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Starkomponist Udo Zimmermann gestorben

Udo Zimmermann, einer der führenden zeitgenössischen Komponisten Europas, ist tot. Er starb in der Nacht zum Freitag im Alter von 78 Jahren in Dresden.

Von Bernd Klempnow
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Udo Zimmermann 2009 in seinem Haus in Dresden.
Udo Zimmermann 2009 in seinem Haus in Dresden. ©  Robert Michael

Der deutsche Komponist und Intendant Udo Zimmermann ist tot. Der 78-Jährige starb in der Nacht zum Freitag in seinem Dresdner Haus. "Er ist friedlich eingeschlafen", sagte seine Frau Saskia Zimmermann saechsische.de. Sie hatte ihn die vergangenen Jahre gepflegt.

Udo Zimmermann zu begegnen, war immer ein Erlebnis. Wenn der Komponist, Theatermann und kulturpolitisch Engagierte sprach, dann wohlüberlegt und stets druckreif pointiert. Wenn er seine Werke selbst dirigierte, dann überwältigten einen nicht selten Emotionen, obwohl es moderne Kompositionen waren. Und wenn man sich mit ihm stritt oder ihn zu Recht des Übertreibens bezichtigte, dann konnte er auch austeilen. Ich mochte ihn, denn er war zu seinen besten Zeiten Schwergewicht und Hochstapler in einem. Künstlerisches Schwergewicht als Komponist wird er bleiben – auch über seinen Tod hinaus.

Semperoper plant Premiere der Oper "Weiße Rose"

Musik war stets sein Lebenselixier. Er galt in seinen aktiven Zeiten als einer der führenden zeitgenössischen Komponisten Europas. Zugleich war er Opernintendant, Festivalleiter und Akademiechef. Dennoch sah er sich vor allem als Theatermensch, der auch komponiert. Seine vor gut 40 Jahren entstandene Oper „Weiße Rose“ über die letzten Stunden von Hans und Sophie Scholl gilt mit über 250 Produktionen als das meistgespielte zeitgenössische Stück. Die Semperoper bereitet derzeit die „Rose“ vor. Sie soll im März Premiere haben.

Leider gibt es zu den anderen in Dresden uraufgeführten Opern wie „Lewins Mühle“ und „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ zwar Anfragen, aber keine Aufführungen. Maximal erklingen Ausschnitte. Verdient hätten es diese facettenreichen, Zimmermann-typisch sehr plastisch gestalteten Werke.

Auch in der Sinfonik schuf der gebürtige Dresdner Maßstabsetzendes. Etwa sein 1982 von den Berliner Philharmonikern uraufgeführtes oratorisches Stück „Pax questuosa – Der klagende Friede“. Es ist Musik, die einen aus dem Gleichgewicht zu werfen vermag. „Pax“ ist mit seinen Texten über den fehlenden Frieden nach Franz von Assisi bis Heinrich Böll und seinem raffinierten Einsatz von Soli, Chören und Orchester von elementarer Kraft. Einerseits hat es eine Wucht wie sonst nur Strawinskys „Frühlingsopfer“, andererseits erreicht es in den meditativen Momenten eine ergreifende Tiefe. Oder das nach einer zwölfjährigen Schaffenspause – aufgrund seiner umfangreichen Aufgaben als Intendant – 2009 entstandene Solokonzert „Lieder von einer Insel“ für den Dresdner Cellisten Jan Vogler. Das packte mit Farben und sphärischen Melodien – man spürte, Zimmermann wollte im Gegensatz zu vielen anderen Neutönern, dass der Zuhörer bei ihm andockt.

Udo Zimmermann 2007 als Intendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau.
Udo Zimmermann 2007 als Intendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau. © SAE Sächsische Zeitung

Wie schwer ihm diese Kunst des Komponierens fiel, sagte er einmal im SZ-Gespräch: „Das Komponieren war bei mir immer von großen Ängsten und Zweifeln begleitet. Die Ansprüche, die man an sich stellt, werden mit den Jahren ja nicht geringer.“ Nur wenige neue Sachen folgten dem Cello-Konzert. „Nach einer Operation geriet mein Nervensystem in einem ziemlich defizitären Zustand“, sagte er damals. „Es kostet immense Kraft, immer wieder gegen diese Verfallserscheinungen anzukämpfen.“ Er fürchtete Stillstand, blieb ein ewig Unzufriedener.

Schon als Kruzianer fühlte er so. Zimmermann war in den 50er-Jahren Mitglied im Kreuzchor Rudolf Mauersbergers, welcher erste Kompositionen betreute und mit dem Chor aufführte. Zu dieser Zeit festigte sich der ästhetische „Blick nach innen, auch unabhängig von christlicher Sinnsuche“. Und es wurde jene Eigenschaft ausgeprägt, die viele Kruzianer kennen, aber er besonders: „Immer links überholen zu müssen.“

So preschte er los, wenn er Theater und Festivals leitete. Seine Ankündigungen waren legendär, oft aber nicht untersetzt. Speziell als erster Nachwende-Intendant der Leipziger Oper gab es diese Sprüche, etwa, dass ein großer Hollywood-Regisseur bei ihm den Mammut-Zyklus von Wagners „Ring“ inszenieren würde. Er selbst beschrieb sich gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ deshalb als Hochstapler mit ungedeckten Schecks und das Opernhaus – wegen seines damals maroden Zustandes – als Rostkutsche. Immerhin: Die zwölf Leipziger Jahre bis 2001 mit 27 Uraufführungen waren die größte Herausforderung seines Lebens. Das Theater wurde mehrfach ausgezeichnet. Freilich blieb das Publikum bei den ambitionierten Modern-Sachen aus.

Nicht nur als Komponist war er ein Schwergewicht. Auch sein Einsatz für die Moderne dürfte seinesgleichen suchen. In Dresden gründete er 1974 das spätere Zentrum für zeitgenössische Musik, das als Forschungsort und Ausrichter von Konzerten, Festivals und Symposien international einen exzellenten Ruf als Heimstatt der Neuen Musik erlangte. 2004 wurde daraus das Hellerauer Europäische Zentrum, das alle Sparten von Theater bis Medienkunst vereinigt. Und das er bis 2008 leitete. Er hätte es gern länger getan. Die Stadt Dresden schickte ihn, den Ruhelosen und ewig Unzufriedenen, in den Ruhestand.

Stets skeptisch

Daneben dirigierte er sein Leben lang immer wieder renommierte Orchester, arbeitete an wichtigen Bühnen und füllte als langjähriger Leiter der „musica viva“-Reihe des Bayerischen Rundfunks beim gleichnamigen Festival in München große Säle. In den 14 Jahren seines Wirkens bei „musica viva“ kamen 175 Werke zur Uraufführung.

Zudem, was man oft vergisst: Er hat als Professor für Komposition an der Dresdner Hochschule Schüler wie Annette Schlünz und Caspar René Hirschfeld geprägt. Die sind längst avancierte Tondichter.

Nach seinem Tod schickten am Freitag viele Institute wie Semperoper und Festspielhaus Hellerau ebenso wie Politiker große Würdigungen. Udo Zimmermann hätte die Lobpreisungen zur Kenntnis genommen: sicher geschmeichelt und doch auch mit der für ihn typischen Skepsis. „Ach wissen Sie, Zweifel sind doch nie unangebracht, bei sich selbst nicht und schon gar nicht bei anderen.“

Noch am Freitag hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) Zimmermann gewürdigt. Mit seinem Werk als Dirigent, Musiker, Künstler, Intendant und Komponist habe er "unzählige Menschen berührt, inspiriert & begeistert", sagte er am Freitag. "Sachsen war Udo Zimmermanns Heimat, von hier hat er sich unermüdlich für zeitgenössische Musik engagiert und die Gegenwartsmusik in Europa entscheidend geprägt."