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Dresdner Extremismusforscher über Demos gegen Rechts: "Vielleicht werden dadurch Wähler wachgerüttelt"

In Sachsen gehen immer mehr Menschen für Demokratie auf die Straße. Extremismusforscher Maximilian Kreter aus Dresden über die Chancen der gesellschaftlichen Veränderung durch die Proteste.

Von Connor Endt
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Am 21. Januar protestierten mehrere zehntausend Menschen gegen Rechtsextremismus in Dresden.
Am 21. Januar protestierten mehrere zehntausend Menschen gegen Rechtsextremismus in Dresden. © xcitepress/Finn Becker

Dresden. Hunderttausende Menschen haben sich in den vergangenen Wochen immer wieder auf Deutschlands Straßen versammelt. Sie sind geschockt von einer Recherche über ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten in Potsdam. Dabei ging es auch um Überlegungen, Millionen von Menschen aus Deutschland wegzuschaffen – nicht nur Asylbewerber, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund. Tausende protestieren seitdem für Demokratie, eine offene, vielfältige Gesellschaft und gegen Angriffe auf die im Grundgesetz verankerten Grundrechte aller Menschen. Auch in Dresden, Bautzen, Görlitz, Hoyerswerda, Zittau und vielen anderen Städten und Gemeinden haben sich Tausende Menschen versammelt.

Was bedeuten die Proteste für die gesellschaftliche Stimmung in Sachsen? Das wollte Sächsische.de von Maximilian Kreter, Doktorand am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, wissen. Kreter forscht unter anderem zu Rechtsextremismus und politisch motivierter Gewalt.

Herr Kreter, wie haben Sie die Proteste gegen Rechtsextremismus in Sachsen erlebt?

Die Proteste habe ich so wahrgenommen, dass man in Dresden und Leipzig schon damit rechnen konnte, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen für solche Kundgebungen mobilisierbar sind – gerade auch, weil es große Städte sind, die entsprechende soziale Milieus beheimaten. Dresden ist vertraut mit großen Demonstrationen gegen rechtsextreme Akteure und Umtriebe. Ich denke da an die unterschiedlichen Kundgebungen gegen die sogenannten Trauermärsche der rechtsextremen Bewegung am 13. Februar anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens 1945. Überrascht hat mich, dass eben auch in Klein- und Mittelstädten, also beispielsweise auch in Görlitz oder Zittau, ein relativ starker und organisierter Gegenprotest auf die Straße gebracht wurde.

Glauben Sie, dass diese Massenproteste eine einmalige Sache waren oder werden uns derartige Proteste gegen Rechts jetzt bis zu den Landtagswahlen im September begleiten?

Das ist schwierig einzuschätzen und hängt vor allem davon ab, wie sich die AfD und andere rechte und rechtsextreme Akteure weiter verhalten und entwickeln. In den 1990er-Jahren hat man Lichterketten gebildet, um gegen die rechtsextreme Gewalt der „Baseballschlägerjahre“ zu protestieren. Auch nach den Ausschreitungen in Chemnitz 2018 gab es mit der Kundgebung „Wir sind mehr“ verhältnismäßig große Gegenproteste. Beides erwies sich allerdings eher als Strohfeuer und nicht als Ausgangspunkt einer umfassenden, gesellschaftlichen Mobilisierung gegen Rechtsextremismus.

"Wir erreichen aktuell einen möglichen Kipppunkt der Demokratie in Deutschland"

Glauben Sie, dass Enthüllungen wie die Correctiv-Recherche Menschen politisieren können?

Politisieren per se wahrscheinlich nicht. Aber solche Enthüllungen können den relativ geringen, verbliebenen Anteil der Protestwähler der AfD bewegen und umstimmen. Es kann noch einmal stark zum Überdenken ihrer Entscheidung anstoßen. Die Pläne einer umfassenden Ausweisung beziehungsweise Vertreibung bestimmter Gruppen aus Deutschland durch eine Politik der AfD, die durch die Correctiv-Recherche ans Licht gekommen sind, sind ja etwas ganz anderes als zum Beispiel die frühe AfD unter Bernd Lucke.

Bei den Demos sieht man die unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten. Woran liegt das?

Die Beobachtung teile ich in dem Fall, dass viele, die bisher an Demonstrationen gar nicht oder nur selten teilgenommen haben, dort eben mobilisiert und aktiviert wurden. Mir ist dieses Plakat in Erinnerung geblieben: „Jetzt können wir endlich herausfinden, was wir anstelle unserer Großeltern getan hätten“ stand dort. Wir erreichen aktuell einen möglichen Kipppunkt der Demokratie in Deutschland mit den Kommunal- und Europawahlen im Juni sowie den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September. Das kann ein Wendepunkt für das Verhältnis der Demokratie und ihrer Feinde sein – und das mobilisiert die Menschen ganz entscheidend.

Bei der jüngsten Großdemonstration in Dresden gab es sehr unterschiedliche Angaben zu den Teilnehmerzahlen. Sie schwankten zwischen zwanzig- und vierzigtausend. Warum sind möglichst genaue Zahlen so bedeutend?

Die Teilnehmerzahlen sind schon wichtig. Aus Erfahrung würde ich sagen, dass die Polizei etwas niedriger ansetzt und die Veranstalter etwas zu hoch. Da spielen unterschiedliche Interessenlagen eine Rolle. Aber klar, es ist entscheidend, ob eine Bewegung 20.000 oder 40.000 Menschen mobilisiert. Der Anteil der Demonstrationsteilnehmer an der Bevölkerung eines Ortes macht einen großen Unterschied. Das ist ein Faktor, der manchmal in der Berichterstattung und öffentlich Wahrnehmung untergeht. Man kann es gar nicht genug betonen: In kleinen Städten erfordert es jede Menge Mut, sich Parteien oder rechtsextremen Akteuren entgegenzustellen. Das ist etwas ganz anderes in den Großstädten.

"Die AfD will den politischen Gegner diffamieren"

Jetzt im Nachhinein behaupten AfD und rechtsextreme Gruppen, dass die Proteste ein Komplott gegen sie sind oder die Demonstrierenden bezahlt worden wären. Wie bewerten Sie diese Aussagen?

Dahinter steckt eine doppelte Kommunikationsstrategie der Umkehr-Erzählungen. Einerseits zu sagen, das stimme alles gar nicht, die Bilder der Demonstrationen seien manipuliert, die Berichterstattung sei eine Schmutzkampagne gegen die AfD. Damit will die Partei den politischen Gegner diffamieren und ihm die Glaubwürdigkeit absprechen. Gleichzeitig will man kommunizieren: Das ist doch alles gar nicht so schlimm. Zum Beispiel, wenn im Bundestag vom AfD-Abgeordneten Bernd Baumann davon gesprochen wird, dass „kleine private Debattierclubs zu gemeingefährlichen Geheimtreffen aufgeblasen“ worden seien, womit er Bezug auf die Reaktionen auf die Correctiv-Recherchen nimmt.

Inwiefern können solche Demonstrationen überhaupt langfristig etwas bewirken, besonders in Bezug auf die Landtagswahlen in Sachsen?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Ich glaube schon, dass das einen Effekt hat. Vielleicht werden dadurch die Wähler, die aus verschiedenen Anti-Haltungen heraus die AfD gewählt haben, aber ideologisch nicht zum harten Kern der Anhängerschaft gehören, wachgerüttelt. Die harte Stammwählerschaft und den harten Kern der Anhänger wird man nicht erreichen. Die werden in ihrem Verhalten eher bestätigt.