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Mackie Messer lässt sich in Dresden zum Kurfürsten von Sachsen krönen

„Die Dreigroschenoper“ lädt gern zum Schunkeln ein. Nicht so in Dresden. Da kämpfen die Neuen Rechten um die Macht.

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Zeigt als Boss mit Powerlocke, Fuchspelz-Schal und Schlagring-Tattoo schrägen Glamour:  Mackie (Jannik Hinsch).
Zeigt als Boss mit Powerlocke, Fuchspelz-Schal und Schlagring-Tattoo schrägen Glamour: Mackie (Jannik Hinsch). © Sebastian Hoppe

Von Sebastian Thiele

Ach, „Die Dreigroschenoper“. Sicher ist sie das beliebteste Theaterstück Deutschlands. Seit der Uraufführung 1928 hat sie sich mit Fressmoral und Haifischzahn gehörig in das kulturelle Gedächtnis eingeohrwurmt. Paradoxerweise lässt die freche Abrechnung mit dem Kapitalismus seit Jahren die Kassen der Unterhaltungsbranche klingeln. Taugt denn dieses abgelutschte Bühnenbonbon noch für eine neue Geschmacksrichtung?

Mackie und sein Team sind Reichsbürger und PfD-ler

Beim Regisseur Volker Lösch gibt es gute Chancen. Thematisiert er stets die politischen Gefahren der Gegenwart. Gemeinsam mit dem Autor Lothar Kittstein hat er die strengen Verwalter der Brecht-Texte bezirzt, das Original teilweise umschreiben zu dürfen. Nur die Songs sind tabu.

Am Dresdner Staatsschauspiel spielt die Handlung im sächsischen Landtagswahljahr 2024. Mackie Messer ist ein sächsischer Reichsbürger und seine Geliebte Polly Peachum die Tochter zweier Parteispitzen der „PfD“ – Perspektive für Deutschland. Konkurrieren bei Brecht bürgerliche und kleinkriminelle Ganoven, so kämpfen bei Lösch die Neuen Rechten um die Macht. Premiere der bitterbösen Parodie war am Freitag.

Vom Dandy-Diktator zum Kurfürsten von Sachsen – Mackie (Jannik Hinsch) lässt sich krönen – was eine gelegentliche Bauchlandung nicht verhindert.
Vom Dandy-Diktator zum Kurfürsten von Sachsen – Mackie (Jannik Hinsch) lässt sich krönen – was eine gelegentliche Bauchlandung nicht verhindert. © Sebastian Hope

Grau und illusionistisch prangt ein bühnenfüllendes Nymphenbad dem Publikum entgegen. Den barocken Brunnen des Dresdner Zwingers hat Gary Gayler als symbolträchtiges Klettergestell konzipiert. Nur im rechten Teil gibt transparente Gaze den Blick frei. Dahinter schwitzen neun Musiker, um die Hits von Kurt Weill live zu performen. Mit heftigen Hieben peitscht man los. Die Peachums im blauen Anzug dreschen mit Schwimmnudeln auf einen streng gescheitelten Jungen in Bomberjacke ein, der gerade in Pirna einen Dönerladen aufgemischt hat. Brüllend erklärt Mr. Peachum, den Philipp Grimm brillant bissig spielt, dass Derartiges seiner Partei schadet. Er erreiche mit gekauften Demonstranten, Fake-News und volksnahen Grilltreffen mehr. „Das ist nicht sexy, aber wirkungsvoll“, doziert später seine Frau mit strohblondem Megadutt, die Sarah Schmidt schön schrill zeigt.

Und wie tritt die Mackie-Bande auf? Zeigt der Boss (Jannik Hinsch) mit Powerlocke, Fuchspelz-Schal und Schlagring-Tattoo noch schrägen Glamour, so sind seine Gefolgsleute wandelnde Witzfiguren. Bei deren Kostümen hatte Carola Reuther ihren Spaß. Jede Variante des Wut-Bürgers darf hier mitschwurbeln und -pöbeln, von der Eso-Tante bis zum Ostrocker. Verbindendes Element: die Sehnsucht nach Führung.

Schwarz-Gelb leuchtet die Bande

Diesen Dandy-Diktator bringt Jannik Hinsch spielerisch wie gesanglich kraftvoll auf die Bühne. Zum Kurfürsten von Sachsen lässt Mackie sich krönen und heiratet mit Pomp seine Polly (Henriette Hölzel). Die Maskerade ist perfekt, wenn Polly von billiger Vorstadterotik zum Königinnenoutfit wechselt und in den Händen die goldene Kehrschaufel plus Rührbesen hält. Bei all der Clownerie sind die realen Bezüge frappierend. Ob politische Strategien der AfD, die Parallelgesellschaft der Reichsbürger oder das Frauenbild der Neuen Rechten: Alles sieht man zwar überspitzt, aber entlarvt und künstlerisch auf höchstem Niveau.

Temporeich sprinten, tänzeln und klettern die Akteure durch ihr Nymphenbad, agieren stets körperlich, ab und zu sogar akrobatisch. Auch Kurt Weills Hitmaschine wird nicht einfach nummernhaft runtergeträllert. Unter der musikalischen Leitung von Michael Wilhelmi erlebt man die Songs originell verarbeitet, weder anheischig noch auf pure Unterhaltung reduziert. Beeindruckend gelingt die Gesangsleistung des Ensembles. Besonders Henriette Hölzel sorgt für ein bleibendes Ereignis und erntet verdient für ihre apokalyptische Interpretation des Seeräuberjenny-Songs Zwischenapplaus.

Dennoch wirkt hier niemand sympathisch. Auch Polly zeigt sich primitiv und kann auf Schwächere einschlagen. Aber noch überwiegt der Hang zur Parodie, wie der nächste Regieeinfall zeigt: Anstelle von Lucy, der alten Geliebten Mackies, welche ihm nach der Verhaftung zur Flucht verhilft, springt die Figur Lucyus (Countertenor Georg Bochow) herbei. Im Sado-Maso-Reichsflaggenkostüm singt er höchst artifiziell auf Mackie ein und kommt als Ex-Geliebter daher. Mehr Parodie geht nicht.

Und dann kommt noch was!

Jetzt will die Mackie-Gang putschen und zielt mit dem Gewehr im Anschlag in den Saal. Schwarz-Gelb leuchtet die vermummte Bande. Spätestens hier braucht das Publikum eine offene Einstellung zur Kunstfreiheit. Doch das Konzept ist konsequent. Wäre Brecht selbst nicht noch viel weiter gegangen? Am Ende versöhnen sich die Mackie-Reichsbürger und Peachum-PfDler. Per Video werden die Wahlergebnisse 2024 aus dem Lager der PfD übertragen. Mit 58 Prozent gewinnt sie die absolute Mehrheit. Der Mob tobt und macht der Moderatorin samt Kamerateam prügelnd klar, wie er bald mit der Presse- und Meinungsfreiheit umgeht. Der Spaß ist vorbei, kein Lächeln mehr im Saal.

Wer Volker Lösch kennt, ahnt, da kommt noch was. Fehlte heute schon der Laienchor, so beendet der 21-jährige politische Aktivist Jakob Springfeldt aus Zwickau den Abend. Er berichtet von erlebten Einschüchterungsversuchen sowie aktiver Bedrohung durch die Neuen Rechten. Aber er hat noch Hoffnung. Ob so ein Abschluss immer stark nachwirkt, ist fraglich. Doch diese Dresdner „Dreigroschenoper“ ist ein eindrucksvoll künstlerischer wie politischer Theaterabend ganz im Sinne Brechts.

  • Wieder am: 13. und 25. 10.; Kartentel. 0351 4913555