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Krankenhaus Neustadt doch ohne Notaufnahme?

Experten haben die Rettungsstrategie der Stadt Dresden bewertet. Die Vorschläge gehen dabei weit auseinander. Ein Überblick.

Von Sandro Rahrisch
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Städtisches Klinikum Dresden, Krankenhaus Neustadt. Die Frage, wie es mit dem Standort weitergeht, ist Teil der derzeitigen Debatte
Städtisches Klinikum Dresden, Krankenhaus Neustadt. Die Frage, wie es mit dem Standort weitergeht, ist Teil der derzeitigen Debatte © Ronald Bonß (Symbolbild)

Dresden. Widerspruch war zu erwarten: Am Mittwoch ist die Zukunftsvision für das Städtische Klinikum erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und einer ersten Bewertung unterzogen worden. Ärzte, Pfleger, Gewerkschaftsvertreter und Unternehmensberater waren der Einladung der Stadtratsfraktionen gefolgt, um den Entwurf einzuschätzen, der in den vergangenen Monaten erarbeitet wurde. Das Lob, die Kritik, der weitere Fahrplan zusammengefasst.

Was sieht das Konzept für das Klinikum vor?

Bis zum Jahr 2035 soll das Städtische Klinikum mit den beiden großen Krankenhäusern Neustadt und Friedrichstadt fit für die Zukunft gemacht werden. Dabei geht es insbesondere darum, aus der Verlustzone zu kommen, Patienten zu gewinnen und die medizinische Versorgung der Dresdner zu sichern. Unternehmensberater von Ernst & Young, die Stadtverwaltung und ein Begleitteam aus Ärzten, Personalvertretern und Politikern favorisieren, die komplette stationäre Versorgung in Friedrichstadt zu konzentrieren. In Neustadt gebe es dann ein Gesundheitsquartier mit Pflegebetten, Tagespflege, Demenz-Wohngemeinschaften und einem Notfallzentrum mit zehn stationären Betten. 

In Bühlau würde die psychische Gesundheit im Fokus stehen. In der Summe würden 130 Betten wegfallen. Kosten: rund 400 Millionen Euro. Es gibt zwar noch weitere Szenarien: Doch alles so zu belassen, wie es jetzt ist, bezeichnet Klinik-Direktor Marcus Pollen am Mittwoch als die schlechteste aller Varianten. Sie würde dauerhafte Verluste bedeuten. Die Landeshauptstadt müsste jährlich Beträge in Millionenhöhe zuschießen, damit der Klinikbetrieb nicht zusammenbricht.

Furcht vor der Klinik-Rettungsstrategie: Unterstützer des Dresdner Pflegebündnisses demonstrieren am Mittwoch vor dem Rathaus, wo Eckpunkte des Klinik-Konzeptes vorgestellt werden.
Furcht vor der Klinik-Rettungsstrategie: Unterstützer des Dresdner Pflegebündnisses demonstrieren am Mittwoch vor dem Rathaus, wo Eckpunkte des Klinik-Konzeptes vorgestellt werden. © Sven Ellger

Wie fallen die Reaktionen auf den Vorschlag aus?

Sehr gemischt. Verdi-Vertreter Bernd Becker kritisiert insbesondere die vielen offenen Fragen, die das Papier nicht beantworte. So werde dargelegt, dass in den vergangenen Jahren immer weniger Patienten behandelt wurden. „Wir wissen aber nicht, in welchen Abteilungen und warum. Wir wissen auch nicht, wo die Stärken und Schwächen des jetzigen Portfolios liegen, wo sich das Klinikum von der Konkurrenz wie dem Universitätsklinikum abhebt, und in welcher Bandbreite sich die zu erwartenden Gewinne und Verluste bewegen.“ 

Becker, der auf Einladung der Grünen-Fraktion gekommen ist, empfiehlt dringend, auch eine Variante zu prüfen, die den Erhalt Neustadts als Krankenhaus mit stationären Betten beinhaltet. Verdi-Kollege Benjamin Ludwig, selbst viele Jahre Krankenpfleger im Klinikum und für die SPD bei der Expertenanhörung, spricht sich ebenfalls dafür aus. „Alles in Friedrichstadt zu konzentrieren, wird nicht dazu führen, dass auch alle Patienten in Zukunft nach Friedrichstadt kommen“, befürchtet er. Klinikums-Pfleger Jonas Leuwer, Mitglied des Dresdner Pflegebündnisses und auf Bitten der Linken am Mikrofon, sieht vor allem Arbeitsplätze in Gefahr. „Prüfen Sie den Erhalt aller Standorte, aller Betten und aller Stellen.“ Der ehemalige Stadtrat Peter Bartels, der für die Freien Wähler sein Urteil abgibt, mahnt die Stadt an, die Zustimmung der Mitarbeiter einzuholen, egal was aus dem Konzept umgesetzt werde, sowie in die bestehenden, baufälligen Gebäude in Friedrichstadt zu investieren.

Gibt es auch Befürworter des Vorschlags?

Als den richtigen Weg schätzt Boris Augurzky den vorgeschlagenen Weg ein. Er arbeitet am Essener Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung, berät unter anderem Krankenhäuser und ist am Mittwoch der Einladung der Stadtverwaltung gefolgt. Mit einer Zentralisierung der stationären Angebote erreiche man nicht nur eine höhere Patientenzufriedenheit, sagt er. Auch die Dienste ließen sich an nur einem Standort besser planen. Personal-Ausfälle durch Krankheit oder Urlaube wären unkomplizierter auszugleichen. Darüber hinaus könnten alle Fachrichtungen über kurze Wege zusammenarbeiten, sollten Patienten dies benötigen.

Lob gab es auch von Karsten Güdlner, früherer Krankenhaus-Direktor und von der CDU als Experte benannt. Das Notfallzentrum in Trachau wäre die richtige Entscheidung, um die Versorgung im Dresdner Nordwesten zu sichern, sagt er. Ausschlaggebend für den Erfolg sei es aber, alle Mitarbeiter zu überzeugen. Sie müssten sich in den Prozess einbringen dürfen. Den Plan, alles bis 2035 umzusetzen, hält Güldner für ambitioniert. Der Status quo dürfe jedoch nicht die Lösung sein. „Ich bin erschrocken, als ich die Verluste gesehen habe“, so Güldner. Auf Dauer sei das für einen städtischen Haushalt nicht zu stemmen.

Hat jemand komplett neue Vorschläge eingebracht?

Ja. Die Krankenhaus-Perspektive brachte Andreas Mogwitz mit, Experte auf Vorschlag der FDP. Er arbeitet sozusagen bei der Konkurrenz, ist medizinischer Geschäftsleiter des Dresdner Universitätsklinikums. Neustadt solle auf die Notaufnahme ganz verzichten. Ein Notfallzentrum ohne Krankenhaus führe in eine Sackgasse. Lieber sollte in Trachau ein Facharzt-Zentrum entstehen, in dem alle planbare Eingriffe durchgeführt werden. Stattdessen sollte in Friedrichstadt in ein neues Gebäude für die Hochleistungsversorgung von Notfällen und Schwerstkranken investiert werden – ein Ort, an dem alle Intensivstationen, Operationssäle, die Notaufnahme, das Labor und die Radiologie gebündelt wären. 

Zeit sei bei Notfällen der entscheidende Faktor, so Mogwitz weiter. Man dürfe diese nicht mit Patiententransporten in Fahrstühlen und auf dem Klinikgelände verbringen. Er schätzt die Kosten für so ein Haus auf 200 Millionen Euro.  Mogwitz sieht außerdem die digitale Infrastruktur des Städtischen Klinikums in einem katastrophalen Zustand. Der Entwicklungsrückstau sei nicht ohne Weiteres aufzuholen. Nach seiner Schätzung wären 50 bis 80 Millionen Euro nötig, um auf die Höhe der Zeit zu gelangen. Dieses Problem werde im Konzept-Entwurf nicht ausreichend beachtet, sagt er. 

Wie reagieren Klinikum und Politiker?

Natürlich sei hin und her überlegt worden, ob man Neustadt weiterhin für die stationäre Versorgung nutzen könne, sagt Marcus Polle. Doch das Neustädter Krankenhaus sei ein ehemaliges, denkmalgeschütztes Pflegeheim und nie als Krankenhaus konzipiert gewesen. Die Bausubstanz erlaube es nicht, daraus eine moderne Klinik zu machen, auch nicht für rein planbare Eingriffe. Vieles spreche dafür, alle Fachabteilungen an einem Standort zu bündeln. Polle macht damit deutlich, dass er am Vorzugsszenario festhält.

Die Linke kritisiert das Gutachten generell. Hauptargument: Nur Vorzugsszenario sei verfolgt worden, die anderen Varianten nur wären unzureichend beleuchtet. "Wir unterstützen die Idee, ein Gegengutachten bei unabhängigen Sachverständigen in Auftrag zu geben und dabei auch die Vorschläge mehrerer Sachverständiger zur weiteren Einbindung des Standortes Trachau unvoreingenommen zu prüfen", sagte Stadtrat Jens Matthis noch am Abend. "Für uns steht der Standort nicht zur Disposition. Einen Abbau von Planbetten und damit von Pflegepersonal lehnt Die Linke ab."

Wie geht es nun weiter?

Zunächst wird die Stadt eine Vorlage erarbeiten, das medizinische Betriebskonzept. Die Expertenvorschläge sollen dabei berücksichtigt werden. Danach müssen sich die Stadträte damit beschäftigen. Wahrscheinlich werden zahlreiche Änderungswünsche eingebracht. Der Stadtrat hat dann das letzte Wort. Möglicherweise wird er Ende des Jahres, wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres über das endgültige Zukunftskonzept entscheiden. Erst dann könnten mit der Landesregierung weitere Gespräche über Fördermittel geführt werden, so Polle. 

Eine Aufzeichnung der öffentlichen Experten-Anhörung am Mittwoch können Sie hier aufrufen.

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