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Welche Vögel es bald nicht mehr in Dresden geben wird

60 ehrenamtliche Ornithologen haben in vier Jahren die Vögel in Dresden gezählt und einen Brutvogel-Atlas erstellt. Der enthält überraschende Entwicklungen.

Von Kay Haufe
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Freizeitornithologe Rolf Steffens hat an der Pillnitzer Elbinsel zahlreiche Vögel beobachtet. Allerdings stört  der Waschbär inzwischen bei der Vogelbrut.
Freizeitornithologe Rolf Steffens hat an der Pillnitzer Elbinsel zahlreiche Vögel beobachtet. Allerdings stört der Waschbär inzwischen bei der Vogelbrut. © René Meinig

Dresden. Es scheint, als wolle die Vogelwelt an diesem Morgen an der Pillnitzer Elbinsel demonstrieren, wie vielfältig sie in Dresden ist. Mit weit ausgebreiteten Flügeln lässt sich ein Fischadler über die Baumwipfel gleiten. Das ist selbst für Hobby-Ornithologen Rolf Steffens eine seltene Überraschung, lebt doch nur ein Brutpaar im Dresdner Norden. Eher findet man den schlanken, bussardgroßen Greifvogel in den Landkreisen Großenhain und Bautzen, wo er regelmäßig brütet. "Er wird zur Fischjagd in die Elbaue gekommen sein", vermutet Steffens.

Wenige Minuten später sind blitzschnell zwei Eisvögel dicht über der Wasseroberfläche unterwegs. "Der Eisvogel kommt gern im Herbst und Winter zur Fischjagd an die Elbe. Für die Brut benötigt er aber Lehmwände, in die er seine Höhlen gräbt, und die in Dresden selten geworden sind."

Dann benötigt Rolf Steffens sein Fernglas, um die drei Gänse näher zu bestimmen, die angeschwommen kommen. "Aha, das sind Nilgänse, erkennbar an ihrem dunklen Augenfleck. Es sind zwei Elterntiere mit einem Jungtier", sagt der 79-Jährige. Besonders gern gesehen ist die Nilgans in Dresden nicht, ist sie doch ein "Gefangenschaftsflüchtling" aus Zoos und Parks, der sich rasant ausbreitet. "Sie ist sehr streitlustig und okkupiert sogar Nester von Greifvögeln und Weißstörchen", weiß der Vogelkenner.

Gemeinsam mit rund 60 weiteren Vogelinteressierten hat sich Steffens in den Jahren 2016 bis 2020 sehr ausführlich mit den Vögeln beschäftigt, die in Dresden heimisch sind und einen Brutvogelatlas geschrieben. Was einige der wichtigsten Fakten daraus sind.

Wie viele Vogelarten gibt es in Dresden?

Für den Beobachtungszeitraum wurden 125 Arten als sichere und zehn als wahrscheinliche Brutvögel eingestuft. Die zehn häufigsten Arten waren in absteigender Reihenfolge der Haussperling, die Amsel, die Kohlmeise, die Blaumeise, die Mönchsgrasmücke, der Star, der Buchfink, das Rotkehlchen, der Mauersegler und die Ringeltaube.

Für die Kartierung wurde die 328,8 Quadratkilometer große Dresdner Stadtfläche in rund 200 Rasterfelder unterteilt. Die 60 ehrenamtlichen Ornithologen waren in den Jahren 2016 bis 2020 in den Monaten von März bis Juni jeweils zweimal in den frühen Morgenstunden unterwegs, um Brutstatus und Häufigkeit aller Arten in ihren Rasterfeldern zu ermitteln.

Aus der Summe aller besetzten Reviere hat sich ein Gesamtbestand von im Mittel von 155.000 Brutpaaren bzw. -revieren ergeben. Unerwarteter Fakt: Im Zentrum der Dresdner Heide ist die Anzahl der Brutvogelarten 36,5 je Rasterfeld am niedrigsten, während sie mit 60,3 in der südöstlichen und nordwestlichen Elbaue einschließlich dem Airportpark, dem Stausee Oberwartha und dem Rossendorfer Teich am höchsten ist. Ursache für die Vielfalt ist das reichhaltige Lebensraummosaik aus Stand- und Fließgewässern, kiesigen und sandigen Ufern, Hochstaudenfluren und Auengebüschen, Laubmischwäldern und Siedlungsrandbereichen.

Gibt es Vögel, die nicht mehr in Dresden brüten?

14 Brutvogelarten, die in Dresden einst heimisch waren, konnten nicht mehr nachgewiesen werden. Bis ins 19. Jahrhundert gab es in der Dresdner Heide das Auerhuhn, an der Elbe Zwerg- und Flussseeschwalbe. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurden noch Birkhuhn und Rotkopfwürger nachgewiesen, bis Ende des 20. Jahrhunderts Steinkauz, Nachtschwalbe, Schwarzstirn- und Raubwürger sowie Brachpieper. Nach Beginn des 21. Jahrhunderts gab es zudem noch Schleiereule, Haubenlerche, Wiesenpieper und Ortolan.

Doch es gibt auch Arten, die bereits verschwunden waren, aber zurückgekehrt sind. Wie beispielsweise den Wiedehopf, der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr in Dresden gesichtet wurde, aber seit 2012 wieder. Im Jahr 2021 wurden mehrere Jungvögel im Bereich des Nordfriedhofes beobachtet. Auch der Kolkrabe und das Schwarzkehlchen sind zurück.

Welche Arten sind neu in der Stadt heimisch geworden?

21 Arten konnten neu in Dresden nachgewiesen werden. Erst seit kurzem, mit Beginn des 21. Jahrhunderts, sind Nilgans, Gänsesäger, Kranich, Raufußkauz und Wanderfalke anzutreffen. Ein bis drei Brutpaare des Wanderfalken gibt es jährlich an drei Brutplätzen in Striesen, Strehlen und Coschütz. Im Jahr 2023 waren sogar fünf Brutplätze besetzt.

Bereits seit dem 19. Jahrhundert sind der Jagdfasan, die Wacholderdrossel und der Girlitz in Dresden heimisch, seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Höckerschwan und die Türkentaube. Mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Graugans, Mandarinente, Reiherente, Haubentaucher, Rot- und Schwarzmilan, Sperlingskauz, Mittelspecht, Beutelmeise, Zwergschnäpper und Birkenzeisig hier ansässig.

Die Autoren des Brutvogelatlasses schreiben, dass es Verluste als auch Zugewinne an Brutvogelarten gab. Seit 1990 ist die Anzahl der zunehmenden Arten mit 42 Prozent höher als die der abnehmenden mit 36 Prozent. Bei Singvögeln deutet sich aber bereits eine Trendwende an (36 zu 38 Prozent), die sich seit etwa 2005 deutlich verschärft (22 zu 36 Prozent). Allerdings weisen die Verfasser darauf hin, dass es Rebhuhn, Kiebitz, Turteltaube und Braunkehlchen ohne bessere Lebensbedingungen für sie bald nicht mehr in Dresden geben wird. Die Vielfalt der Singvogelarten nehme insbesondere durch Strukturverarmung und Nahrungsengpässen im Agrarraum ab. Auch das Insektensterben trage maßgeblich dazu bei.

Der Eisvogel lebt unter anderem in Meußlitz.
Der Eisvogel lebt unter anderem in Meußlitz. © Foto: Heiko Drechsler
Die Rauchschwalbe ist im Schönfelder Hochland häufiger zu sehen.
Die Rauchschwalbe ist im Schönfelder Hochland häufiger zu sehen. © Foto: Heiko Drechsler
Der Gartenrotschwanz fühlt sich in der Stadt vor allem in Gebieten mit hohem Kleingartenanteil wie in Seidnitz wohl.
Der Gartenrotschwanz fühlt sich in der Stadt vor allem in Gebieten mit hohem Kleingartenanteil wie in Seidnitz wohl. © Foto: Heiko Drechsler
50 bis 60 Brutpaare des Schwarzspechtes gibt es noch in Dresden, vor allem in der Heide.
50 bis 60 Brutpaare des Schwarzspechtes gibt es noch in Dresden, vor allem in der Heide. © Foto: Heiko Drechsler

Was soll mit dem Brutvogelatlas erreicht werden?

"Wir wollten kein Buch nur für Ornithologen schreiben, sondern für alle Interessierten", sagt Rolf Steffens. Die Vogelkunde habe in Dresden eine lange Tradition. "Unser Buch soll auf die natürlichen Bedürfnisse der Vögel aufmerksam machen und wir geben mit jedem Vogelporträt auch Hinweise, was getan werden sollte, damit sich die Art langfristig in Dresden wohlfühlt."

Vögel begegnen uns auf Schritt und Tritt im täglichen Leben, sie werden bewundert ob ihrer Fähigkeit zu fliegen, begeistern durch ihren Gesang und berühren durch ihre Brutpflege. "Ihr Schutz liegt vielen Menschen am Herzen und kann auch Türen zu einer umfassenden Einsicht für den Naturschutz öffnen", heißt es im Buch.

"Wir wollen auch dafür sensibilisieren, dass jeder einen Beitrag zum Vogelschutz leisten kann, in dem er Nisthilfen im Garten oder auf Balkonen anbringt, im Winter füttert und Vogeltränken aufstellt", sagt Steffens. Zudem gibt es Naturschutzverbände und ornithologische Fachgruppen, in denen sich Interessierte engagieren können.

Der Dresdner Brutvogelatlas wird im Dezember erscheinen und dann auch im Buchhandel erhältlich sein. Die SZ informiert, wann es so weit sein wird und was der Atlas kostet.