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Obdachlos in Dresden: "Nach der Trennung verlor ich die Wohnung"

Tomasz lebt auf der Straße und ist dankbar für ein warmes Obdach und eine dampfende Mahlzeit am Abend. Mehr als 600 Menschen suchen pro Monat Hilfe in Kirchenräumen.

Von Julia Vollmer
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Tomasz bereitet im Nachtcafé in der Dresdner Dreikönigskirche sein Nachtlager vor.
Tomasz bereitet im Nachtcafé in der Dresdner Dreikönigskirche sein Nachtlager vor. © Matthias Rietschel

Dresden. Die Liebe führte ihn aus Polen nach Deutschland. Heute, fünf Jahre später, ist die Beziehung zu seiner Freundin vorbei und Tomasz kommt Abend für Abend in die Dresdner Nachtcafés zum Essen und Schlafen.

"Ich habe mich damals verliebt, zog für sie aus Lódz hierher und wir bekamen zusammen drei Kinder", erzählt Tomasz. Seinen Nachnamen möchte er für sich behalten. Dem großen Glück folgten aber schon bald Konflikte, Streit und schließlich das Ende der Beziehung. "Nach der Trennung verlor ich die Wohnung", sagt der heute 38-Jährige. Er sei auf der Straße gelandet, habe seinen Job verloren, ein Arbeitgeber habe ihm seinen versprochenen Lohn nicht gezahlt. Tomasz ist beim Dresdner Jobcenter registriert und wird dort beraten.

An diesem Montag kommt er gemeinsam mit 24 anderen Menschen ins Nachtcafé der Dreikönigskirche auf der Hauptstraße. 25 obdachlose Frauen und Männer haben hier Platz. Sie dürfen sich nicht nur über Nacht ausruhen, sondern bekommen für einen Euro auch ein warmes Getränk und eine Mahlzeit. Heute gibt es Knödel mit Soße, dazu ein wenig Obst und warmen Kaffee oder Tee.

An den Tischen sitzen die Männer zusammen, reden über das Leben auf der Straße. Die Stimmung ist friedlich und ruhig, man spürt, wie froh sie sind, einen Moment Wärme und Ruhe zu finden. "Die Gäste sind immer unter Strom, das Leben draußen ohne Wohnung lässt sie immer in Habachtstellung und nie mal durchatmen", beobachtet Tabea Kormeier. Sie koordiniert das Nachtcafé in der Dreikönigskirche.

Über 600 Gäste in einem Monat

Die Nachtcafé-Saison dauert bis zum 31. März, täglich ist eine von sieben teilnehmenden Kirchen geöffnet. Das Projekt wird komplett aus Spenden und der Kirchenkollekte finanziert. "Der Bedarf und der Zustrom von Menschen in diesem Jahr ist riesig, allein im November waren 659 Menschen bei uns zu Gast in den Nachtcafés", sagt Gerd Grabowski, Sprecher des Nachtcafé-Koordinierungskreises. 26 Prozent von ihnen seien Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft, viele aus Osteuropa. Die Gäste kämpften mit vielfältigen Schwierigkeiten: Suchterkrankungen, psychische Problemen, Schulden oder Trennungen.

Der 76-jährige Grabowski ist seit 2010 Leiter des Nachtcafés in der Zionskirche auf der Bayreuther Straße und kennt das Projekt von Beginn an. Ab 19 Uhr können die Menschen in die Kirchen kommen, erhalten ein warmes Essen und Tee und Kaffee. Wenn sie sich ausruhen möchten, können sie sich mit einer Isomatte und einem Schlafsack in den Gemeinderaum zurückziehen.

Gerd Grabowski, Tabea Kormeyer und Pfarrer Björn Fischer (v.l.) kümmern sich um Menschen, die Hilfe brauchen.
Gerd Grabowski, Tabea Kormeyer und Pfarrer Björn Fischer (v.l.) kümmern sich um Menschen, die Hilfe brauchen. © Matthias Rietschel

Außerdem haben die Frauen und Männer die Möglichkeit, zu duschen und ihre Kleidung zu waschen. Viele hätten ihre Wohnung nach einer Trennung verloren, sagt Grabowski. Die meisten seien sehr dankbar für die Nachtcafés, denn die anderen Unterkünfte für Wohnungslose seien bereits gut gefüllt. Die christlichen Kirchgemeinden der Stadt Dresden organisieren über konfessionelle Grenzen hinweg im Winterhalbjahr die Nachtcafés als notwendige Ergänzung zu den städtischen Obdachlosenunterkünften. Die Diakonie Dresden unterstützt die sieben beteiligten Gemeinden beratend.

"Zu uns kommen auch Menschen, die eine Arbeit haben"

"Zu uns kommen auch Menschen, die eine Arbeit haben, etwa als Reinigungskraft, die aber trotzdem Unterstützung brauchen", sagt Tabea Kormeier. Sie hilft, hört den Menschen zu, versorgt sie bei Bedarf mit warmer Kleidung und einem guten Rat. "Wir freuen uns auch immer über Spenden, entweder finanzieller Art oder über Essens- und Kleidungsspenden." Frauen würden nur selten in die Nachtcafés kommen. "Ich lasse sie dann, wenn es geht, schon ein bisschen vor 19 Uhr in die Räume, damit sie in Ruhe und ungestört duschen können", sagt sie.

Jedes Nachtcafé freut sich über Helferinnen und Helfer. Sie besorgen Lebensmittel, bereiten die Schlafstätten vor, teilen Essen aus oder sitzen noch bei einer Tasse Tee zusammen mit den Bedürftigen. "Allerdings merken wir, dass seit Jahren weniger Geld gespendet wird in den Kollekten und spüren noch die Auswirkungen von Corona, als keine Gottesdienste in Präsenz stattfanden", sagt Björn Fischer, Pfarrer an der Dreikönigskirche.

Tomasz ist trotzdem dankbar für die Hilfe. Ab Januar hat er wieder eine Arbeit, sagt er. In einer Produktionsfirma als Staplerfahrer. Tomasz hat Hoffnung für die Zeit. "Für meine Kinder soll es weitergehen", sagt er.

Nachtcafés in Dresden

  • Montag: Ev.-Luth. Dreikönigskirche (Eingang hinten links, Turmaufgang) Hauptstraße 23, 01097 Dresden
  • Dienstag: Ev.-Luth. Christophoruskirche Laubegast; Hermann-Seidel-Straße 3, 01279 Dresden
  • Mittwoch: Kath. Pfarrei „Heilige Familie“; Meußlitzer Straße 108, 01259 Dresden
  • Donnerstag: Ev.-Luth. Kirchgemeinde Loschwitz; Grundstraße 36, 01326 Dresden
  • Freitag: Ev.-Luth. Zionskirche; Bayreuther Straße 28, 01187 Dresden
  • Sonnabend: Ev.-meth. Immanuelkirche; Hühndorfer Straße 22, 01157 Dresden
  • Sonntag: Kath. Pfarrei St. Franziskus Xaverius; Stauffenbergallee 9 H, 01099 Dresden

Spendenkonto der Diakonie

Diakonie Dresden
IBAN: DE29350601900160160160
BIC: GENO DE D1 DKD
Verwendungszweck: Nachtcafé