SZ + Dresden
Merken

Wie ein Hochzeitsfoto zur schicksalhaften Geschichte einer Dresdner Familie führte

Die jüdische Familie Loheit ging es mit verschiedenen Geschäften wirtschaftlich gut in Dresden. Aber dann kamen die Nazis. Stolpersteine erinnern nun an vier Opfer des Nationalsozialismus.

Von Lars Barendregt
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Für die Familie Loheit sind vier Stolpersteine in der Uhlandstraße in Dresden verlegt worden, unter anderem für Berta und Ferdinand Loheit.
Für die Familie Loheit sind vier Stolpersteine in der Uhlandstraße in Dresden verlegt worden, unter anderem für Berta und Ferdinand Loheit. © Bildmontage: Sven Ellger/Familie Loheit

Dresden. Es ist ein besonderer und emotionaler Moment, vergangene Woche in der Uhlandstraße in Dresden. Neun Angehörige aus den USA besuchen dort die Verlegung von vier Stolpersteinen für die Familie Loheit. Zu ihr gehörten das Ehepaar Ferdinand und Berta sowie ihre Kinder Anna und Karl Erich. Alle wurden Opfer des Nationalsozialismus, sie wurden während des Zweiten Weltkriegs im besetzten Polen ermordet.

Judy Greenblum zählt zu den Angehörigen der Familie Loheit. Die 67-Jährige wohnt heute im US-Bundesstaat Virginia. Jetzt steht sie mit den anderen in der Dresdner Südvorstadt in der Uhlandstraße. "Es fühlt sich so an, als hätten wir an diesem Ort eine Verbindung."

Hinter den Stolpersteinen stecken mehrere Geschichten - wie die der aus Dresden geflüchteten Eltern von Greenblum. Ihre Mutter Erika war eine Nichte von Ferdinand Loheit, 1939 emigrierte sie zusammen mit ihren Eltern über Holland in die USA. Einfach war das nicht, sagt Greenblum. "Nach der 'Kristallnacht' wollten alle Juden ausreisen. Meine Mutter und ihre Eltern hatten wirklich Glück, dass es mit den Visas klappte."

"Ich hatte das Gefühl, meine Mutter wollte nicht darüber sprechen"

Wie andere Angehörige der Familie Loheit, hatte der Großvater von Judy Greenblum in Dresden ein Bekleidungsgeschäft betrieben. "Meine Großmutter gehörte zur Familie Loheit. Alles, was ich über sie wusste, hatte ich von meiner Mutter, die immer sagte: 'Alle Geschwister wurden getötet'." Als Kind fragte Judy nicht nach. "Ich hatte das Gefühl, meine Mutter wollte nicht darüber sprechen. Meine Großeltern haben das auch nie getan."

Als ihre Mutter 2011 schließlich starb, fand Judy Greenblum ein Hochzeitsfoto von Ferdinand und Berta Loheit. Sie hatten Anfang der zwanziger Jahren in Przemysl in Polen geheiratet, wo die Familie von Berta damals wohnte. Ferdinand, der in Polen geboren worden war, lebte zu der Zeit schon in Dresden.

"Das Bild war einfach wunderschön", sagt Greenblum. "Ich habe mich gefragt: Was ist mit ihnen geschehen? Und was für ein Leben haben sie geführt?"

Das Hochzeitsfoto von Ferdinand und Berta Loheit.
Das Hochzeitsfoto von Ferdinand und Berta Loheit. © Familie Loheit

Zählen auf Deutsch und 'Dresden' richtig aussprechen

Es war der Beginn ihrer Recherche über die Familie Loheit. Jahre später, 2020, plante Greenblum eine Reise nach Dresden - um die Stadt zu sehen, in der ihre Mutter aufgewachsen war. "Sie selbst ist einmal hierher zurückgekommen, aber sie wollte nie tatsächlich zurückkehren", sagt Greenblum. "Trotzdem hat sie uns das Zählen auf Deutsch beigebracht. Und uns gelehrt wie man 'Dresden' richtig ausspricht."

Die Reise an die Elbe konnte sie damals nicht fortsetzen, wegen der Corona-Pandemie. Ein Stadtführer, mit dem sie bereits in Kontakt war, schickte ihr jedoch drei Seiten mit Informationen über die Familie Loheit, zusätzlich die Kontaktangaben von Konrad Adolph, der die Geschichte der Familie recherchiert hatte.

Auch Judy Greenblum versuchte nun mehr herauszufinden. Ab Ende 2022 begannen sich die Puzzleteile zusammenzufügen. Die Verlegung der Stolpersteine für die Loheits rückte in den Fokus mit der Idee, die Familie wieder an einem Ort zu vereinen. Greenblum arrangierte die Verlegung in der Uhlandstraße in Dresden zusammen mit anderen Angehörigen.

Die vier Stolpersteine für Ferdinand, Berta, Anna und Karl Erich Loheit in der Uhlandstraße in Dresden.
Die vier Stolpersteine für Ferdinand, Berta, Anna und Karl Erich Loheit in der Uhlandstraße in Dresden. © Sven Ellger

Opfer der "Polenaktion" in Deutschland

Einer der Steine gehört heute zu Ferdinand Loheit. Er arbeitete als Bankbeamter und unterhielt ab 1924 ein Herrenbekleidungsgeschäft in der Viktoriastraße in Dresden. Auch übernahm er den Trödelladen seines Vaters in der Großen Brüdergasse, den er 1926 als Modegeschäft neu eröffnete. Das sagen die Biografien der Familie Loheit. Ihnen zufolge ging es Ferdinand und Berta, die ab 1935 in der Uhlandstraße wohnten, wirtschaftlich gut. Sie bekamen zwei Kinder: Anna, die wahrscheinlich 1927 geboren wurde, und 1930 Karl Erich.

Ende Oktober 1938 wurde die Familie Loheit schließlich in der "Polenaktion" aus Deutschland abgeschoben. Rund 17.000 in Deutschland lebende Juden und Jüdinnen mit polnischen Wurzeln wurden Opfer der Zwangsausweisung. Die Familie ging zunächst nach Kattowitz und dann nach Krakau, wo bereits mehrere Tausend Schicksalsgenossen in entsetzlichen Zuständen lebten.

Berta und Ferdinand Loheit auf einer Postkarte.
Berta und Ferdinand Loheit auf einer Postkarte. © Familie Loheit

Die Loheits flüchteten vermutlich in der zweiten großen Vertreibungswelle Ende 1940 aus Krakau, so zumindest zeigen es die Unterlagen. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. In der Datenbank von Yad Vashem, der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte, sind sie als ermordet registriert.

Stolpersteine zeigen: "Ihr Leben war von Bedeutung"

"Ich denke, es ist wichtig zu wissen, wo, wann und wie sie ermordet wurden, wenn das möglich ist", sagt Judy Greenblum heute. "Es ist wichtig, das festzuhalten. Auch wenn die wahren Umstände schmerzhaft wären. Das Leben der Familie Loheit war schrecklich seit 1933. Sie verlor ihre Geschäfte und dann gab es all diese Regeln der Nazis. Die Familie wusste nie, was später passieren würde."

Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine für die Familie Loheit in der Uhlandstraße in Dresden. Judy Greenblum fotografiert den Moment.
Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine für die Familie Loheit in der Uhlandstraße in Dresden. Judy Greenblum fotografiert den Moment. © Sven Ellger

Die 67-Jährige findet Stolpersteine für alle Opfer des Nationalsozialismus wichtig. Besonders in einer Zeit, in der Rechtsextremismus wieder ins Blickfeld rückt.

"Ich denke, dass die Steine sagen: Die Familie Loheit lebte und arbeitete hier und hatte Hoffnungen und Träume. Es ging ihnen gut, bis die Nazis an die Macht kamen. Ihr Leben war von Bedeutung." Judy Greenblum sagt das wirklich so. "Und nicht nur ihr Leben, sondern auch das von Millionen anderer Menschen in Europa, die ebenfalls Opfer wurden."