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Grünes Gewölbe-Prozess: Wurden die Wachleute abgelenkt?

Am zweiten Prozesstag um den Einbruch ins Grüne Gewölbe gibt es Überraschungen. Der Ton bei der Verhandlung ist rau - in einem Punkt herrscht jedoch Einigkeit.

Von Alexander Schneider
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Ein Angeklagter im Prozess um den Juwelenraub im Grünen Gewölbe wird zu Prozessbeginn in den Verhandlungssaal geführt.
Ein Angeklagter im Prozess um den Juwelenraub im Grünen Gewölbe wird zu Prozessbeginn in den Verhandlungssaal geführt. © dpa-Zentralbild-Pool

Dresden. Drei Wachmänner sind die ersten Zeugen, die im Prozess um den spektakulären Dresdner Diamantendiebstahl aussagen. Sie alle haben dieselbe Beobachtung gemacht. Sie sahen die Täter vom Tatort verschwinden und ihnen war aufgefallen, dass es plötzlich stockdunkel ist. Dennoch berichteten die Sicherheitsfachkräfte allerhand Neues.

Es ist der zweite Sitzungstag in der Verhandlung gegen sechs Männer der Berliner Großfamilie Remmo vor der Jugendkammer des Landgerichts Dresden. Sie sollen am 25. November 2019 ins Dresdner Residenzschloss eingebrochen sein und die Schatzkammer August des Starken geplündert haben. Von mehr als 4.000 Diamanten und Edelsteinen fehlt seit dem jede Spur. Die Männer im Alter von 22 bis 28 Jahren haben sich weder im Ermittlungsverfahren noch zum Prozessauftakt zu dem Jahrhundert-Einbruch geäußert.

Zwei "junge Männer" am Theaterplatz

Mit den ersten Zeugenaussagen nimmt das Tatgeschehen weitere Konturen an. Um 4.31 Uhr haben zwei Wachmänner in ihrem Büro im Dresdner Zwinger einen lauten Knall gehört, bei dem es sich möglicherweise um das Aufbrechen des Fensters des Historischen Grünen Gewölbes gegenüber gehandelt haben wird. "Ich weiß es deshalb so genau, weil ich gerade am Computer eine Werkschutzmeldung ausgefüllt habe", sagt ein 31-jähriger Wachmann. Diese Meldung hatte sich auf ein anderes Ereignis aus der Nacht bezogen, den Fund einer gestohlenen Tasche im Zwingerpark.

Die Angeklagten im Gerichtssaal.
Die Angeklagten im Gerichtssaal. © dpa-Zentralbild-Pool

Zunächst dachten die Angestellten eines Dresdner Wachunternehmens, jemand habe einen metallenen Werbeaufsteller vor der Schinkelwache nebenan umgetreten oder habe versucht, dort einzudringen. Doch draußen sahen sie zwei "junge Männer" von der Schinkelwache zum Theaterplatz laufen.

"Los komm, mach schnell"

Einer hatte einen Mantel an und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er habe von dessen Gesicht nur einen gepflegten Bart und eine markante Nase erkannt, so der 31-Jährige. Der andere Unbekannte habe eine kurze Jacke getragen und eine Jogginghose. Einer habe auffällige Kickbox-Bewegungen gemacht. "Zu dieser Uhrzeit kam uns das schon komisch vor", sagt der Zeuge.

Die beiden Wachmänner, einer mit Diensthund, behielten die Nachtschwärmer eine Weile im Auge. Die dunklen Gestalten seien auf und abgegangen. Angesprochen hätten sie die Männer nicht, sagen die Zeugen. Es habe keinen Grund gegeben, sie hätten an der Schinkelwache keine Beschädigungen festgestellt und die Situation auch nicht eskalieren wollen.

Ein weiterer Angeklagter wird in den Gerichtssaal gebracht.
Ein weiterer Angeklagter wird in den Gerichtssaal gebracht. © dpa-Zentralbild-Pool

Denkbar ist, dass die Zeugen Opfer eines Ablenkungsmanövers geworden sind, denn der Einbruch ins Museum gegenüber lief zu der Zeit schon. Sie hätten an der Fassade des Residenzschlosses jedoch nichts Auffälliges bemerkt, sagen die Wachmänner. Doch das angegriffene Fenster befinde sich in einer "dunklen Ecke".

Die Security-Leute hätten sich schließlich um 4.45 Uhr zurück in den Zwinger begeben, zur Dienstübergabe an die Tagschicht. Sie und der Kollege, der sie ablöste, waren kurz vor 5 Uhr noch in der Sicherheitszentrale des Zwinger, als dort der Alarm einging: Einbruch ins Schloss. Die drei gingen sofort hinaus.

Zuerst sei ihnen aufgefallen, dass es stockdunkel war. Alle Straßenlaternen seien aus gewesen. Der ebenfalls 31-jährige Tagschicht-Kollege sah zwischen Zwinger und Schinkelwache, wie "drei bis vier Männer" Gegenstände in den Kofferraum eines hellen Autos warfen, das in der Sophienstraße vor dem Schloss stand. "Los, komm‘, mach‘ schnell!", habe einer gerufen. Ihm sei ein arabisch oder türkischer Akzent aufgefallen, berichtet der Zeuge. Dann seien die Täter eingestiegen, losgefahren und Richtung Hofkirche verschwunden.

Keine Angehörigen dabei

Der Wachmann filmte das Abfahren des Autos mit dem Handy. Auf dem 21 Sekunden langen Video ist zu sehen, dass im Grünen Gewölbe Licht brannte, die Fenster waren erleuchtet. Der Autotyp, das Kennzeichen sind nicht zu erkennen. Der 31-Jährige sagt, als er um 4.45 Uhr vom Postplatz zum Zwinger gelaufen sei, hätten die Straßenlaternen noch gebrannt. Es seien bald zwei Polizeiautos gekommen, denen er die Fluchtrichtung der Diebe mitgeteilt habe. Die Beamten hätten die Verfolgung aufgenommen. Dann sei ein drittes Polizeiauto gekommen – das um 5.04 Uhr. Der Wachmann sei mit den Uniformierten ins Schloss und habe dort die Verwüstung im Juwelenzimmer gesehen.

© dpa

Die Verhandlung läuft noch immer ruppig. Die Verteidiger widersprechen mehrfach der Verwertung von Aussagen oder Lichtbildvorlagen, die den Wachleuten in Vernehmungen gezeigt worden waren. Das Gericht wiederum wies mehrere Anträge der Verteidiger vom ersten Sitzungstag als haltlos zurück.

Eine Kritik der Verteidiger teilt jedoch auch die Jugendkammer: Kurz vor dem Prozessbeginn soll die Polizei offenbar eigenmächtig Kontakt zu Familienangehörigen der Angeklagten in Berlin aufgenommen und sie befragt haben, ob sie den Prozess besuchen würden – oder sogar davon abgeraten haben. "Wir waren etwas baff, als wir das gehört haben", sagt der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel. Die Kammer sei "froh", wenn Angehörige kommen und bedauere sogar, dass nicht mehr Zuschauerplätze zur Verfügung stehen.

Der Prozess wird am Dienstag, 22. Februar fortgesetzt.