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Heinrich-Schütz-Musik mal mit den Augen hören

An diesem Sonnabend gastiert das Leipziger Ensemble „Sing & Sign“ aus Hörenden und Hörbehinderten in Dresden und will erstmals Schütz-Werke visualisieren.

Von Bernd Klempnow
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Der Name als Programm: „Sing & Sign“ – singen und zeigen. Hörende und Hörgeschädigte singen und gebärden, machen auf völlig neue Art und Weise Musik in starken Bildern erlebbar.
Der Name als Programm: „Sing & Sign“ – singen und zeigen. Hörende und Hörgeschädigte singen und gebärden, machen auf völlig neue Art und Weise Musik in starken Bildern erlebbar. © www.joergsinger.com

Es ist eine kleine Revolution: Seit über 400 Jahren faszinieren die Kompositionen von Heinrich Schütz (1585 – 1672) – freilich nur Hörende. Hörbehinderten blieb diese Welt bislang weitgehend verschlossen. Das soll sich jetzt ändern. An diesem Sonnabend gastiert das Leipziger Ensemble „Sing & Sign“ in Dresden und will erstmals Schütz-Werke visualisieren. Das Konzert, eine Uraufführung, ist das wohl spannendste Projekt des diesjährigen Schütz-Musikfestes, das vom 7. bis 16. Oktober in den Wirkungsorten des Meisters wie Dresden und Weißenfels stattfindet.

Was ist geplant? Das Programm besteht aus abwechslungsreichen Stücken, mehrchörig oder für eine bis fünf Stimmen mit instrumentaler Begleitung. Teilweise ist das Publikum eingeladen, mitzusingen. „Bislang haben wir vor allem Bach interpretiert“, sagt Susanne Haupt, Gründerin des seit 2017 bestehenden Ensembles. Aber auch Beethovens Neunte in einer Kammerorchester-Version haben die etwa 50 hörbehinderten, mehrfachbehinderten und hörenden Akteure schon gemeistert.

Völlig neue Art und Weise der Musikvermittlung

Nur, wie soll das funktionieren, wenn man tatsächlich nur sehen und nicht oder nur eingeschränkt hören kann? Das Ensemble „Sing & Sign“ bezieht auf völlig neue Art und Weise neben dem Singen die Gebärdensprache mit ein. Das ist einzigartig und begeisterte schon international.

Zunächst werden die biblischen Texte mit Hörbehinderten, Theologen und Gebärdensprachdolmetschern in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt und verschriftlicht. Anschließend werden sie per Video als Lernhilfe für die Sänger visualisiert. Das Problem: Da sich die Gebärdensprache in Satzbau und Stellung von der Grammatik der Lautsprache unterscheidet, gibt es zwei Übersetzungen. Eine in der Gebärdensprache für die hörbehinderten und eine sogenannte DGS-nahe für die hörenden Sänger. In den Proben lernen dann alle Sänger Gebärden und Musik auswendig: Die Hörenden lassen die Vokalmusik erklingen und gebärden dazu DGS-nah, die Hörbehinderten gebärden in DGS quasi im Takt der Musik mit den Hörenden.

Raffinierte musikalische Formen und starke Textbilder

„Dadurch kann selbst der komplexe musikalische Aufbau von Kompositionen visualisiert werden“, so Susanne Haupt. Bei rein instrumentalen Parts visualisieren die Sänger Parameter und Motive mit Gebärden, um die gesamte Musik darzustellen. So können etwa Wellenbewegungen der Hände den Fluss einer Melodie verdeutlichen. Auch szenische und choreografische Lösungen sowie Interaktionen mit dem Publikum sind Teil der Aufführungen. Zudem würden die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen der Grammatik der Laut- und der Grammatik der Gebärdensprache sichtbar, was Susanne Haupt und ihren Akteuren auch aus Inklusionsgründen wichtig ist: „Von Minderheiten wird immer erwartet, dass sie sich der Mehrheit anpassen, dabei haben sie ihre eigenen Kulturen.“ Hörgeschädigte sollen eben nicht nur barrierefrei in die zauberhafte Welt von Bach & Co eintauchen können. „Auch für Menschen mit gesunden Gehörgängen öffnet sich eine Welt, in der sich das einzigartige Zusammenwirken raffinierter musikalischer Formen und starker textlicher Bilder auf eine ganz besondere Weise erschließt“, sagt Michael Maul, Intendant des Leipziger Bach-Festes, wo „Sing & Sign“ auch schon gefeiert worden ist.

Nun, nach Bach und Beethoven „Mit den Augen hören“, folgt jetzt die Auseinandersetzung mit dem berühmten Dresdner Hof-Musicus – und das ist folgerichtig. Denn: „Schütz gilt ja als Meister, einen Text mit klanglichen Mitteln auszudeuten“, sagt Susanne Haupt. „Seine musikalisch-rhetorischen Figuren sind daher nicht nur hörbar, sondern auch gut lesbar – etwa, wenn es um das Motiv des Kreuzes geht.“

„Schütz-Konzert“, 8. 10., 20 Uhr, Loschwitzer Kirche DD