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So ging das Corona-Experiment aus

Zum Festival der "Firebirds" kamen mehr als 3.000 Gäste - ohne Maske und ohne Sicherheitsabstand, aber wissenschaftlich begleitet. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Von Nadja Laske
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Modellprojekt Firebirds-Festival: So viel wurde lange nicht vor Bühnen gekuschelt, getanzt und gefeiert, wie am ersten Juliwochenenden auf Schloss Trebsen - ganz ohne Mundschutz und Sicherheitsabstand.
Modellprojekt Firebirds-Festival: So viel wurde lange nicht vor Bühnen gekuschelt, getanzt und gefeiert, wie am ersten Juliwochenenden auf Schloss Trebsen - ganz ohne Mundschutz und Sicherheitsabstand. © Philipp Kumbier Fotografie / PR

Dresden. Dicht gedrängt und maskenlos feiernde Menschen vor einer Bühne. Das sind Bilder aus Zeiten, die wohl jeder zurücksehnt. Am ersten Juliwochenende hatte die Rock'n'Roll-Band Firebirds zu einem Festival eingeladen, dass in Corona-Zeiten eigentlich gar nicht möglich gewesen wäre. Doch die Musiker aus Leipzig, die auch in Dresden eine große Fangemeinde haben, hatten die Großveranstaltung für insgesamt 3.300 Besucher an eine wissenschaftliche Untersuchung gekoppelt. Jetzt liegen die Ergebnisse der Dresdner Forscher vor.

Eingestuft als Modelprojekt bekamen die Firebirds von Amtswegen die Erlaubnis, so viele Gäste auf Schloss Trebsen im Landkreis Leipzig zu versammeln und sie uneingeschränkt zu erleben - zumindest innerhalb der Schlossmauern. Wissenschaftler der TU Dresden begleiteten das Konzertwochenende und empfahlen ein strenges Testregime, dessen Parameter zuvor in verschiedenen Varianten errechnet und abgewogen worden waren.

Die Firebirds füllen auch in Dresden die Hallen, zum Beispiel die Ballsportarena oder den Saal der weihnachtlichen Dinnershows "Mafia Mia" im Ostragehege.
Die Firebirds füllen auch in Dresden die Hallen, zum Beispiel die Ballsportarena oder den Saal der weihnachtlichen Dinnershows "Mafia Mia" im Ostragehege. © PR

Welche Schnelltests müssen wie oft und in welchem zeitlichen Abstand vor dem Konzert angewendet werden, um mit großer Wahrscheinlichkeit jede Infektion zu entdecken? Das war die entscheidende Frage. Für die Rechenmodelle war neben den Güteeigenschaften der Tests auch der Anteil der aktuell infizierten Personen in der Bevölkerung relevant.

Niedriges Risiko bei vielen Tests

Der Leiter des Experiments, Professor Ingo Röder, speiste seinen Rechner mit unterschiedlichen Zahlen zum Infektionsgeschehen, mit Informationen, die zur Sicherheit verschiedener Schnelltest-Fabrikate vorliegen, mit variierenden Zeiträumen, in denen die Corona-Tests durchgeführt wurden, und mit der Anzahl der Tests pro Person.

Schließlich empfahl der Mathematiker zwei Tests pro Person. Die Gäste mussten mit einem negativen Schnelltest am Einlass erscheinen und sich vor Betreten des Festivalgeländes in einem Testzentrum vor Ort erneut auf das Coronavirus testen lassen, und zwar an jedem Festivaltag von neuem. Fiel auch dieser Test negativ aus, durften sie den Veranstaltungsort betreten und konnten dort auf Masken und Sicherheitsabstände verzichten.

Einen Monat später nun hat Professor Ingo Röder das Modellprojekt auf zwölf Seiten ausgewertet und ein Fazit gezogen. Es soll richtungweisend für andere Künstler und Veranstalter sein.

Nur zwei von insgesamt 6.164 Besuchern wurden im veranstaltungseigenen Testzentrum positiv getestet. Weil Antigentests auch falsch anzeigen können und keinem Gast fälschlicherweise das Konzert verhagelt werden sollte, boten die Firebirds in diesem Fall einen besonders schnell auszuwertenden PCR-Test an. Und tatsächlich: Die beiden Personen waren demnach nicht infiziert.

Die Siebentageinzidenz lag an jenem Konzertwochenende bei fünf. Die Möglichkeit, dass negativ Getestete das Virus dennoch in sich trugen, bestand zwar. Doch nicht nur die Kennziffer der Neuinfektionen in der Bevölkerung, sondern auch die Zahl der aktuell infizierten Menschen, also die Prävalenz, war zu diesem Zeitpunkt sehr niedrig. "Die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig ausgewählte Person nicht infiziert war, lag bei 99,95 Prozent", heißt es in Professor Röders Auswertung.

Professor Ingo Röder leitet das Institut für Medizinische Statistik und Biometrie an der Medizinischen Fakultät. Unterstützung erhielt er auch von weiteren Experten und Wissenschaftlern der TU Dresden und des Uniklinikums.
Professor Ingo Röder leitet das Institut für Medizinische Statistik und Biometrie an der Medizinischen Fakultät. Unterstützung erhielt er auch von weiteren Experten und Wissenschaftlern der TU Dresden und des Uniklinikums. © Marion Doering

Seiner Einschätzung nach eignet sich ein solches Prozedere dennoch auch bei deutlich höherem Infektionsgeschehen für Konzerte, Theateraufführungen, Feste und Sportveranstaltungen. "Gezielt geplante Testprozeduren sind in der Lage, das Risiko eines Infektionseintrages bei einer Veranstaltung erheblich zu senken", sagt Ingo Röder, der Professor für Medizinische Statistik und Biometrie an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden ist. Das erweitere Spielräume für Kultur und Sport auch in pandemischen Zeiten. Allerdings gilt das nicht um jeden Preis.

Die wissenschaftliche Begleitung beinhaltete auch einen Fragebogen, den die Festivalbesucher nach der Veranstaltung ausfüllen sollten. Zwar fiel die Zahl der Teilnehmer an der nachträglichen Befragung mit 784 gering aus, dennoch lässt sich sagen: 44 Prozent der Gäste würden ein solch aufwändiges Testkonzept in jedem Fall akzeptieren, 30 Prozent haben darauf nur im Ausnahmefall Lust. Außerdem fühlten sich mehr als drei Viertel der Besucher auf der Veranstaltung sicher, nur 0,7 Prozent hatten ein ungutes Gefühl. Die generelle Impfbereitschaft lag nach Auskunft der Festivalgäste bei fast 80 Prozent. Vollständig geimpft waren etwa 50 Prozent.

Ebenfalls zutage förderte das Modellprojekt, dass technischen Lösungen, sprich Apps, die für die Übermittlung von Kontakten und Testergebnissen zur Verfügung stehen, nicht verlässlich funktionieren oder nicht entsprechend beherrscht werden. Das verlangte den wartenden Besuchern in langen Schlangen viel Geduld ab.

Testen statt sponsern!

Auch die Wirtschaftlichkeit der Veranstaltung unter diesen Vorkehrungen ist zu hinterfragen. Die Mehraufwendungen lagen laut Firebirds bei 123 Prozent im Vergleich zum letzten Festival vor zwei Jahren. Diese Mehrkosten wurden im Fall des Modellprojektes über Fördermittel ausgeglichen. "Im Normalfall könnte ein Veranstalter sie nicht schultern, und die Besucher würden sie als Umlage auf den Ticketpreis nicht akzeptieren", sagt Konrad Schöpe von den Firebirds.

Eine Anregung der Band: "Anstelle den Künstlern in der Pandemie den Lebensunterhalt zu sponsern, sollten staatliche Mittel eingesetzt werden, um Sicherheits- und Testkonzepte für Kulturveranstaltungen zu finanzieren." Damit wäre allen generell mehr gedient. Denn die einen könnten für ihr Geld arbeiten und die anderen mit der Kultur Energie tanken. "Die Leute, die sich auf unserem Festival nach dem Testen wieder normal begegnen durften, waren einfach nur glücklich."