SZ + Feuilleton
Merken

Ein Königsspiel zum 300. Geburtstag

Kunst für Sachsen: In einer Serie stellen wir bedeutende Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vor. Heute: Ein Prunkschach aus Elfenbein und Ebenholz fürs Grüne Gewölbe.

 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Ausstellungen des Historischen und des Neuen Grüne Gewölbes befinden sich im Dresdner Schloss.
Die Ausstellungen des Historischen und des Neuen Grüne Gewölbes befinden sich im Dresdner Schloss. © SAE Sächsische Zeitung

Von Marius Winzeler

Seit Jahrhunderten repräsentieren Schachbretter und zugehörige Figuren die Königsdisziplin unter den Spielen. Kostbare Exemplare gehören deshalb seit jeher zu den Prunkstücken des Grünen Gewölbes. Zum 300. Geburtstag des Schatzkammermuseums Augusts des Starken kam nun dank der Ernst von Siemens Kunststiftung eines dazu, das alle anderen in den Schatten stellt: Ein barockes Prunkschach aus Elfenbein, Ebenholz, Schildpatt und Silber, dessen Figuren Meisterwerke aus Dresden sind und dem Bildhauer Paul Heermann zugeschrieben werden können, während das Brett vom Goldschmied Paul Solanier in Augsburg geschaffen wurde.

Geglückte Neuerwerbungen sind immer Sternstunden für ein Museum – in diesem Fall gilt das ganz besonders: Nachdem sich das Schachspiel über Jahrhunderte verborgen in adligem Privatbesitz befunden hatte, tauchte es 2018 auf einer Londoner Auktion auf. Bei einer Studienreise der Freunde des Grünen Gewölbes nach Paris konnte ich es im Herbst 2022 in der Galerie Kugel in Augenschein nehmen. Ich war sogleich elektrisiert von der unglaublichen Schönheit dieses Kunstwerks, der Ausdruckskraft der schwarzen und weißen Figuren sowie dem schillernden Grün der Spielfelder.

Elfenbein und Ebenholz

Jede Figur ein Individuum: Der weiße Springer wurde von Paul Heermann aus Elfenbein geschnitzt.
Jede Figur ein Individuum: Der weiße Springer wurde von Paul Heermann aus Elfenbein geschnitzt. © Grünes Gewölbe © Galerie Kuge

Der Wunsch, dieses kapitale Schachspiel für Dresden zu gewinnen, war geboren. Als über den Jahreswechsel 2022/2023 in der Gemäldegalerie Alte Meister die Ankunft einer Marmorgruppe Paul Heermanns mit einer Ausstellung gewürdigt wurde, eröffnete sich die Chance, das Werk zunächst nach Dresden auszuleihen. Dank des Entgegenkommens des Galeristen Alexis Kugel konnten wir es im Grünen Gewölbe inmitten der Lieblingswerke Augusts des Starken präsentieren. Im Rahmen eines Fachkolloquiums fand dort im Frühling eine angeregte Diskussion vor dem Original statt – mit der einhelligen Meinung, dass dieses Werk unbedingt für Dresden gewonnen werden soll.

Mit solchem Rückenwind konnten wir die Ernst von Siemens Kunststiftung für den Ankauf begeistern: Sie entschloss sich, dieses seinem Wert entsprechend teure Ausnahme-Schachspiel für das eben 300 Jahre alt gewordene Grünen Gewölbe zu erwerben! Die englische Kunstzeitschrift Apollo verzeichnete es in ihrer Shortlist der wichtigsten Neuerwerbungen europäischer Museen 2023.Für Dresden ist dieses Kabinettstück deshalb so bedeutsam, weil es mit zahlreichen Objekten in Grünen Gewölbe in einer direkten Verbindung steht. Zudem wissen wir aus den Inventaren, dass einst ähnliche, heute leider verlorene Werke in der Sammlung vorhanden waren. Die 32 Schachfiguren von maximal acht Zentimetern Höhe sind grandios geschnitzte Miniaturen. Jede ist individuell realisiert, alle fügen sie sich zu einem Ensemble von höchster Suggestionskraft zusammen. Die Figuren stellen „europäisch“ und „afrikanisch-orientalisch“ gekleidete Personen dar, wobei die Bauern als Soldaten und die Läufer als Herolde wiedergegeben sind. Dabei nutzte der Bildhauer die unterschiedliche Härte und Struktur von Elfenbein und Ebenholz virtuos aus.

Silber und Schildpatt

Das Prunkschach im Grünen Gewölbe ist wahrlich ein Spiel für Könige. Die Figuren schuf um 1705 Paul Heermann in Dresden, die Brettschatulle um 1705 bis 1709 Paul Solanier in Augsburg.
Das Prunkschach im Grünen Gewölbe ist wahrlich ein Spiel für Könige. Die Figuren schuf um 1705 Paul Heermann in Dresden, die Brettschatulle um 1705 bis 1709 Paul Solanier in Augsburg. © Grünes Gewölbe © Galerie Kuge

Auch das Spielbrett zeichnet sich durch höchste Qualität aus. Dass es eigens für die Figuren geschaffen wurde, belegen die passgenauen Silbersockel, die auf der Unterseite vom Augsburger Goldschmied Paul Solanier gemarkt wurden. In dessen Werkstatt entstanden auch die Silbereinlagen der Spielfelder – Sterne in grün gefärbtem Elfenbein und verschlungene Rahmen in Schildpatt. Mit Schildpatt sind ebenso die Seiten des Brettes furniert. Darin sind Schubladen mit Einsätzen für jede Figur eingelassen.

Eine Inschrift auf dem Botenzettel eines der weißen Herold-Läufer trägt den mit einer heißen Nadel in Mikroschrift ausgeführten Schriftzug „Her/man“. Dieses mit bloßem Auge kaum wahrnehmbare Detail deutet auf den Schöpfer der Figuren. Tatsächlich verweisen die Figuren auch stilistisch auf Paul Heermann, damals einer der gefragtesten Barockbildhauer in Sachsen und Konkurrent Balthasar Permosers.

Für die Dresdner Hofkunst um 1700 spielten Verbindungen nach Augsburg und die Zusammenarbeit mit dortigen Goldschmieden eine wichtige Rolle, wie es viele Schätze des Grünen Gewölbes spiegeln.

Marius Winzeler ist Direktor des grünen Gewölbes und der Rüstkammer in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Marius Winzeler ist Direktor des grünen Gewölbes und der Rüstkammer in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. © Havlená

Obwohl das Schachspiel selbst keine direkten Hinweise darauf gibt, für wen es bestimmt war, lassen Materialien und künstlerischer Anspruch nicht daran zweifeln, dass es sich um ein höfisches Kabinettstück handelt – ein Königsspiel. Aktuell laufen im Grünen Gewölbe dazu weitere Forschungen. Die Ergebnisse werden ab Mai 2024 in einer Ausstellung vorgestellt, die dieser Neuerwerbung gewidmet wird: Schachmatt!