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Der Kaktus-König aus Dresden

Ein Kakteen-Boom um seltene Arten hat zuletzt Wilderei und illegalen Handel befördert. Aber nicht alle folgen diesem Trend. Ein Besuch bei Jürgen Dreyer, einem Sammler der alten Schule.

Von Christoph Pengel
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Jürgen Dreyer (82) pflegt seit fast 60 Jahren Kakteen. Wegen eines Stromausfalls hat er einmal seine ganze Sammlung verloren. Heute stehen wieder mehr als 1.000 Pflanzen in seinem Garten.
Jürgen Dreyer (82) pflegt seit fast 60 Jahren Kakteen. Wegen eines Stromausfalls hat er einmal seine ganze Sammlung verloren. Heute stehen wieder mehr als 1.000 Pflanzen in seinem Garten. © Christian Juppe

Dresden. Im Gewächshaus muss man höllisch aufpassen. Die grüne Gefahr lauert überall. Mal in Form einer Kugel, mal als Säule, mal als Stern. Eine falsche Bewegung, und man fängt sich einen Stachel ein. Autsch - das war schon der erste Fehler. "Kakteen haben keine Stacheln, sondern Dornen", sagt Reinhard Kaak.

Kaak gehört zur Dresdner Ortsgruppe der Deutschen Kakteengesellschaft. Als er nach einer außergewöhnlichen Sammlung in der Stadt gefragt wird, fällt ihm das Gewächshaus von Jürgen Dreyer ein. Der 82-Jähirge wohnt in Kleinzschachwitz und pflegt dort weit über 1.000 Pflanzen. Fast 60 Jahre währt seine Liebe zu den dornigen Geschöpfen. Mit Unterbrechungen allerdings. Denn wie bei jeder Liebesgeschichte gab es Höhen und Tiefen.

1964 fing alles an. Jürgen Dreyer lernte seine Frau kennen, die im Stadtteil Weißer Hirsch lebte. Wenn er sie abends besuchen wollte, brauchte er anderthalb Stunden mit der Straßenbahn. Irgendwie musste Dreyer die Zeit ausfüllen. Ihm fiel ein Buch in die Hände, Curt Backebergs "Wunderwelt der Kakteen". Auf den langen Straßenbahnfahrten vertiefte er sich in das Werk, das unter Sammlern bis heute als Klassiker gilt.

Ein schwarzer Tag im Winter

"Das hat mich so was von infiziert", sagt Dreyer heute. Was das Tolle an Kakteen ist? "Ihre Genügsamkeit. Man kann sie auch mal fünf Wochen vergessen, aber ihnen passiert nichts." Dreyer liebt auch die optische Vielfalt der Kakteen, die sich schon in den Namen ausdrückt: Bischofsmütze, Affenschaukel, Schwiegermutterstuhl - so heißen die leichter auszusprechenden Gattungen.

Der kugelförmige Kaktus in der Mitte wird Schwiegermutterstuhl genannt.
Der kugelförmige Kaktus in der Mitte wird Schwiegermutterstuhl genannt. © Christian Juppe
Eine Affenschaukel.
Eine Affenschaukel. © Christian Juppe
Auch bei diesem Kaktus erschließt sich der Name aus der Gestalt: eine Bischofsmütze.
Auch bei diesem Kaktus erschließt sich der Name aus der Gestalt: eine Bischofsmütze. © Christian Juppe
Die Gattung Ariocarpus ist oft sehr teuer. Für einen Pflanz werden schon mal mehrere hunderte Euro fällig.
Die Gattung Ariocarpus ist oft sehr teuer. Für einen Pflanz werden schon mal mehrere hunderte Euro fällig. © Christian Juppe
Nicht nur im Gewächshaus, auch im Garten von Jürgen Dreher stehen hunderte Kakteen.
Nicht nur im Gewächshaus, auch im Garten von Jürgen Dreher stehen hunderte Kakteen. © Christian Juppe
Die Königin der Nacht blüht nur einmal im Jahr. Dreyers Pflanze ist von weißen Wollläusen befallen.
Die Königin der Nacht blüht nur einmal im Jahr. Dreyers Pflanze ist von weißen Wollläusen befallen. © Christian Juppe

Früher spezialisierte sich Dreyer auf Echinoceren, deren Name sich vom lateinischen Wort für Igel ableitet. Damals war er Mitglied einer Dresdner Fachgruppe, er schrieb Artikel für Zeitschriften. Später sammelte er alles, was ihm gefiel. Die Sammlung wuchs und wuchs. Bis zu diesem schwarzen Tag im Winter 1995/96.

Dreyer hatte seine Kakteen an eine Gärtnerei ausgeliehen. Die Pflanzen nahmen eine Fläche von 150 Quadratmetern ein. Nachts fiel bei Minusgraden der Strom aus - und am nächsten Tag waren hunderte Kakteen auf einen Schlag tot. Dreyers ganze Sammlung: hinüber. "Aus Trauer und Wut hab ich zehn Jahre nichts gemacht", erzählt er.

Die hohe Nachfrage lässt den Schwarzhandel blühen

Aber das ist lange her, der Frust ist verflogen, im Gewächshaus herrscht pure Harmonie. Fast jedenfalls. Hier und da kämpft Dreyer mit Wolläusen, die seine Pflanzen auffressen wollen. Und nur weil man Kakteen jahrzehntelang pflegt, heißt das nicht, dass sie einen zurücklieben. Dornen blieben Dornen. Am aggressivsten sind die sogenannten Glochiden der Opuntien. "Ganz heimtückische Burschen", sagt Dreyer.

Glochiden sind Mini-Dornen mit Widerhaken, die sich bei Berührung leicht lösen und in der Haut festsetzen. Heftiger Juckreiz ist die Folge. Weil sie so klein sind, wird man sie nur schwer wieder los. Dreyer greift in solchen Fällen zur einer Trockenbürste. Auch Seifenlauge soll helfen.

Wer sich über Kakteen informiert, merkt aber schnell, dass die eigentliche Gefahr nicht von den Pflanzen, sondern von den Menschen ausgeht. In den vergangenen Jahren hat sich ein Boom um Kakteen entwickelt, auch bei jungen Menschen und in den sozialen Medien, wie unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet.

Das Problem: Weil die Nachfrage nach seltenen Arten steigt, blüht der Schwarzhandel. Wilderer graben Pflanzen in Südamerika aus, verkaufen sie nach Europa und befördern damit das Artensterben. Auch Jürgen Dreyer hat davon gehört. "Furchtbar", sagt er. Solche Trends spielen in seinem Gewächshaus keine Rolle. Für ihn zählen andere Werte.

Fürchterliches Gestrüpp - aber fantastische Blüten

"Ich bevorzuge Schönheit, nicht Seltenheit", sagt Dreyer. Es gibt allerdings Kakteen, da kommt beides zusammen. So zeigt die Königin der Nacht ihre Blüten nur einmal im Jahr. Und zwar, wie der Name schon sagt, im Dunkeln, sodass man das Spektakel leicht verpassen kann. Dreyer deutet auf Knospen, die im Sommer für einen kurzen Moment aufblühen. "Die Blüten sind fantastisch", sagt er. "Ansonsten ist die Pflanze ein fürchterliches Gestrüpp."

Bei aller Schönheit bedeutet ein Kakteen-Imperium viel Arbeit. Auch außerhalb des Gewächshauses, im Garten, stehen hunderte Pflanzen in Töpfen. Einige haben den Durchmesser von Münzen, andere sind so groß wie Fußbälle. Viele hat Dreyer gerade erst nach draußen geschafft. Im Winter bringt er sie alle wieder rein, was immer anstrengender für ihn wird.

Dreyer ist zwar noch ziemlich fit für sein Alter. Doch er muss zugeben, dass ihm die Arbeit nicht mehr so leicht fällt wie früher, als er Leichtathlet war und Gewichte gehoben hat. Dass er so viel Energie in seinen Garten steckt, verwundert nicht, wenn man erfährt, dass er vor der Rente seinen eigenen Blumenladen hatte. "Ich bewundere ihn dafür", sagt sein Kakteenfreund Reinhard Kaak. Er würde dem 82-Jährigen gerne bei der Arbeit helfen, aber Dreyer sagt: "Mein Stolz liegt darin, das alles allein zu machen."

Am 17. und 18. Juni organisiert die Dresdner Ortsgruppe der Deutschen Kakteengesellschaft eine Ausstellung in der Gärtnerei Rülcker an der Reicker Straße.