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Im Dresdner "Diener zweier Herren" gilt: Kein Sex vor der Ehe

Flott, frech und frivol: Goldonis Klassiker wird im Japanischen Palais zum launigen Sommerspaß. Und tröstet alle Dynamo-Fans.

Von Rainer Kasselt
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Die Zofe Smeraldina (Betty Freudenberg) mit Moped ist der Clou des ohnehin launigen Abends. Und sie angelt sich auf ihre Art schon mal Truffaldino (Raiko Küster).
Die Zofe Smeraldina (Betty Freudenberg) mit Moped ist der Clou des ohnehin launigen Abends. Und sie angelt sich auf ihre Art schon mal Truffaldino (Raiko Küster). © Sebastian Hoppe

Was nun, fragt sich Truffaldino. Arm am Beutel, krank am Herzen und nichts im Magen. Ein Job muss her. Clever verdingt er sich gleichzeitig bei zwei Herren, was die aber nicht wissen dürfen. Die Herren (einer ist eine verkleidete Frau) knausern, aber Truffaldino erklärt dem Publikum schlitzohrig: „Zweimal halber Mindestlohn ist voller Mindestlohn. Die habe ich ganz schön über den Tisch gezogen.“ Ständig wird er angeschnauzt, hin und her gehetzt. Muss Koffer schleppen, Essen servieren, Post besorgen. Kein Wunder, dass er bald nicht mehr weiß, wer ihm welchen Auftrag erteilt.

Die bunte Bühne ist ein starker Kontrast zum barocken Palais.
Die bunte Bühne ist ein starker Kontrast zum barocken Palais. © Sebastian Hoppe

Regisseur Rafael Sanchez und Autor Mike Müller haben Carlo Goldonis populärstes Stück „Der Diener zweier Herren“ von 1745 mit neuem Text versehen. Die Komödie in die 90er-Jahre versetzt und ins Heute geholt, ins Dresdner Japanische Palais. Der Barockbau wird zur Pension. Im Innenhof unter freiem Himmel hat Bühnenbildnerin Eva Maria Bauer eine quietschbunte Ladenstraße gebaut. Mit Wettbüro, Wechselstube, Pfandleihe, Holgers Golden Grill und Ramschshop. Business in der Budenstadt. Es geht um Geschäfte, legale und verhüllte. Um Heirat und Liebe, gewünschte und ungewollte. Die Premiere des Staatsschauspiels Dresden wurde am Freitagabend mit viel Applaus aufgenommen. Die parodistische Inszenierung verbindet Stegreifkomödie mit Comedy-Show, hat Tempo, Situationskomik, Slapstick-Nummern und geistreichen Sprachwitz.

Wetten auf einen Dynamo-Sieg

Der knapp dreistündige Abend nimmt gesellschaftliche Missstände aufs Korn, so den „Fachkräftemangel im Niedriglohnsektor“. Die Texte sind mal spitze, mal Witze in der Art von Mario Barth. Gefühlte hundert Mal beschimpfen sich zwei Rivalen als „Arschl...“. Mehrfach gibt es regionale Bezüge. Der beste Einfall: Die gesuchte Große Brustschleife der Königin Amalie von Sachsen aus dem Grünen Gewölbe gelangt in die Hände von Truffaldino. Er bringt die Brosche ins Pfandhaus und verwettet das Geld auf einen Sieg von Dynamo Dresden: fünf zu null gegen Bayern München. Und gewinnt.

Die Schauspieler sind voll gefordert: Sie flitzen, stürzen, tanzen, turteln und singen Hits der 90er, live unterstützt von gut aufgelegten Musikern der Dresdner Banda Comunale. Die Traumrolle des ewig hungrigen Titelhelden spielt Raiko Küster bravourös. Er verheddert sich zwar immer mehr, redet sich um Kopf und Kragen, um seine Herren bei Laune und im Unklaren zu lassen. Am Ende aber gehört er zu den Siegern der Geschichte, die Zofe Smeraldina will ihn. Dieses rothaarige Kammermädchen mit Moped ist der Clou des Abends. Betty Freudenberg spielt das Selbstbewusstsein einer starken Frau, Unterwerfung vortäuschend. Lasziv genießt sie Löffel für Löffel Götterspeise, hat dabei Truffaldino fest im Blick. „Be My Lover“ singt sie feurig.

Ahmad Mesgarha mimt mit Charme und Chuzpe, Sonnenbrille und grauer Perücke einen lässigen Mafiaboss. Im Popsong „Boombastic“ erinnert er sich tänzelnd an seine Qualitäten als Frauenverführer. Was ihn nicht hindert, „keinen Sex vor der Ehe“ von seiner verlobten Tochter Clarice zu fordern. Schlimmer noch, er verkauft sie an den totgeglaubten reichen Federigo. Da ist er jedoch an die Falsche geraten. Anna-Katharina Muck ist im Leopard-Look ein wildes, fluchendes, verruchtes Weib. Ihre Clarice knutscht wie eine Ausgehungerte, rast wie eine Furie, weil ihr Verlobter Silvio sie für treulos hält. Diesen eifersüchtigen Wüterich gibt Philipp Lux, mit Haartolle, Goldkettchen und Schlabberhose auf Italo-Lover getrimmt.

Diesmal keine Prügel für den Diener

Holger Hübner lässt sich als bodenständiger Wirt nicht die Bratwurst vom Grill nehmen. Sein brummiger Rundgesang „Pump ab, das Bier“ hebt die Stimmung ebenso wie seine Jubelschreie über die unerwarteten Dynamo-Tore. Als Händler macht er seinen Schnitt, gibt nur bei Papierwindrädern Rabatt, „Windräder werden staatlich subventioniert“.

Thomas Eisen spielt den auf der Flucht befindlichen Florindo, der verdächtigt wird, den Bruder seiner Geliebten Beatrice getötet zu haben. Er zeigt gegenüber Truffaldino herrisches, hochmütiges Verhalten, prügelt ihn aber nicht, wie sonst bei Goldoni üblich. Berührend sein schluchzendes Lied „What Is Love“. Weil er Beatrice für tot hält, will er mit ihr sterben. Dazu kommt es in der Komödie natürlich nicht. Ursula Hobmair als Beatrice hat es in der Rolle als deren Bruder Federigo schwer. Den Mann glaubt man ihr trotz Bärtchen und Rasur nicht, weder in Gestik noch Stimme. Erst mit ihrer Schnellsprech-Nummer wird sie freier. Sie lässt das Blondhaar flattern und rast auf dem Dach der Budenstadt leidenschaftlich auf ihren sehnsüchtig gesuchten Florindo zu.Der Sommer-Spaß um Lug und Trug, List und Intrige, Verwechslung und Verstellung vereint am Ende drei glückliche Liebespaare. Man ahnt schon, sie werden sich wieder in die Haare kriegen. Smeraldina meint locker: „Irgendeinen muss man ja doch heiraten.“

Bis zum 9. Juli läuft die Komödie noch 19-mal im Hof des Japanischen Palais. Kartentel. 0351 4913555