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Tierisch, tierisch und schön schräg

Die Keramikerin Ute Naue-Müller und der Maler Michael Hofmann öffnen mit ihrer Kunst die Tür zu Spielräumen für mitdenkende Augenmenschen.

Von Birgit Grimm
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Das Schwanenpaar Odile und Odette von Ute Naue-Müller. „Störung“ nennt die Künstlerin die Figuren (Engobe, Glasur, E-Brand)
Das Schwanenpaar Odile und Odette von Ute Naue-Müller. „Störung“ nennt die Künstlerin die Figuren (Engobe, Glasur, E-Brand) © Ute Naue-Müller
Gemälde "Im Sommer" von Michael Hofmann, 2023
Gemälde "Im Sommer" von Michael Hofmann, 2023 © Kunstausstellung Kühl

Windschief sind die Häuser in den Gemälden von Michael Hofmann. Aber wie sie leuchten! Schräg gegenüber seines Gemäldes „Im Sommer“, wo die Bäume blaugefleckte Stämme haben, stehen schlanke Keramikobjekte, „Sender und Empfänger“ von Ute Naue-Müller. Aber die sind als Überträger von Gedanken nicht notwendig. Die Verbindungen zwischen den Bildern des Malers und den Figuren und Objekten der Keramikerin ergeben sich wie von selbst. Man meint, sie habe die Bilder, die Michael Hofmann in der Kunstausstellung Kühl zeigt, passend ausgesucht – oder umgekehrt. Zwar kennen die beiden einander und die Arbeiten des anderen. Aber vieles von dem, was in der Galerie zu sehen ist, wurde unmittelbar für die aktuelle Ausstellung geschaffen. Heiße Ware, gewissermaßen, wenn man den Brennprozess der Keramik in Betracht zieht. Aber nicht auf Bestellung, denn Ute Naue-Müller macht normalerweise keine Figur ein zweites Mal. Verkauft ist verkauft.

Krokodil und Frau in herzlicher Umarmung

Auch wer einen von Hofmanns Holzschnitten – schwarzweiß oder farbig – erwerben möchte, sollte nicht zu lange überlegen. Die Auflagen sind klein. Einzigartig und ganz wunderbar sind seine drei bemalten Holzreliefs. „Herzliche Umarmung“ von Krokodil und Frau, die keinen Fischschwanz hat, sondern auf Zehenspitzen auf einem Hummer steht. Fröhlich trägt der „Tierfreund“ diverse Vögel mit sich und eine Katze auf dem Kopf, die einen Fisch im Mäulchen hat. Der lila Hase an der Leine schaut allerdings ein wenig traurig wie auch der „Musikant“ mit dem Dudelsack, dessen kunterbunter Mantel so gar nicht zu seinem angespannten Gesichtsausdruck passt. Ihm folgen die Tiere, auch hier anschmiegsam die Vögel – und eine Schnecke.

Lang und schmal und wunderbar: 1,19 Meter hoch ist das Holzrelief "Herzliche Umarmung" von Michael Hofmann.
Lang und schmal und wunderbar: 1,19 Meter hoch ist das Holzrelief "Herzliche Umarmung" von Michael Hofmann. © Kunstausstellung Kühl

Zu schade als Vase

Nicht nur Michael Hofmann, der in diesem Jahr 80 wird, macht Landschaften, Gärten, Straßenzüge zur Kunst. Auch Ute Naue-Müller gibt mit einem quaderförmigen Objekt, das man nicht als Vase missbrauchen sollte, eine wunderbare, feine „Aussicht“ aus einem Fenster.

Die Künstlerin, Jahrgang 1960, ist eine fleißige Handwerkerin, die ihre Fähigkeiten ständig weiterentwickelt, immer wieder andere Techniken erlernt. Und sie ist eine Dresdnerin, die gut beobachtet, was in der Stadt vor sich geht, und hintersinnig kommentiert, was in der Welt passiert.

In ihrem „Kummerkasten“ in Form eines Grabsteins hat sie versammelt, worüber sich unsere Menschen so erregen, wenn der Tag lang ist. Der Einwurfschlitz für die normalen Sorgen ist viel größer als der für die ganz großen Sorgen. Platz ist auf dem Stein für Zahnschmerz und für einen Schutzschirm mit gigantischen Löchern, für Fußpilz und schwulen Fußball, für den EVP (Endverbraucherpreis made in GDR) und den SSV (kennt jeder). Wo es den Heuler (Seehund) gibt, muss auch ein Euler sein. (Muss man nicht erklären, oder?) Zum Heulen sind auch der Hausstaub und manches Nachspiel – und, ach ja, selbstverständlich, der Keramikbruch und das Alter!

Tierisch geht es zu im schwarz-weißen Barockkabinett der Ute Naue-Müller, die sich hier auch als vorzügliche Grafikerin erweist. Einer der beiden Kiwis, dieser dicken neuseeländischen, flugunfähigen Vögel, steckt seinen Schnabel in ein Fässchen Barocktinte. Der andere probiert die Standwaage, aber zum Abheben reicht es nicht. Der „Flying Dutchman“ dagegen ist längst durchgestartet, ruft „Ich, ich, ich“ und „Bahne frei“. Entdeckt in dieser Skulptur jemand Anklänge an die fantastische Elfenbeinfregatte im Grünen Gewölbe? Der gestreifte „Kryptokröterich“ ist unbestritten ein Unsympath - allein diese Augen! Und auf wen sich das „Tier in mir“ bezieht, will man lieber nicht so genau wissen.

Können diese Augen bezirzen? Ute Naue-Müllers "Kryptokröterich" .
Können diese Augen bezirzen? Ute Naue-Müllers "Kryptokröterich" . © Ute Naue-Müller

Faszinierend ist die vermeintliche Insektensammlung aus Porzellan in einem Barockrahmen. Lauter kleine ovale und runde Täfelchen mit Abdrücken von Insekten. Tatsächlich? In Wahrheit sind es Klappbilder, wie man sie vom Rorschachtest kennt, diesem umstrittenen psychologischen Analyseverfahren, bei dem Tinte auf ein Blatt Papier gekleckst und dieses dann mittig zusammengefaltet wird. Wieder aufgeklappt, meint man, ein Insekt zu erkennen. Naue-Müller sagt: „Insekten sind skurrile Schönheiten, die uns vor allem tot interessieren, wissenschaftlich oder rein ästhetisch. Flatternd oder surrend im Schlafzimmer, in unserem Nahbereich finden wir sie eher nervig oder bedrohlich.“

Wie sie den Tintenklecks vom Papier aufs Porzellan gebracht hat, soll ihr Geheimnis bleiben. Zu viel Wissen über den schöpferischen Entstehungsprozess kann die Kunst auch entzaubern. Weil jede barocke Sammlung tot ist, steht auf den „Namensschildchen“ unter den Insekten zwischen einem Stern für die Geburt und einem Kreuz für den Tod schlicht und ergreifend „o. T.“ – ohne Titel.

Das Figurenpaar "Störung" schuf Ute Naue-Müller im vergangenen Jahr.
Das Figurenpaar "Störung" schuf Ute Naue-Müller im vergangenen Jahr. © Ute Naue-Müller

Odile und Odette

Selten verzichtet sie auf einen Titel, denn oft steckt eine Botschaft drin. Ihrem Schwanenpaar hat sie Namen gegeben: Odile, der schwarze Schwan, hebt den rechten Flügel zum Gruß und reckt geifernd seinen langen Hals. Hinter ihm steht die weiße Odette und fasst sich mit dem linken Flügel genervt an den Hinterkopf. Man hört sie förmlich stöhnen in ihrem extravaganten Federkleid, diese Vertreterin einer Möchtegern-Elite. „Störung“ heißt das Figurenpaar, das, wie so viele andere Arbeiten von Ute Naue-Müller und Michael Hofmann auch, mitdenkende Menschen auf anregende und humorvolle Art herausfordert. Dass die Schwäne an ihren Platschfüßen Ballettschuhe tragen, treibt die Ironie auf die Spitze. Es ist zugleich eine augenzwinkernde Referenz der Künstlerin an den Palucca-Schul-Kurs „Artrose60+“, in dem Junggebliebene freien Ausdruckstanz trainieren.

Ausstellung „Spielräume“ mit Keramik von Ute Naue-Müller sowie Malerei und Holzschnitten von Michael Hofmann bis 27. April in der Kunstausstellung Kühl, Dresden, Nordstr. 5, geöffnet Mi – Fr 11 –19 Uhr, Sa 11– 16 Uhr.