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So war die Lesung von Frei.Wild-Sänger Philipp Burger in Dresden

Philipp Burger, Sänger der Südtiroler Band Frei.Wild, präsentiert seine Autobiografie „Freiheit mit Narben“ im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion.

Von Tom Vörös
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Freiwild-Sänger Philipp Burger (Mitte) stellte in Dresden sein Buch "Freiheit mit Narben" vor und posierte zuvor mit seiner Crew im Rudolf-Harbig-Stadion.
Freiwild-Sänger Philipp Burger (Mitte) stellte in Dresden sein Buch "Freiheit mit Narben" vor und posierte zuvor mit seiner Crew im Rudolf-Harbig-Stadion. © Foto: SZ/Veit Hengst

Wild und frei, trotzdem pünktlich und gut gelaunt. Selbst ein lockeres Gespräch mit dem Frei.Wild-Sänger Philipp Burger auf einem eleganten Chesterfield-Sofa fühlt sich an wie ein kleines Rockkonzert – light. Wenn einem dann noch eine normalstarke Marlboro-Zigarette trotz striktem Rauchverbot und Rauchmelder-Alarm-Risiko angeboten wird, dann bekommt man einen ersten Hauch davon, warum sich am Sonntagvormittag eine Endlosschlange vor dem Rudolf-Harbig-Stadion bildete.

So kurz vor seiner Lesung zu seiner Autobiografie „Freiheit mit Narben“ wirkt der Sänger außerordentlich freundlich und gelassen, trotz langer Nachtfahrt von einer Lesung in Stuttgart, durchschnittlich fünf Bier pro Abend und einsamen Nächten im Wohnmobil, wie man später erfahren sollte – im Hotel könne der Sänger nicht so gut einschlafen. Und während sein Team in der Dynamo-VIP-Lounge präzise wie ein südtirolisches Uhrwerk alles für die Lesung zusammenwuselt, werden die Eindrücke vom Stadionkonzert 2022 aus der Frischebox geholt.

Philipp Burger nahm sich bei seiner Buchpräsentation auch reichlich Zeit für Selfies mit Fans.
Philipp Burger nahm sich bei seiner Buchpräsentation auch reichlich Zeit für Selfies mit Fans. © Foto: SZ/Veit Hengst

Denn nicht 450 vorwiegend dunkel gekleidete Sonntagsausflügler mit Freiwild-Geweihen am Pullover, sondern 30.000 Fans der Band feierten hier im letzten Jahr eines der größten Konzerte der Bandgeschichte. Überhaupt sind Philipp Burgers Erfahrungen im Osten nicht gerade schlecht: Er kommt ins Schwärmen von ausverkauften Konzerten in kleinen Dresdner Klubs, die immer wieder in größere Säle verlegt werden mussten, bis hinein in die Messehalle.

„Das war unsere erste große Hallen-Show überhaupt und ein bedeutendes Gefühl“, sagt Burger und zeigt auf den langhaarigen ostdeutschen Frei.Wildler Alexander Lysjakow, der zwei Frei.Wild-Alben produzierte und ihn zur Lesung an der Gitarre begleitet. „Unsere ostdeutschen Fans haben uns auch die Türen nach Westen geöffnet“, sagt Burger und erklärt, wie die Band anfing, in kleinen Klubs ohne Gage und Übernachtung zu spielen, im Zelt zu schlafen und zum Wohle der Klubs auch noch genügend Fans aus dem Osten mitzubringen.

Philipp Burger gemeinsam auf der Bühne mit seinem Ghostwriter Stephan Kaußen (r.), einem deutschen Journalisten, Hochschuldozenten und Verfassers von politischen Büchern.
Philipp Burger gemeinsam auf der Bühne mit seinem Ghostwriter Stephan Kaußen (r.), einem deutschen Journalisten, Hochschuldozenten und Verfassers von politischen Büchern. © Foto: SZ/Veit Hengst

Frei.Wild gehört längst zu den erfolgreichsten Deutschrock-Bands. Seit 2018 landeten die Alben der vier Südtiroler aus Brixen fast regelmäßig auf Platz eins der deutschen Charts. Und das obwohl Frei.Wild mal kurz vor dem Aus stand: 2013 wurden die Texte der Band etwa von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien unter die Lupe genommen. Im selben Jahr wurde die Band erst für den Echo nominiert und dann wieder ausgeladen. 2016 bekamen Frei.Wild dann doch noch den Echo überreicht.

Inzwischen können die Musiker ihr aktuelles Album „Wir schaffen Deutsch.Land“ nennen, ohne dass ein kollektives Nasenrümpfen durchs Land geht. Denn nie konnte der Band eine faktische Nähe zum Rechtsextremismus nachgewiesen werden.
Vielleicht mehr noch: Der politische Wind dreht sich so langsam zugunsten einer Band, die schon immer konservativere Werte vertrat. „So eine Echo-Hysterie wäre heute gar nicht mehr denkbar“, so Burger. „Heute würden ganz andere Dinge für Empörung sorgen, viel härtere Sachen als das, was in unseren Texten steht. Was mich natürlich freut, denn dadurch sind wir quasi aus der Schusslinie.“

Wenn eine Musiker ein Buch vorstellt, geht das selten ohne Musik ab. So gab auch Philipp Burger in Dresden ein paar Songs zum Besten.
Wenn eine Musiker ein Buch vorstellt, geht das selten ohne Musik ab. So gab auch Philipp Burger in Dresden ein paar Songs zum Besten. © Foto: SZ/Veit Hengst

Auch Philipp Burger spürt, dass sich in Deutschland gerade etwas verändert. Heute kann er Dinge sagen, die er vor zehn Jahren lieber hätte bleiben lassen: „Ich finde diesen moralischen Ansatz, den Deutschland in die Welt trägt, immer schon überheblich und unsympathisch. Dass sich diese knapp 85 Millionen das Recht herausnehmen, der Welt zu sagen, was zu tun ist oder nicht zu tun ist, was richtig oder falsch ist.“ Burger betont aber auch, dass es immer Leute geben werde, die ihre Heimatliebe äußern, ohne sich über andere zu stellen. Was in der Vergangenheit oft falsch verstanden wurde: Denn in seiner Zeit als Skinhead und seiner rechtsextremen Band Kaiserjäger ging es vor allem um die regionale Rivalität zwischen Südtirolern und Italienern. „Es war natürlich auch die Strahlkraft der jeweiligen Personen aus dem Umfeld, die Musik und ein ganz großer Batzen Zufall. Sicherlich entstanden auch Feindbilder, gegen die wir unsere Wahrheit verteidigen mussten.“

Irgendwann zog Burger einen Schlussstrich - nach und nach, weil Skinheads keine Klubs betreten durften und Leute von außen ihm immer wieder Dinge sagten wie: Das brauchst du doch gar nicht, um glücklich zu sein. Der heute geläuterte Frei.Wild-Sänger musste mit offenen Karten spielen, um weiter Musik machen zu können. Denn ein jugendlicher Hitlergruß im CD-Cover seiner ersten Band und ein öffentlicher Auftritt bei einer rechtskonservativen Partei machten es dem Sänger keinesfalls leicht, einen erneuten Weg ins Musikgeschäft einzuschlagen. „Meine Vergangenheit hat mir viele geschlossene Türen, auch schlaflose Nächte und auch mal eine Träne beschert, aber eine Sache nicht: Die Angst, dass wieder etwas hochploppt, was noch im Keller liegt.“ Die offensive Aufrichtigkeit kommt auch bei den Fans gut an. „Ich denke, dass gespielte Glaubwürdigkeit sinnlos ist und auf lange Sicht keinen Bestand hat. Das
betrifft auch viele gehypte Bands, die nach zwei bis drei Jahren wieder verschwinden.“

Ein Buch für mehr Lebenszeit

Stellt sich die Frage, warum Burger so lange damit gewartet hat, seine Vergangenheit abzudrucken. „Viele hatten mir davon abgeraten, das Buch alleine zu schreiben. Sondern mich lieber mit schwierigen Fragen zu konfrontieren und mich dort hineinzugraben, wo es wehtut.“ Co-Autor und Moderator Stephan Kaussen gibt derweil den bierseligen Stimmungsmacher auf der Bühne und rückt den 42-jährigen Stürmer und Dränger immer wieder heraus aus dem vermeintlich rechten Licht.

Gejubelt wurde in der Stadion-Lounge auch. Erst spielt Burger sein Lied „Grenzland“ vom kommenden Album, dann ruft er freundlich-keck zum Bierverschütten auf und bei Lied Nummer drei, „Recordman“ von seinem ersten Solo-Album, herrscht kurz eine freie und wilde Stadion-Atmosphäre. Dann wird Burger noch mal ehrlich: „Das Buch schenkt mir vor allem Lebenszeit.“ Denn dort sei seine Skinhead-Vergangenheit offengelegt. Und stimmt das alles tatsächlich, so dürfte die Band Frei.Wild nicht nur weiterhin erfolgreich sein. Sie hat damit sogar das Potenzial, zur Band der Stunde hierzulande zu werden.

„Freiheit mit Narben: Mein Weg von rechts nach überall“ ist im Kampenwand Verlag erschienen.