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Hitlers berüchtigte Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ hatte ihre Vorläufer - in Dresden.

Moderne Kunst am Nazi-Pranger - die wichtigste und beispielgebende Schau wurde am 23. September 1933 im Lichthof des Dresdner Rathauses eröffnet.

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Otto Dix malt den „Sonnenaufgang“ 1913 noch als Student. Das Stadtmuseum Dresden kauft das Bild 1920. In Folge der Münchener Schau „Entartete Kunst“ wird es beschlagnahmt und später verkauft.
Otto Dix malt den „Sonnenaufgang“ 1913 noch als Student. Das Stadtmuseum Dresden kauft das Bild 1920. In Folge der Münchener Schau „Entartete Kunst“ wird es beschlagnahmt und später verkauft. © Städtische Galerie Dresden

Von Uwe Salzbrenner

Im Juli 1937 wird in den Ausstellungsräumen der Münchener Hofarkaden die moderne Kunst Deutschlands an den Pranger gestellt. Rund 600 Werke von 120 Künstlern sind in halbdunklen Räumen extrem dicht gehängt, als stimme etwas mit ihnen nicht. Mit großer Schrift hat man sie eingeordnet als „jüdisch-bolschewistische Kunst“. Versehen mit den jeweiligen Ankaufspreisen, teilweise hohen Summen aus der Inflationszeit, um den Ärger des Publikums zu schüren. Beabsichtigt ist der propagandistisch verwertbare Gegensatz: Ein Tag vorher eröffnet Adolf Hitler die „Große Deutsche Kunstausstellung“, ebenfalls in München, im neu errichteten Haus der Deutschen Kunst. Was Nationalsozialisten für schön und wichtig halten, wird im Triumph in großen, hellen Räumen vorgezeigt. Was in der Weimarer Republik oder im späten Kaiserreich gemalt, gezeichnet oder modelliert wurde, gilt nun meist als Chaos, Beispiel der Degeneration. Die Schau „Entarte Kunst“ ist offenkundig die interessantere, zieht dreimal so viele Besucher. Wie eine gesundheitsaufklärerische Lehrschau gestaltet, reist sie später durch zwölf deutsche Städte.

Dresdner Schau als Wanderausstellung

Was weniger bekannt ist: Diese Schau hat ihre Vorläufer. Die bedeutendste von ihnen, schon allein, weil sie bereits „Entartete Kunst“ im Titel führt, findet vom 23. September 1933 bis in den Winter hinein in Dresden statt. Sie zeigt im Lichthof des Rathauses 207 Werke, hauptsächlich von Dresdner Künstlern aus der städtischen Kunstsammlung.Im Mittelpunkt der Diffamierung steht das Gemälde „Der Schützengraben“ von Otto Dix, das 1928 anteilig von der Stadt und dem Patronatsverein der Staatlichen Gemäldegalerie erworben worden ist. Schon hier die Angabe der Preise, ebenso der Gegensatz von angeblich „falscher“ und „richtiger“ Kunst.

Und auch die Dresdner Schau ist als Wanderausstellung in zwölf andere Städte unterwegs und 1935 nochmal in Dresden als Teil der „Sächsischen Kunstausstellung“ zu sehen. Nach der Tour wird sie 1937 ein Grundstock der Münchener Schau. Die meisten Werke aus dem Dresdner Stadtmuseum sind dort in zwei Räumen zusammengepfercht.

Ansicht der Münchener Schau „Entartete Kunst“. In Raum 1 hängt Dresdner Malerei, der „Sonnenaufgang“ unten links neben der Tür.
Ansicht der Münchener Schau „Entartete Kunst“. In Raum 1 hängt Dresdner Malerei, der „Sonnenaufgang“ unten links neben der Tür. © Städtische Galerie Dresden

Die Dresdner Schau von 1933 findet aufgrund eines Stadtratsbeschlusses statt — auf Antrag des Sprechers der NSDAP-Fraktion, des Malers Wilhelm Waldapfel. Bereits im März und April werden auf Betreiben seines Kollegen und Parteigenossen Walther Gasch 28 Bilder aus der Staatlichen Gemäldesammlung und 27 Skulpturen aus der Plastiksammlung entfernt, dazu 94 Werke aus dem Stadtmuseum. Die beiden Maler, unterstützt vom kurz zuvor auf den Rektorposten der Kunstakademie gelangten Richard Müller, beginnen 1933 den Kulturkampf aus eigenem Entschluss. Es ist damals für die NS-Oberen in Berlin noch offen, ob nicht vielleicht der Expressionismus eine ihrer „jungen Bewegung“ adäquate Kunst sein könnte. Erst mit Hitlers Rede 1937 zur Eröffnung der Schau im Haus der Deutschen Kunst wird das endgültig entschieden. Sechs Tage später folgt die Anordnung, alle „entarteten“ Werke aus öffentlichen Sammlungen zu beschlagnahmen.

In Dresden greifen jedoch mit der Auswahl der Feme-Schau im Lichthof des Rathauses drei völkisch-konservative ortsansässige Maler früh fast ausschließlich einheimische Expressionisten an, dazu die gesellschaftskritischen, linken Künstler der Nachkriegszeit. Vermutlich haben sie sich in den Jahren zuvor bei Ankäufen und Berufungen zurückgesetzt gefühlt: Paul Ferdinand Schmidt, von 1919 bis 1923 Direktor des Stadtmuseums, kaufte vor allem Avantgarde. Sogar der wesentlich vorsichtigere Hans Posse, Direktor der Staatlichen Gemäldegalerie Dresden, führt die heute als klassisch geltende Moderne als gültige deutsche Kunst vor — zur Internationalen Kunstausstellung 1926 in Dresden und zweimal zur Biennale in Venedig. Offenkundig kann es Waldapfel, Müller, Gasch nicht schnell genug gehen bei der Korrektur des Kunstkanons und der Abrechnung mit unliebsamen, zudem meist politisch linken und politisch aktiven Kollegen.

Dix’ Gemälde „Kriegskrüppel“ (1920) gilt als verschollen. Hier eine historische Bildpostkarte.
Dix’ Gemälde „Kriegskrüppel“ (1920) gilt als verschollen. Hier eine historische Bildpostkarte. © Städtische Galerie Dresden

Schnell geht es auch mit der Beschlagnahme und dem Abtransport nach Berlin. Bis zum Dezember 1937 verlieren die Dresdner Sammlungen mehrere hundert Werke, davon allein 55 Gemälde, 60 Aquarelle, 54 Zeichnungen, 319 grafische Blätter und 14 Skulpturen das Stadtmuseum. Nachträglich wird diese Aktion Ende Mai 1938 legalisiert. Im gleichen Jahr werden die ersten Werke ins Ausland für Devisen verkauft, bis 1941 2.868 aus ganz Deutschland. Etwa 800 werden bei Kunsthändlern in Kommission gegeben. Viele von ihnen gelten nach dem Krieg als verschollen. Und jene, von denen man weiß, wohin sie gelangt sind, kann man heute nicht zurückfordern. Die Museen müssen sie erneut erwerben. Das Gesetz von 1938 hat der Alliierte Kontrollrat nie aufgehoben.

An Verlust und Diffamierung erinnert jetzt die Dokumentation „Die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1933 und ihre Folgen“ mit sechs Text-Bildtafeln und einem Film aus dem Bundesarchiv. Die Schau der Städtischen Galerie Dresden ist bis zum 14. Januar 2024 zu sehen, dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 19 Uhr. Da die Dokumentation auf den Treppenhausemporen des Landhauses präsentiert wird, ist der Eintritt frei.