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So war der Gundermann-Theaterabend in Dresden

Mal Musical, mal schlaues Regietheater: Die Inszenierung am Staatsschauspiel in Dresden holt den Mythos Gerhard Gundermann vom Sockel.

Von Johanna Lemke
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© Sebastian Hoppe

Der Abend beginnt mit einem Sonnenallee-Moment. Die Bühne im großen Haus des Staatsschauspiels Dresden sieht aus wie das perfekte DDR-Museum: senfgelbe Samtvorhänge mit langen Troddeln hinter müden Grünpflanzen – die idealtypisch nachempfundene Veranstaltungshalle von damals. Alles stimmt, bis zu den schlecht hinter den Pflanzen versteckten Kabeln für die Musikboxen. Und man möchte fast schon umkehren; wenn eine Inszenierung über den Liedermacher Gerhard Gundermann so stereotyp beginnt, droht ein musealer Theaterabend. Zunächst kommt auch genau so ein klischierter Gundermann auf die Bühne: In der berühmten Kluft aus gestreiftem Hemd und blauer Hose mit Hosenträgern, mit der blonden Vokuhila-Frisur und der zu großen Brille schlurft er auf die Bühne, die Gitarre dabei. Und setzt zum ersten Lied an. Seufz.

Genüssliche Brüche mit den Klischees

Es wäre ein Leichtes gewesen, „Gundi“-Fans einen nostalgischen Musikabend vorzusetzen, der dem berühmten Liedermacher aus Thüringen huldigt, der vielleicht ein bisschen dessen IM-Geschichte reflektiert und ansonsten vor allem das Publikum mit den nachgespielten Liedern bauchpinselt. Und Regisseur Tom Kühnel spielt mit der Inszenierung „Gundermann: Alle oder keiner“ auch fast schon brutal mit dieser Erwartung – um sie dann in jeder Szene genüsslich zu brechen.

Daniel Séjourné
Daniel Séjourné © Sebastian Hoppe

Der Gundermann, der da zu Beginn auf der Bühne zu klampfen beginnt, bleibt nicht lange allein. Ein zweiter gesellt sich zu ihm, dann noch einer. Am Ende stehen sechs Gundermänner auf der Bühne, einer so klischiert wie der andere. Gespielt werden sie von drei Frauen und drei Männern: Betty Freudenberg, Henriette Hölzel, Nadja Stübiger, Thomas Eisen, Jannik Hinsch und Daniel Séjourné spielen alle im gleichen Kostüm, mit der gleichen Perücke. So wird schlau die unmögliche Herausforderung umgangen, wie einer, der vielen noch sehr genau im Gedächtnis ist, nachgeahmt werden könnte. Solche Versuche scheitern im Theater ohnehin meistens, und spätestens seit dem erfolgreichen Film von Andreas Dresen im Jahr 2018, in dem Gundermann in dem Schauspieler Alexander Scheer quasi wieder auferstand, ist es ein nicht zu erreichendes Ziel.

Der „Dylan des Tagebaus“?

Stattdessen diskutiert Gerhard Gundermann in Dresden mit sich selbst über all die Zuschreibungen und Interpretationen, die sich um sein Leben und seine Musik ranken. Er war der „singende Baggerfahrer“, der „Vorzeigeprolet“, irgendwann gab es sogar mal die irre Bezeichnung „Dylan des Tagebaus“. Später wurde sein Engagement als „Ökoterrorismus“ heruntergebrochen. All diese Zuschreibungen werden von Kühnel in einer genialen Mischung aus Ironie und Melancholie inszeniert, begleitet von drei wunderbaren Musikern. Überhaupt, die Musik! Alle, die die ewig gleichen und auf zahlreichen Stadtfesten ständig re-interpretierten Melodien über haben, können hoffnungsfroh Karten für diesen Theaterabend buchen. Jedes Lied wird komplett auf den Kopf gestellt und in einem anderen Musikstil interpretiert: „Hoywoy“ wird zum Balkan-Punk-Kracher, „Linda“ kommt in einer Metal-Version daher, „Und musst du weinen“ verweigert sich der drohenden Schunkelei, indem es als basswummernder Techno-Song daherkommt. Neuinterpretation statt ständige Wiederholung – einen solchen Umgang braucht ein Musiker wie Gundermann, der ja auch künstlerisch nie stehen bleiben wollte. Wäre er 1998 nicht mit nur 42 Jahren verstorben, würde er wahrscheinlich heute selbst Techno machen.

Die Band
Die Band © Sebastian Hoppe

Nun sind singende Musiker ja manchmal durchaus, sagen wir, eine schwierige Sache: nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Doch hier stimmt wirklich alles. Henriette Hölzel ragt mit einer fulminant-kräftigen Stimme heraus, die anderen stehen ihr im Gesang in nichts nach. Matthias Trippner und Jan Stolterfoht, die auch zur begleitenden Band gehören, haben in der musikalischen Einrichtung wirklich alles gegeben.

„Gundermann“ in Dresden ist mal mehr Musical, mal schlaues Regietheater, in dem der Ausschluss des überzeugten Kommunisten aus der SED als ritterliche Tafelrunde inszeniert wird. Gundermanns späteres Herumwinden um die eigene IM-Tätigkeit wird als Sprechoper inszeniert. O-Töne von Wegbegleitern werden eingespielt, Videos aus den Umkleiden, in denen ein Genosse über den Zustand der Duschen mosert. Beschönigen gilt nicht an diesem Abend, der so vielschichtig ist wie die Geschichte selbst. Und die reicht in die Gegenwart hinein: Tom Kühnel gelingt über die Figur Gundermann sogar eine Auseinandersetzung mit dem Kohlebergbau, der Energiewende und den damit erneu befürchteten Brüchen in der Lausitz. So ist diese Inszenierung sogar hochpolitisch – wer hätte das zu Beginn gedacht?!

Wieder am: 2., 11. und 12. November, je 19.30 Uhr, Staatsschauspiel Dresden. Karten: 0351 4913555