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Große Romantikausstellung startet in Dresden

Das deutsch-russische Gemeinschaftsprojekt "Träume von Freiheit" gibt einen faszinierenden Einblick in die romantische Kunst beider Länder.

Von Birgit Grimm
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Caspar David Friedrich malte "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" 1819/20 .
Caspar David Friedrich malte "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" 1819/20 . © SKD, Albertinum

Die Ölstudien und Skizzen des russischen Malers Alexander Andrejewitsch muten an, als wären sie aus der Zeit gefallen, in die die Ausstellung „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“ das Publikum entführen will. Mehr noch: Sie wirken modern, sind dieser Zeit voraus. Iwanow gilt in Russland als einer der größten Meister. An seinem größten Bild, „Erscheinung des Messias“, malte er zwanzig Jahre. Iwanow hatte sich in Italien von den Nazarenern inspirieren lassen. „Doch als das Bild 1857 endlich fertig war, wurde es sein größter Flop“, erzählt Holger Birkholz, der deutsche Kurator der deutsch-russischen Gemeinschaftsausstellung. Der Hype der Nazarener war vorbei. Die 300 Skizzen, Detailzeichnungen und Ölstudien zu dem Gemälde, von denen das Albertinum eine feine Auswahl zeigt, kamen damals für das Publikum zu früh. Heute sind sie eine der Überraschungen, die diese Ausstellung zu bieten hat.

Die Frage, welche Entdeckungen Russen und Deutsche in der romantischen Epoche des jeweils anderen Landes machen können, war für die beiden Museumsdirektorinnen Zelfira Tregulova aus Moskau und Marion Ackermann aus Dresden die Initialzündung für diese Schau, die wegen der Corona-Pandemie dreimal verschoben werden musste und schließlich im Sommer in Moskau 60.000 Besucher hatte.

Am Freitagabend wurde eine anders gestaltete, stark verkleinerte Ausstellung eröffnet, die statt 300 Werke wie in Moskau nur 140 zeigt. Statt Platz auf 2.000 quadratischen Quadratmetern wie in der Tretjakow Galerie hat das Albertinum nur 1.200 rechteckige Quadratmeter, sodass das Team des Büros von Daniel Libeskind zwei Ausstellungsarchitekturen entwerfen musste.

Zackig geht es zu in der vom amerikanischen Stararchitekten Daniel Libeskind entworfenen Ausstellungsarchitektur im Salzgassenflügel des Dresdner Albertinums.
Zackig geht es zu in der vom amerikanischen Stararchitekten Daniel Libeskind entworfenen Ausstellungsarchitektur im Salzgassenflügel des Dresdner Albertinums. © SKD/David Pinzer

Promenierten die Moskauer Romantikfans durch eine Spirale, geht es in Dresden zackig zur Sache. Spitze Winkel. Dreieckige Kabinette in Hell- und Sackgassen in Dunkelgrau. Lange Fluchten, mitunter Blickachsen. Rote Streifen auf dem Boden und in schmalen Durchbrüchen, vor denen man dann doch diszipliniert umkehrt und gar nicht erst versucht, sich hindurchzuzwängen. Typisch Libeskind also, der den Dresdnern ja bereits mit seinem markanten Keil im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr die Marschrichtung vorgibt.

Wobei das mit der Marschrichtung im Albertinum nicht funktioniert. Es ist auch gar nicht nötig. Zwar gibt es Abteilungen, die mit „Kindheit“, „Freiheit der Kunst“, „Nachtlandschaften“, „Italiensehnsucht“ und „Religion“ überschrieben sind. Aber es gibt keine Chronologie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und keinen erzählerischen Faden, dem man folgen muss. Egal, von welcher Seite des Hauses man die Sonderschau im Salzgassenflügel betritt: Sie erschließt sich, sie nimmt gefangen, sie fasziniert.

Die großen Romantiker im Zentrum

Holger Birkholz und seine beiden russischen Kollegen Ljudmila Markina und Sergej Fofanow haben natürlich die berühmten Romantiker ins Zentrum gestellt: Neben bereits erwähntem Iwanow ist das zuerst der große Caspar David Friedrich, in dessen Dresdner Atelier die russischen Kollegen gern Station machten, wenn sie nach Italien reisten. Friedrich ist mit zehn Gemälden dabei.

"Die Überfahrt am Schreckenstein" von Ludwig Richter ist eins der Lieblingsbilder des Publikums.
"Die Überfahrt am Schreckenstein" von Ludwig Richter ist eins der Lieblingsbilder des Publikums. © SKD

Bildpaare ermöglichen den direkten Vergleich. Da hängt Ludwig Richters „Überfahrt am Schreckenstein“ neben der „Insel Walaam bei Sonnenuntergang“ von Anton Iwanowitsch Iwanow-Goluboi, beide Bilder symbolisieren einen Übergang vom Tag in die Nacht, vielleicht auch vom Diesseits ins Jenseits. Oder die ähnlich komponierten, aber doch sehr verschiedenen Gemälde italienischer Grotten von Carl Wilhelm Götzloff und Silvester Feodossijewitsch Schtschedrin.

Ziemllich ähnlich erscheint "Die Insel Walaam bei Sonnenuntergang". Das Bild malte Anton Iwanowitsch Iwanow-Goluboi 1845, acht Jahre nach Richters "Überfahrt am Schreckenstein",
Ziemllich ähnlich erscheint "Die Insel Walaam bei Sonnenuntergang". Das Bild malte Anton Iwanowitsch Iwanow-Goluboi 1845, acht Jahre nach Richters "Überfahrt am Schreckenstein", © EPOS Group

Auch Alexej Gawrilowitsch Wenezianow ist einer der Großen. Als Porträtist der St. Petersburger Gesellschaft war er zunächst sehr erfolgreich. Aber bald langweilten ihn seine Modelle. Er kaufte sich ein Landgut und malte zum ersten Mal in der russischen Kunstgeschichte Bauern und Leibeigene.Carl Gustav Carus, Dresdner Frauenarzt und Maler von „Erdlebenkunst“, beschäftigte sich intensiv mit der Anatomie der Landschaft und der Natur. Dem russischen Publikum seien seine Landschaften zu konstruiert, hört man vor dem Gemälde „Dreistein im Riesengebirge“ – und staunt. Hielt man es doch bisher für eine sehr gelungene Komposition. Eine Entdeckung ist auch das kleine Bild „Der alte Harfner“ von Carus. Viele Jahre schlummerte es im Depot des Albertinums als Werk eines unbekannten Künstlers. Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung hat man den Schleier der Anonymität gelüftet. Das Bild wurde restauriert und nun ist es zum ersten Mal zu sehen.

Eine einzige Malerin ist dabei

Die Ausstellung lebt von den Bildern. Dokumente wie Reisetagebuch und Pass Ludwig Richters, das Kriegstagebuch Theodor Körners, „Reliquien“ wie die Stiefel, die Napoleon 1812 beim Einmarsch in Moskau getragen haben soll, oder der Dirigierstab Carl Maria von Webers schlagen die Brücke zu Literatur, Geschichte und Musik. Viele Anekdoten und Kunstgeschichten sind überliefert. Wer sie hören will, sollte eine Führung buchen.

Dass die einzige romantische Künstlerin in der Schau eine Russin ist, Sofja Wassiljewna Suchowo-Kobylina, bringt die Kuratoren nicht in Verlegenheit: „In beiden Sammlungen gibt es kaum Kunstwerke von Malerinnen dieser Zeit. Das widerspiegelt die Schau“, sagt Birkholz. Freilich hätte man aus anderen Museen Leihgaben bekommen können. Ist es nicht ein kluger Schachzug, in so einer hochkarätigen und politisch hoch angebundenen Schau auch Sammlungslücken zu offenbaren?

Werke von Malerinnen der Romantik sind in weder in der Moskauer Tretjakow Galerie noch im Dresdner Albertinum in großer Zahl vorhanden. Aber die Schau zeigt einige Arbeiten zeitgenössicher Künstler und Künstlerinnen, hier "Women to go". Frauen zum Mitnehm
Werke von Malerinnen der Romantik sind in weder in der Moskauer Tretjakow Galerie noch im Dresdner Albertinum in großer Zahl vorhanden. Aber die Schau zeigt einige Arbeiten zeitgenössicher Künstler und Künstlerinnen, hier "Women to go". Frauen zum Mitnehm © SKD/ David Pinzer

Weil die Romantikerinnen fehlen, gibt es „Women to go“, Frauen zum Mitnehmen, von Mathilde ter Heijne. Die Postkartenständer mit Frauenporträts aus der Sammlung Hoffmann dürften regelmäßigen Albertinumsbesuchern bekannt sein. Die wenigen zeitgenössischen Künstler in der Schau sind kongenial ausgewählt und platziert. Der Geist der Romantik lebt. Oder, wie Ljudmila Markina sagte: „Ohne Träume von Freiheit wird es keine neuen Impulse, keine neue Kunst geben.“

  • „Träume von Freiheit“ bis 6. Februar 2022 im Dresdner Albertinum, Georg-Treu-Platz. Geöffnet Di – So 10 – 18 Uhr.
  • Katalog 45 Euro. Eintritt 12/9 Euro. Sparkassenkunden und -kundinnen erhalten Rabatt.