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Wie das Festspielhaus Hellerau seine NS-Vergangenheit aufarbeitet

Erstmals wurde die Geschichte des Festspielhauses in der NS-Zeit komplex untersucht. Nun werden Ergebnisse präsentiert. Das Ergebnis: Der Avantgarde-Bau wurde nach 1933 zum „bösen Ort“.

Von Bernd Klempnow
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Bis Ende der 1930er-Jahre hatte der Vorplatz des Festspielhauses noch seitliche Zugänge. Für die Polizeischule wurden die Reihenhäuschen abgerissen und durchgehende Kasernenbauten errichtet, die Öffentlichkeit ausgesperrt.
Bis Ende der 1930er-Jahre hatte der Vorplatz des Festspielhauses noch seitliche Zugänge. Für die Polizeischule wurden die Reihenhäuschen abgerissen und durchgehende Kasernenbauten errichtet, die Öffentlichkeit ausgesperrt. © Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden

Von wegen Insel der Glückseligen! Das Festspielhaus Hellerau, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ort der Moderne, des künstlerischen Aufbruchs gebaut, erlebte nur eine kurze Zeit dieser Nutzung zwischen Avantgarde-Kunst, Bildung und Reformbewegung. Schon in den 1920er-Jahren begann eine zweckentfremdete und sporadische Nutzung. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Bau alsbald zum „bösen Ort“, so der Historiker Robert Badura. Ab 1936 nutzte die Luftwaffe das Objekt, ab 1938 war es eine Polizeilehranstalt. Badura sagt: „An der Polizeischule in Hellerau wurden eben keine Verkehrspolizisten geschult. Die hier ausgebildeten Einheiten waren massiv an den Vernichtungsaktionen der SS, Polizei und Wehrmacht in Osteuropa beteiligt.“ Real werde Geschichte nur, so Badura, wenn alle Seiten beleuchtet werden, dazu „gehören auch die schlechten Seiten“.

Richtfest für den Ostflügel des Festspielhauses Hellerau. Der Beginn der Sanierung 2021 war Anlass, sich mit der Geschichte des Ortes intensiver zu beschäftigen.
Richtfest für den Ostflügel des Festspielhauses Hellerau. Der Beginn der Sanierung 2021 war Anlass, sich mit der Geschichte des Ortes intensiver zu beschäftigen. © Sven Ellger

Dies, aber auch die erwogene Nutzung als Kultur-Reichsschule sind Aspekte, die jetzt im Festspielhaus vorgestellt werden. Ab diesem Jahr beschäftigt sich das Europäische Zentrum in der Reihe „Schichten“ mit den verschiedenen Abschnitten der Geschichte und versucht herauszufinden, wie diese (wieder-)entdeckt und künstlerisch weitergeschrieben werden können. Dazu gibt es am Wochenende Performances, Führungen und Vorträge etwa von Leitern „böser Orte“ wie dem Reichsparteitagsgelände Nürnberg.

Robert Badura forschte zur dunklen Vergangenheit des Festspielhauses Hellerau, der Stadtrat hatte den Auftrag dazu gegeben und finanzierte das Projekt.
Robert Badura forschte zur dunklen Vergangenheit des Festspielhauses Hellerau, der Stadtrat hatte den Auftrag dazu gegeben und finanzierte das Projekt. © Sven Ellger

Robert Badura vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde spricht zur Historie der Polizeischule der Nationalsozialisten auf dem Gelände. Anlass, überfällig und systematisch in die Tiefe zu gehen, war der Beginn der Instandsetzung des noch unsanierten Ostflügels. „Die Bestände sind nun gesichtet, die erste Bestandsaufnahme ist möglich“, so Badura.

Im Aktenmaterial zum Festspielhaus und zur Gartenstadt sei viel zu erfahren. Etwa, dass 1934 zur ersten Reichstheaterwoche die Opern „Alceste“ und „Iphigenie in Aulis“ von Gluck sowie Händels „Julius Caesar“ im sonst meist leer stehenden Festspielhaus aufgeführt worden sind. Dass die Staatskapelle hier musizierte und ein jubelnder Propagandaminister Joseph Goebbels anwesend war. Bereits ein Jahr zuvor war der Vorplatz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt worden. Ab 1938 wurde das Festspielhaus zu einer Polizeilehranstalt von Heinrich Himmlers Gnaden umgebaut. Wohl kam schließlich doch kein Bronzeadler an die Fassade oder aufs Dach. Aber die relativ kleinen, seitlichen Pensionshäuser wurden abgerissen und durch Kasernengebäude im Osten und Westen ersetzt.

Der Bruch in der Architektur markiert auch einen zivilisatorischen: Eine Art Appellplatz entstand. Die Akten geben viel zum Alltag von Polizei und SS sowie zur Nutzung des Gebäudes etwa als Turn- und Exerziersaal preis. Und sie belegen, wie sich die Hellerau-Bewohner arrangierten.

Für Robert Badura steht fest, dass der „Mythos Hellerau“ ein Korrektiv erfahren müsse. Das helfe, ein Gedenkkonzept zu entwickeln, um ein Bewusstsein für Gäste und Nutzer zu schaffen: „Achtung, es gab auch dieses Kapitel in der Geschichte des so gern verklärten Avantgarde-Hauses!“

  • Führungen „Die Gartenstadt Hellerau im Nationalsozialismus“ am 1. März, 16 Uhr und 2. März, 11 Uhr
  • Vorträge „Strategien der Aufarbeitung – Kulturinstitutionen im Umgang mit ihrer Geschichte“ am 2. März ab 14 Uhr, Eintritt frei.