungen ist.

Nach diesem höchst erbaulichen Konzerterlebnis darf man aber davon ausgehen, dass Katie Melua selbst auf Tournee inzwischen einem „Wonderful Life“ sehr nahe kommt. Auch wenn sie in der Zugabe mit angestaubten „I Cried For You“ noch mal kräftig in die Gefühls-Schattulle greift.