SZ + Feuilleton
Merken

Dresdens Semperoper mal ganz ohne Publikum

Candida Höfer fotografierte im Sommer eine Woche in der Dresdner Semperoper. Das Kupferstich-Kabinett zeigt die großformatigen Bilder, die selbst die Theatermacher überraschen.

Von Birgit Grimm
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Candida Höfer fotografierte im Sommer 2023 eine Woche in der Semperoper: „Semper Oper Dresden II 2023“.
Das Bild ist im Original 180 mal 251 cm groß.
Candida Höfer fotografierte im Sommer 2023 eine Woche in der Semperoper: „Semper Oper Dresden II 2023“. Das Bild ist im Original 180 mal 251 cm groß. © Candida Höfer

Einen Zuschauersaal ohne Publikum möchte Semperopernintendant Peter Theiler eigentlich nicht sehen. Niemals! Dennoch ist er begeistert von den großformatigen Fotografien Candida Höfers: „Ein leeres Theater hat etwas Faszinierendes, eine ganz große Verführung, eine Konzentration, eine Kraft. Sie hat ja nicht nur den Semperbau abgelichtet, man sieht auch unsere Werkstätten, in denen Menschen den ganzen Tag arbeiten und Illusionen produzieren.“

Parkett aus der Vogelperspektive: "Semper Oper Dresden VI 2023" Inktjet print, 152 mal 142 cm groß.
Parkett aus der Vogelperspektive: "Semper Oper Dresden VI 2023" Inktjet print, 152 mal 142 cm groß. © Candida Höfer

Wo im Viertelstundentakt gearbeitet wird

Candida Höfer fotografiert seit den 1980er-Jahren menschenleere Räume, die dafür gebaut wurden, dass Menschen darin lernen, lesen, arbeiten, Kunst genießen, Theater erleben, Musik hören, sich verzaubern lassen. Aber wie fotografiert man die Bühne der Dresdner Semperoper, auf der im Viertelstundentakt gearbeitet wird, die an keinem Tag im Jahr ungenutzt bleibt? Auf der geprobt und gespielt wird, auf der Bühnenbilder auf- und abgebaut werden? Das Team der Sächsischen Staatsoper Dresden stellte die Idee, mit der die Kölner Fotografin und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Sommer 2022 kurz vor den Theaterferien um die Ecke kamen, vor enorme Herausforderungen. Candida Höfer wollte am liebsten sofort anfangen. Doch der Tag, an dem das möglich werden konnte, wurde erst ein Jahr später gefunden, erinnert sich Chefdramaturg Johann Casimir Eule: „Um diesen Tag herum konnten wir eine Woche fotografische Arbeit planen. Keinen dieser Räume, die wir hier jetzt sehen in vermeintlicher Leere und Stille, haben wir als Theatermacher vorher so zu Gesicht bekommen.“

Die Bühne, wie sie sonst nur die Theaterleute sehen: „Semper Oper Dresden V 2023“ Inktjet print, 180 mal 283,5 cm groß.
Die Bühne, wie sie sonst nur die Theaterleute sehen: „Semper Oper Dresden V 2023“ Inktjet print, 180 mal 283,5 cm groß. © Candida Höfer

Das Kupferstich-Kabinett, das neben Zeichnungen und Druckgrafik auch künstlerische Fotografie sammelt, ließ Doreen Mende, der Leiterin der SKD-Forschungsabteilung, und Herbert Burkert, dem Vorstand der Candida Höfer Stiftung, quasi freie Hand bei der Gestaltung der Schau und bei der Auswahl der Druckgrafik aus den historischen Beständen des Kabinetts. Diese Blätter treten in einen Dialog mit den vierzehn Fotografien aus dem Opernhaus.

Auf die Perspektive kommt es an

"Zeichner einer Kanne" ist eine Illustration von Albrecht Dürer aus seinem 1525 erstmals veröffentlichtem Lehrbuch "Underweysung der Messung" . Darin zeigte er, wie Künstler mithilfe von Apparaturen Dinge und Menschen in Perspektive zeichnen können.
"Zeichner einer Kanne" ist eine Illustration von Albrecht Dürer aus seinem 1525 erstmals veröffentlichtem Lehrbuch "Underweysung der Messung" . Darin zeigte er, wie Künstler mithilfe von Apparaturen Dinge und Menschen in Perspektive zeichnen können. © SKD, Kupferstich-Kabinett; Foto: Herbert Boswank

So stehen zwei Darstellungen des Buchdrucks und Kupferstechens aus dem 16. Jahrhundert von Jan van der Staen Fotografien aus Malsaal und Lager in den Semperoperwerkstätten gegenüber. Es macht Freude, die Verbindungen von Kupferstichen, Holzschnitten und Radierungen mit zeitgenössischer Fotografie, die Linien von Albrecht Dürer oder Giovanni Battista Piranesi zu Candida Höfer zu ziehen. „Ihnen gemeinsam ist eine künstlerische Reflexion über Architekturen als Orte kultureller Rituale“, erklärt Doreen Mende. Diese Auswahl ist streng reduziert und auf Abstand gehängt. Das lässt Luft zum Denken, erleichtert es, den Blick zu konzentrieren, die Gedanken zu fokussieren.

„Ein Bild wird in einem anderen Kontext zu einem anderen Bild“, hat Candida Höfer einmal gesagt. Die 80-Jährige, die einst in Düsseldorf bei Bernd und Hilla Becher studierte und jetzt in Köln lebt, zeigt die Foyers und den Zuschauerraum, also Räume, die man vom Opernbesuch oder von Bildern, aus Filmen kennt. Wenn sie von der Bühne ins Parkett oder auf die Ränge blickt oder wenn sie die menschenleeren Werkstätten fotografiert, wirkt die dokumentierte Ruhe nicht wie ein neugieriger Blick hinter die Kulissen.

Aus mehreren Segmenten zusammengefügt

Diese Innenansicht der Begräbniskapelle im Freiberger Dom aus dem Jahr 1619 setzt sich aus 14 Kupferstichen von Christoph Vogel zusammen. Das Blatt ist 134,7 x 142,5 cm groß.
Diese Innenansicht der Begräbniskapelle im Freiberger Dom aus dem Jahr 1619 setzt sich aus 14 Kupferstichen von Christoph Vogel zusammen. Das Blatt ist 134,7 x 142,5 cm groß. © Kupferstich-Kabinett, SKD, Foto: Herbert Boswank

Wie macht Candida Höfer Räume zu Bildern, dass es keine Verzerrungen, keine Unschärfen gibt? Johann Eule hat den Prozess in der Semperoper miterlebt: Mit einer digitalen Großbildkamera hat Höfer mehrere Segmente des Raums mehrfach fotografiert und anschließend die besten Aufnahmen zu einem großformatigen Bild zusammengefügt. Auch im 17. Jahrhundert wurde aus vierzehn Kupferstichen ein großes Bild gedruckt: Christoph Vogels „Innenansicht der Begräbniskapelle im Freiberger Dom“. Herbert Burkert ergänzt: „Sie stellt keine zusätzlichen Scheinwerfer auf, sondern nutzt das vorhandene Licht. Manchmal werden Aufnahmen in verschiedenen Lichtsituationen gemacht und wird im Labor die Entscheidung getroffen.“

Ausstellungsinformationen

  • Ausstellung: „Candida Höfer: Kontexte. Eine Dresdner Reflexion“ bis 21. Juli im Kupferstich-Kabinett im Dresdner Residenzschloss. Geöffnet mittwochs bis montags von 10 bis 18 Uhr.
  • Publikation: „Candida Höfer: Kontexte. Semper Oper Dresden“, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 29,80 Euro
  • Edition: Drei Motive des Projekts von Candida Höfer, zu sehen im Studiensaal des Kupferstich-Kabinetts. Mailanfrage bitte an den Freundeskreis der SKD: [email protected]