Dresden
Merken

Als die Dresdner über die Elbe spazieren konnten

In diesem Jahr wird die Elbe wohl nicht mehr zufrieren. Eine Eisdecke auf dem Fluss ist ein seltenes Naturschauspiel geworden. Vor 60 Jahren war dies in Dresden das letzte Mal der Fall.

Von Ralf Hübner
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
„Die Elbe zu Eis erstarrt“: Die zugefrorene Elbe im Februar 1962. Die Sächsische Zeitung berichtete in dem kalten Winter von neuen Helden und Timurtrupps, die älteren Menschen halfen.
„Die Elbe zu Eis erstarrt“: Die zugefrorene Elbe im Februar 1962. Die Sächsische Zeitung berichtete in dem kalten Winter von neuen Helden und Timurtrupps, die älteren Menschen halfen. © Archiv/Hans-Jürgen Freudenberger

Dresden. Der Februar ist verglichen mit dem langjährigen Mittel vermutlich wieder einmal viel zu warm. In Dresden liegt kaum Schnee, die Temperaturen erreichen teilweise zweistellige Werte. Die Elbe ist komplett eisfrei. Vor 60 Jahren war das ganz anders. Im Februar 1963 war der Fluss das bisher letzte Mal richtig zugefroren.

Ganze 35 Tage war die Elbe bei Dresden damals komplett mit Eis bedeckt. Die Menschen spazierten zu Fuß über den Fluss. Doch das Eis durfte erst ab einer Stärke von mindestens zwölf Zentimetern betreten werden. Regelmäßig wurde deshalb dessen Dicke gemessen.

Die Wege über das Eis folgten den Messergebnissen und verliefen zumeist nicht gerade, sondern schlängelten sich über die dicksten Eisstellen. Die Fährleute hatten Wege angelegt, abgesteckt und gestreut, wo sonst ihre Fähren fuhren. Diese Mühe musste bezahlt werden: An beiden Ufern stand ein Schaffner der Verkehrsbetriebe und kassierte für den Übergang fünf Pfennige. In der Presse wurde gewarnt, nicht von den markierten Wegen abzuweichen.

Dreimonatige Frostperiode lässt Dresden gefrieren

Der Winter von 1962 auf 1963 war in Europa einer der strengsten des vergangenen Jahrhunderts mit einer ungewöhnlich langen Frostperiode. Vom Ende der 1930er- bis in die späten 1960er-Jahre bescherte eine klimatologische Kühlphase Mitteleuropa gleich eine ganze Reihe harter Winter wie die strengen Kriegswinter von 1939/40, 1940/41 sowie den Nachkriegswinter 1946/47.

1962 fiel schon Mitte November der erste Schnee. Eine starke Hochdruckbrücke erstreckte sich von Grönland bis zu den Azoren. Diese Konstellation blieb wochenlang wetterbestimmend. Die erste Kältewelle dauerte etwa bis zum 9. Dezember, eine zweite Periode begann mit Schneefällen in Westeuropa Mitte Dezember und einem Temperatursturz am 22./23. Dezember. Von Januar bis Ende Februar folgte eine lange Schönwetter- und Frostperiode. Erst Anfang März beendete Tauwetter die rund dreimonatige Frostperiode in Mitteleuropa.

Ab Mitte Januar lagen die Temperaturen in Dresden wochenlang weit unter dem Gefrierpunkt. Nachts wurden teilweise bis minus 30 Grad gemessen. Beim Abriss der Ruine der Sophienkirche mussten die Arbeiter zu Handarbeit übergehen, weil ihnen die Presslufthämmer eingefroren waren. Zum Teil fuhren keine Straßenbahnen mehr, Weichen waren eingefroren. Die Versorgung mit Fernwärme funktionierte nur noch eingeschränkt, die Wärmeversorgung von sozialen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Seniorenheimen hatte Vorrang. Theater und Kinos hatten zeitweise geschlossen.

Zehn Winter mit Eisstand zwischen 1900 und 1999

In den Kraftwerken mussten Soldaten und Arbeiter helfen und luden die Güterwaggons teilweise per Hand ab. Die Sächsische Zeitung berichtete von einer "Winterschlacht" und von neuen Helden, von Eisenbahnern, die sich mühten, den Zugverkehr am Laufen zu halten. Und von Timurtrupps der Jungen Pioniere, die den Senioren zur Hand gingen.

Der damals 17-jährige Lehrling Hans-Jürgen Freudenberger berichtete von der täglichen Fahrt in der ungeheizten Kasten-Straßenbahn zu seinem Lehrbetrieb, dem Ihagee-Kamerawerk in Striesen, dem späteren Kombinat Pentagon. "Die endete zumeist an einer zugefrorenen Weiche mit einem anschließenden mehr oder weniger langen Fußmarsch bei minus 20 Grad." Die eisigen Temperaturen hielten ihn jedoch nicht davon ab, ein Eishockey-Freundschaftsländerspiel der DDR gegen die UdSSR im offenen Eisstadion gleich neben dem Heinz-Steyer-Stadion zu besuchen. Die DDR-Kufencracks unterlagen der Sbornaja mit 0 : 10.

Der Statistik zufolge kam es zwischen 1900 und 1999 in insgesamt zehn Wintern zu einem sogenannten Eisstand auf der Elbe bei Dresden. Dabei stauen sich Treibeisschollen über die gesamte Flussbreite und frieren zusammen, wodurch eine geschlossene Eisdecke entsteht. Und wann immer die Elbe zufror, nutzten das die Dresdner zu einem Spaziergang auf ihrem Fluss.

Chemische Abwässer verhindern später Eis auf der Elbe

So auch im Februar 1912, als der Winter mit bis zu minus 22 Grad Nachttemperaturen die sächsische Residenz fest im Griff hatte. Auch im Winter 1928/29 vergnügten sich die Dresdner auf der Elbe an der Augustusbrücke. Die absolute Tiefsttemperatur in jenem Winter wurde am 11. Februar 1929 mit minus 30,5 Grad Celsius gemessen. Auch wenn der Winter 1939/40 nicht ganz so eisig war, reichten die Minustemperaturen aus – so etwa am 11. Januar mit minus 24 Grad –, dass die Elbe zuging.

Und auch da nutzten viele Dresdner den eisbedeckten Strom für ausgiebige Spaziergänge und winterliches Sportvergnügen. Es wurden sogar "Eiswanderungen" von Dresden nach Meißen unternommen. Das Erlebnis wurde gern auf Fotos festgehalten.

Chemische Abwässer, die teilweise wie ein Frostschutzmittel wirkten, waren später der Grund dafür, dass die Dresdner auch in harten Wintern und bei extremer Kälte wie etwa 1987 auf solche Vergnügen verzichten mussten. Die jetzt deutlich bessere Wasserqualität erhöht wieder die Chancen für das seltene Naturspektakel. Wenn die Witterung mitspielt.