SZ + Feuilleton
Merken

Nach dem Ansturm ist vor dem Ansturm

Im Dresdner Verkehrsmuseum wird hinter den Kulissen gearbeitet, als gäbe es keinen Shutdown.

Von Birgit Grimm
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Still ruht der Verkehr im Kinderzentrum des Dresdner Verkehrsmuseums.
Still ruht der Verkehr im Kinderzentrum des Dresdner Verkehrsmuseums. © Arvid Müller

Die Ampel an der Tür zum Verkehrsgarten ist ausgeschaltet. Die Bobbycars parken in Reihe und Glied. Nur eines steht einladend schräg. Garantiert wird es das erste sein, das in die Runde geht, sobald sich wieder ein Kind drauf setzen darf. Die Desinfektionsmittel auf einem Schrank an der Wand hat schon lange niemand mehr benutzt. Auch die Bodenbeläge haben ihre beste Zeit hinter sich und sollen demnächst erneuert werden. „Im Sommer haben wir jeweils zehn Familien für eine halbe Stunde in den Verkehrsgarten gelassen und danach alles gereinigt und desinfiziert“, erzählt Manuel Halbauer. „Auch hätten wir sehr gern den Schulen angeboten, bei uns im Haus Unterricht zu halten.“

Aber bevor die Planungen weit genug gedeihen konnten, musste auch das Dresdner Verkehrsmuseum wieder geschlossen werden. Der Pressechef des Museums erlebt nun schon den zweiten Lockdown in diesem Haus und nutzt die Zeit auch, um digitale Angebote neu auszuprobieren und die vorhandenen Formate wie die Mittagspausenführung, die im realen Museumsbetrieb guten Zuspruch fand, zu schärfen.

Sein neuer Chef Michael Vogt kam erst im Spätsommer. Er eröffnete Ende Oktober die neue Dauerausstellung zum Schienenverkehr, die noch unter seinem Vorgänger Joachim Breuninger konzipiert und teilweise eingerichtet wurde, und hat seitdem nur wenig direkten Kontakt zum Publikum. Schon kurz nach dem Start-Pfiff für die Eisenbahn stellte die Politik das Signal auf Rot. Die beiden Wartebereiche im Lichthof, die an historische Bahnhofshallen erinnern, sind seit Wochen verwaist. Noch viel deutlicher als sonst sieht man, dass dem Foyer ein Lichtkonzept fehlt, und spürt, wie sehr es im Lichthof hallt. „Das wollen wir ändern“, sagt Vogt.

Mitarbeiter des Dresdner Verkehrsmuseums bereiten die neue Sonderausstellung zur Raumfahrt vor, die ab 1. März zu sehen sein soll
Mitarbeiter des Dresdner Verkehrsmuseums bereiten die neue Sonderausstellung zur Raumfahrt vor, die ab 1. März zu sehen sein soll © Arvid Müller

Damit der Lichthof künftig für Veranstaltungen genutzt werden kann, soll die Raumakustik verbessert werden. Auch sonst wird im Museum renoviert, wo es notwendig ist, hier und da ein Objekt in der Dauerausstellung ausgetauscht. Zum Beispiel stehen zwei Mopeds der Marke Simson aus den 1950er-Jahren, die KF50, ein Kleinroller, die erste Modellgeneration und gleich daneben die Nachfolgerin, eine Schwalbe KR51. Auf den ersten Blick sind das keine Schönheiten. Für die Ausstellung werden sie noch fit gemacht, aber nicht nur als reine Schauexponate. „Die Schwalbe werden wir vor eine große Fotowand stellen, man kann sich auf die Schwalbe setzen und Fotos machen“, sagt Henrik Kerinnes, Kustos für den Straßenverkehr. „Wir polieren sie noch auf und tauschen aus die Lenkerarmaturen, die Griffe, die Kupplungs- und Bremshebel, die Trittbretter, also alles, womit der Besucher in Berührung kommt. Die Sitzbank auch.“

Als Motorradreifen aus Stroh waren

Nach der Ausstellung werden die originalen Teile wieder drangebaut. Ist eher die Ausnahme, dass ein Exponat für so publikumswirksame Zwecke benutzt wird. „Unsere beste Schwalbe steht in der Dauerausstellung und bleibt auch dort“, sagt Kerinnes. Eine Besonderheit der Motorradgeschichte wird für die Präsentation in der Luftfahrtabteilung vorbereitet. Es ist eine Megola aus den 1920er-Jahren, eine eigenwillige Konstruktion mit einem Sternmotor, der am Vorderrad mitläuft. "Es gibt keine Kupplung, man konnte damit nur fahren oder stehen" sagt Kerinnes. Im dichten Verkehr von heute mag man sich so ein Gefährt lieber nicht vorstellen. Aber warum wird es in der Luftfahrtabteilung gezeigt? "Weil es Flugzugkonstrukteure und Flugzeugingenieure waren, die das Motorrad nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten", sagt der Kustos.

Museumsdirektor Vogt schwärmt von einem weiteren, sehr besonderen Exponat, das als jüngste Leihgabe demnächst ins Haus kommt: "Ein wunderschönes Motorrad, das allerdings nur vier Kilometer gefahren ist. Es wurde erst vor Kurzem in einer Scheune entdeckt." Kurios an dieser Maschine, einer DKW RT 125, ist, dass sie Reifen aus Strohbündeln hat. Das Baujahr 1940 erklärt einiges: Im Krieg wurde alles gebraucht fürs Militär, auch Kautschuk war Mangelware. Deshalb hat dieses Modell eine Notbereifung.

Das Foyer soll eine Frischekur bekommen.
Das Foyer soll eine Frischekur bekommen. © Arvid Müller

„Wir haben gut zu tun“, sagt Vogt. „Arbeiten können wir jederzeit auch ohne Besucher. Was wir ihnen schließlich in den Ausstellungen bieten, zeigt nur die Spitze des Eisbergs der Arbeit in einer Sammlung.“ Das heißt, die Besucher sehen nicht und müssen auch gar nicht wissen, welche Forschungen, Planungen, Entwürfe notwendig sind, um eine Ausstellung zu gestalten. Es kann Monate, ja sogar Jahre dauern, bis eine Idee wissenschaftlich korrekt und zugleich publikumswirksam umgesetzt wird.

Ein Kleidungsstück von Sigmund Jähn

Am 1. März, so Corona will, soll die neue Schau zur Raumfahrt für die Besucher öffnen - mit einer großen Inszenierung im Lichthof und im Sonderausstellungsbereich. Dort diskutieren gerade drei Männer über einen Kuboktaeder. Selbstverständlich tragen sie Masken, während sie das handliche Modell hin- und herwenden, die Kanten messen und und die Längen maßstabsgerecht vom Gestaltungsentwurf in den Ausstellungsraum übersetzen. „Wir arbeiten für die Raumfahrtausstellung mit der Bühnenbildnerin Anita Fuchs zusammen, das ist eine neue Herausforderung für uns“, sagt Museumsdirektor Michael Vogt. Sternenbilder, ein kleiner Sputnik, ein Mondlandeapparat, ein Modell der ISS, ein Kleidungsstück von Sigmund Jähn, ein Meteorit aus Namibia …

Michael Vogt, Direktor des Verkehrsmuseums Dresden, in der neuen Dauerausstellung zum Schienenverkehr.
Michael Vogt, Direktor des Verkehrsmuseums Dresden, in der neuen Dauerausstellung zum Schienenverkehr. © Foto: Anja Schneider

Elektriker und Philosoph als Museumschef

Die Liste der Leihgaben ist lang und der Museumsdirektor optimistisch, die Exponate pünktlich geliefert zu bekommen bzw. abholen zu können. Denn Objekte, die normalerweise im All unterwegs sind, haben die Depots des Verkehrsmuseums nicht zu bieten. Vogt und seine Kollegen arbeiten an einer Ausstellung, die auch die Möglichkeiten und Grenzen der Raumfahrt für das Klima und die Entwicklung der Erde diskutieren will. Nicht nur technische und gestalterische Fragen sind zu klären, auch philosophische. Selbstverständlich, denn auch dafür ist Vogt im Verkehrsmuseum angetreten.

Elektriker hat der gebürtige Rostocker vom Jahrgang 1970 gelernt. Zuerst studierte er Physik. „Als ich merkte, dass ich meine Fragen nach dem Warum mit der Physik nicht zufriedenstellend beantworten konnte, hat es mich in die Philosophie getrieben.“ Seine Doktorarbeit schrieb Vogt über den Bewegungsbegriff in der Quantenmechanik, es ist eine philosophische Arbeit über Physik. „Diese Verbindung habe ich seitdem bei all meinen Tätigkeiten gesucht und auch immer wieder fruchtbar einbringen können“, sagt er. In der Raumfahrtausstellung soll das zu spüren sein. „Auch wer sich kulturhistorisch interessiert, soll dort zu seinem Teil kommen.“

Die Serie "Kunstpause":

Dieser Artikel ist Teil der Serie Kunstpause, die während Lockdowns einen Blick hinter die Kulissen sächsischer Kulturstätten wagt. Alle Serienteile finden Sie hier: Kunstpause: Sachsens Kultur im Lockdown.