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"Heil Hitler" an der Dresdner Kreuzschule

1936 unterrichtet ein Engländer an der Kreuzschule in Dresden - und begegnet den unterschiedlichen Einstellungen gegenüber dem NS-Regime.

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Dresden historisch:  Die Kreuzschule stand einst am Georgplatz und wurde 1945 beim Bombenangriff auf Dresden zerstört.
Dresden historisch: Die Kreuzschule stand einst am Georgplatz und wurde 1945 beim Bombenangriff auf Dresden zerstört. © Christa Holler

Von Christian Ruf

Ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung landet der junge, hochbegabte Frederick William („Fred“ genannt) Clayton in einer fremden Welt, 1936 dann wieder. Erst ist es die Universität Cambridge, zwei Jahre später Dresden im nationalsozialistischen Deutschland. Was er jeweils erlebte, hat er in Briefen und anderen Aufzeichnungen festgehalten. Diese waren nun die Grundlage für das Buch „Feindes Liebe“, in dem einige Quellen auch im Original nachzulesen sind. Verfasst hat diese Art Biografie Andrew March, der zum einen Enkel des 1999 verstorbenen Clayton ist, zum anderen Pfarrer in Coventry. Es war nicht zuletzt die Städtepartnerschaft zwischen Coventry und Dresden, die March bewog, sich mit dem Leben seines Großvaters zu beschäftigen. Die Übersetzung nahm der Linguist Rainer Barczaitis vor, der seit 2011 in Dresden wohnt, Mitglied der Deutsch-Britischen Gesellschaft Dresden e. V. ist und sich in der Städtepartnerschaft Dresden-Coventry engagiert.

Fremd in Sachsen

Dass der Engländer Fred Clayton fremd im nationalsozialistischen Deutschland ist, wo er an der Kreuzschule als Lehrer arbeitet, leuchtet auf Anhieb ein. Er ist es aber auch am altehrwürdigen King’s College in Cambridge. Denn er stammt aus einfachen Verhältnissen in Liverpool. Fast alle anderen Mitstudenten aber sind „Upper Class“, Oberschicht. Und es ärgert ihn maßlos, dass diese Leute aus der Oberschicht „mit ihrem ganzen vornehmen Charme plötzlich anfingen, sich über die Arbeiterklasse zu verbreiten, von der sie kaum eine Ahnung hatten“. Noch mehr peinlich berührt es ihn, dass sie ihn zum Marxismus zu bekehren versuchen, „mit dem sie dogmatisch alles und jedes erklären wollen“. Erst recht kann er es gar nicht fassen, dass seine Mitkommilitonen im Kommunismus den Garant des Weltfriedens sehen, aber die Augen davor verschließen, wie grausam Stalin und der Rest der Kreml-Kamarilla echte wie vermeintliche Gegner behandeln – „wer nicht linientreu ist, für den bleibt nur das Grab“.

Im September 1936 geht Clayton im Alter von 22 Jahren dann für ein Jahr nach Deutschland, allen Warnungen seines Vaters zum Trotz, der in den Deutschen einfach nur verdammte „Hunnen“ sieht. Es sind in erster Linie die Beobachtungen aus Deutschland, die das Buch wohl für das Gros der Leser so interessant machen, etwa, wenn man mit Clayton „in tiefsten Friedenszeiten“ Zeuge einer umfassenden Luftschutzübung wird.

Führerporträt in Frack und Zylinder

Erfreulich ist, dass sich Clayton nicht zum Widerstandskämpfer stilisiert. Wenn die Klasse ein „Heil Hitler“ ebenfalls mit „Heil Hitler“ quittiert, dann murmelt Clayton diesen Gruß schon auch. Nicht so laut und deutlich, aber eben auch. Die Beschämung darüber setzt später ein. Clayton meidet bewusst den Kontakt mit anderen Briten in Dresden, er sucht seine Bekanntschaften und Gespräche vor allem in der kleinen Gemeinschaft der Kreuzschule, um sich so sein Bild zu machen. Und er lernt den Arzt Werner Wobst-Büttner und dessen in Langebrück wohnende Familie kennen. Auch hier wird es ungemein aufschlussreich. Werner Wobst-Büttner, dessen Praxis in der Mosczinskystraße liegt, direkt um die Ecke von Claytons Zimmer, hat im Ersten Weltkrieg gedient. Er ist ein Anhänger des Stahlhelm-Bundes der Frontsoldaten, durchaus ein Erzkonservativer, aber mit dem NS-Regime will er nichts am Hut haben. Das Stahlhelm-Symbol ist trotz der verfügten Auflösung des Bundes als Zeichen über der Eingangstür des Hauses in Langebrück angebracht. Wobst-Büttner, so Claytons Urteil, wünschte sich nichts sehnlicher als die Rückkehr der Welt vor 1914 inklusive der Hohenzollern an der Staatsspitze. Die Nationalsozialisten waren für ihn hingegen „nichts weiter als eine Kanaille, ein Rudel wilder Tiere, und Hitler ein Verrückter.“ Es sind die kleinen Zeichen, die zu deuten sind und wozu Clayton auch in der Lage ist. Im Sprechzimmer der Praxis von Wobst-Büttner hängt das obligatorische Führerbild, „aber er hatte eines ausgesucht, auf dem Hitler in Frack und Zylinder zu sehen war, wie er sich vor Hindenburg verbeugte“.

In der Kreuzschule trifft Fred Clayton auf unterschiedliche Einstellungen zum Nationalsozialismus. Er macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung der Ideologie und Hitler, verwahrt sich aber dagegen, dass eine Gegnerschaft zum Regime als antideutsch angesehen wird. Das „waren doch zwei Paar Schuhe“, Clayton ist bemüht, „das allen zu beweisen, die ihm zuhören mochten“. Im Zweiten Weltkrieg dient Fred Clayton dann in der britischen Armee, allerdings im pazifischen Raum. Er war nicht zuletzt deshalb von Europa ferngehalten worden, „weil man ihn für zu deutschfreundlich hielt“, wie Clayton von seinem Bruder erfährt, der jemanden vom Geheimdienst kennt. Ärger und Verbitterung sitzen tief. „Offenbar überstieg es die Vorstellungskraft dieser Bürohengste, dass sich jemand ernsthaft an einem Krieg gegen ein Regime beteiligen und gleichzeitig denen verbunden fühlen konnte, die in diesem Regime gefangen waren“.

Die Wege führen Fred Clayton dann nach Kriegsende sogar wieder nach Dresden. Er bekommt nun näheren Kontakt mit Friedericke Luise, der jüngsten, „Rike“ genannten Tochter der Wobst-Büttner-Familie. Die spielte bei seinem ersten Besuch in Dresden keine besondere Rolle, das ändert sich nun. Man kommt sich näher und gründet, nachdem Rike 1947 in den Westen gelangt ist, eine gemeinsame Familie. Auch das ist eine spannende Geschichte, die in dem bemerkenswerten Buch erzählt wird.

  • Buchtipp: Andrew March, „Feindes Liebe“. Thelem Verlag, 332 Seiten, 19,80 Euro