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Architekt Daniel Libeskind mit "Dresden-Preis" geehrt

Um Romantik, das Schicksal Dresdens, den Ukraine-Krieg und Klima-Aktivismus ging es am Sonntag in der Semperoper bei der Verleihung des Dresdner Friedenspreises. Den Preis erhielt Daniel Libeskind.

Von Birgit Grimm
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Daniel Libeskind erhielt die von Thomas Onißeit gestaltete Preisskulptur: einen Sandstein aus einem 1945 in Dresden zerstörten Bürgerhauses. Der Designer Thomas Onißeit schuf die Skulptur.
Daniel Libeskind erhielt die von Thomas Onißeit gestaltete Preisskulptur: einen Sandstein aus einem 1945 in Dresden zerstörten Bürgerhauses. Der Designer Thomas Onißeit schuf die Skulptur. © Sebastian Kahnert/dpa

Dresden. Besser hätte diese Gala am Sonntagmittag in der Dresdner Semperoper nicht zu Ende gehen können. Nach mehr als zwei Stunden kluger, klarer Worte und ergreifender Musik war die Interpretation des Songs „Try“ des Electro-Pop-Duos Ätna aus Dresden ein herzerwärmendes und Hoffnung stiftendes Finale des 14. Internationalen Friedenspreises Dresden.

„Wenn du denkst, du kannst es nicht – versuche es!“, sang Inéz Schäfer, die bei diesem Auftritt von ihrem Partner Demian Kappenstein begleitet wurde und außerdem so überraschende wie kongeniale Begleiter hatte: das Dresdner Stahlquartett und den Cellisten Jan Vogler.

Zudem hätten die Ausrichter des Preises, die Klaus Tschira Stiftung und der Verein Friends of Dresden sowie die Sächsische Staatsoper keinen passenderen Hintergrund finden können für den Preisträger 2023, den Architekten Daniel Libeskind. Die Instrumente des Stahlquartetts sind so außergewöhnlich wie die Bauten von Daniel Libeskind.

Emotionale Schlussperformance der Preisgala: Das Dresdner Stahlquartett, der Cellist und das Duo Ätna interpretieren gemeinsam den Ätna-Song "Try".
Emotionale Schlussperformance der Preisgala: Das Dresdner Stahlquartett, der Cellist und das Duo Ätna interpretieren gemeinsam den Ätna-Song "Try". © kairospress

Den Preis bekam der in Polen geborene Amerikaner, der aus New York angereist war, weil er „wie kaum ein anderer Architekt in den letzten Jahrzehnten einen so angemessenen architektonischen Rahmen für das Erinnern an die Opfer von Holocaust, Krieg und Terror geschaffen hat“: das Jüdische Museum in Berlin, die Militärhistorischen Museen in Dresden und Manchester, den Masterplan für Ground Zero in New York, das Mahnmal mit den 102.000 in KZ umgekommenen Juden, Sinti und Roma in Amsterdam, aber auch das unvollendete, in den Fundamenten steckengebliebene Kurdistan-Museum im Irak oder das geplante Zentrum für Frieden und Versöhnung von Protestanten und Katholiken im nordirischen Belfast.

Träume von Freiheit und weiße Wände

Laudatorin Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sprach zuerst über Libeskinds jüngstes Projekt, die Ausstellungsarchitektur der großen deutsch-russischen Romantikausstellung „Träume von Freiheit“, die zuerst in der Moskauer Tretjakow-Galerie und dann im Dresdner Albertinum zu sehen war. Kurz nach Ende der Schau vor einem Jahr überfiel Russland die Ukraine. Inzwischen wurde die Direktorin der Tretjakow-Galerie aus dem Amt entfernt, haben russische Kuratoren, die an der Schau beteiligt waren, Moskau verlassen und arbeiten nun in Dresden.

Marion Ackermann beschrieb die Labyrinthe, die Libeskind in der Ausstellung schuf. Da endeten Blickachsen mit weißen Wänden statt mit der Ansicht eines Hauptwerkes: „Man verlief und man verlor sich“, sagte sie. „Um die Epoche der Romantik zu verstehen, muss man sich in die Tiefen des Verlorenseins begeben.“ Wie kein anderer verstehe es Libeskind, Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit zu verknüpfen. „Seine Baukörper sind wie Bücher mit aufgeblätterten Seiten“, sagte sie.

Libeskind selbst sprach darüber, wie schwierig es sei, Erinnerungsarchitektur zu entwerfen. Wenn man sich in Dresden umschaue in dieser lebendigen und modernen Stadt, dann könne man leicht vergessen, wie zerstört sie 1945 war. „Wie leicht verblassen die Narben des Krieges, wie schnell erobert sich die Natur das blutigste Schlachtfeld zurück. Frieden ist nur möglich, wenn wir uns bewusst erinnern, sonst löscht die Zeit alles aus.“

Wenn er ein Projekt annehme, das sich mit Krieg und Gewalt befasst, dann versuche er die Erwartungen der Menschen aufzurütteln, neue Horizonte zu schaffen: „Damit sie das Erdbeben spüren, das darunter liegt“, sagte der 76-Jährige. Seiner Ansicht nach liegt ein wesentlicher Grund für neue Konflikte in der Gleichgültigkeit vieler Menschen.

Der Klima-Anwalt Roger Cox (l.) erhielt nachträglich überreicht den Dresden-Pries 2022. Daniel Libeskind (M.) ist der Preisträger dieses Jahres, und Gerhart Baum (r.) erhielt den Ehrenpreis, der zum ersten Mal vergeben wurde.
Der Klima-Anwalt Roger Cox (l.) erhielt nachträglich überreicht den Dresden-Pries 2022. Daniel Libeskind (M.) ist der Preisträger dieses Jahres, und Gerhart Baum (r.) erhielt den Ehrenpreis, der zum ersten Mal vergeben wurde. © kairospress

Diesen Gedanken äußerten am Sonntag auch die 20-jährige Helena Marschall, die die Laudatio auf den Dresdner Friedenspreisträger des Vorjahres hielt, den niederländischen Klima-Anwalt Roger Fox. Die Preisgala im Februar 2022 musste wegen Corona abgesagt werden. Fox hatte im Mai 2021 vor einem niederländischen Gericht einen spektakulären, richtungsweisenden Prozess gewonnen: Im Auftrag einer niederländischen Umweltorganisation hat er Shell verklagt.

Der Ölkonzern wurde dazu verurteilt, seine Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2019 zu senken . „Der Klimawandel ist in dieser Zeit die größte Bedrohung des Friedens“, sagte die Aktivistin. Hoffnung dürfe man nicht haben, man müsse sie schaffen, sie jeden Tag neu erbauen, so Helena Marschall.

Eine kleine Gruppe verändert die Welt

Roger Cox sagte in seiner Dankesrede, dieses Urteil habe gezeigt, dass eine kleine Gruppe die Welt verändern könne. Nichts zu unternehmen gegen den Klimawandel sei eine Menschenrechtsverletzung: „Die junge Generation hat das verstanden. Aber sie kann nicht einsehen, dass Wirtschaft und Politik nicht schneller handeln.“

Zum ersten Mal wurde ein Ehrenpreis verliehen. Er ging an den Juristen und Politiker Gerhart Baum, für den Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert die Laudatio hielt. Der 90-jährige gebürtige Dresdner, Sohn einer Russin, Enkel eines Ukrainers, hat unlängst russische Befehlshaber wegen Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine angeklagt. „Wenn die Ukraine den Krieg verliert, verlieren wir alle“, sagte er. „Wir müssen der Ukraine zur Seite stehen.“ Er bekam Beifall, als er daran erinnerte, dass auch Hitler 1945 nur mit Gewalt besiegt werden konnte.

Es sei schwierig, das richtige Maß an Hilfe für die Ukraine zu finden, hatte auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in seinem Grußwort gesagt. Man müsse verantwortungsvoll mit der Situation umgehen und dabei die Zukunft im Blick behalten, sodass ein Zusammenleben auch nach dem Krieg möglich sei. Ohne Erinnerung keine Zukunft. „Dresden ist ein guter Ort des Erinnerns“, sagte Marion Ackermann. „Und weil die Erinnerungsrituale hier auch missbraucht werden, ist dieser Preis so wichtig.“