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OB Hilbert zum 13. Februar

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert darüber, wie wichtig es ist, den 13. Februar und seine Ereignissen nicht von Nazis umdeuten zu lassen.

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Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert.
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert. © René Meinig

Dresden. In diesem Jahr ist wegen Corona alles anders. Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert kann nicht wie sonst vor tausenden Zuhörern zu den Dresdnern anlässlich des 13. Februars sprechen. Hier finden Sie die Rede im Wortlaut.

Liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer,

ich danke Ihnen, dass Sie sich heute zugeschaltet haben, um gemeinsam daran zu erinnern, wohin es führt, wenn uns unsere Mitmenschen gleichgültig sind.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

(Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen)

sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

(Dr. Matthias Rößler, Landtagspräsident des Freistaates Sachsen)

Magnifizenz,

(Prof. Dr. Ursula M. Staudinger, die Rektorin der Technischen Universität Dresden)

Sehr geehrte Kaddi Cutz

(Moderatorin des Poetry-Slams, Vorschlag aus AG 13. Februar)

meine Damen und Herren aus der AG 13. Februar,

in den Jahren von 1933 bis 45 waren vielen Deutschen ihre Mitmenschen völlig gleichgültig. Auch Dresdnerinnen und Dresdner nahmen es hin, dass aus ihrer Nachbarschaft Menschen mit psychischen oder geistigen Erkrankungen auf dem Sonnenstein ermordet wurden. Sie zuckten nur mit den Schultern, als das jüdische Geschäft um die Ecke boykottiert, beschmiert und schließlich enteignet wurde. Dass die Besitzer samt Familie von einem Tag auf den anderen verschwanden – egal.

Dresden war mit seinen Rüstungsbetrieben und seinen Verkehrsanlagen Teil der Maschinerie, die von deutschem Boden aus einen mörderischen Krieg anzettelte. Genau dieser Krieg wütete schließlich auch in unserer Stadt. Bei den Luftangriffen 1945 wurden bis zu 25.000 Menschen getötet.

Meine Damen und Herren,

dass dies alles genau so geschehen ist, kann jeder leicht überprüfen. Man kann die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein besuchen und dort Sterbeurkunden und Trostbriefe einsehen. Wir haben Zeitzeugenberichte, wie zum Beispiel die eindrucksvollen Tagebücher von Victor Klemperer.

In Pieschen steht noch immer der wuchtige Gebäudekomplex, in dem Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für die Wehrmacht Zünder fertigten. Unsere Eltern und Großeltern haben uns von der Bombennacht berichtet. Eine Historikerkommission rekonstruierte die Luftangriffe – neutral, akribisch und objektiv.

Und trotzdem bleibt es auch ein dreiviertel Jahrhundert später wichtig, das Erinnern an den 13. Februar gemeinsam zu pflegen. Gerade hier in Dresden haben wir erlebt – und erleben es noch heute – wie Erinnerungen auch verfälscht, Gedenken vereinnahmt und Fakten geleugnet werden können.

Lassen wir der Umdeutung keinen Raum!

Das gelingt, indem wir das Richtige ins Zentrum rücken, anstatt das Falsche zu wiederholen. Das Perfide an Fake News ist, dass sie beim Widerlegen ungewollt eine Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen die Aura des „Es könnte ja doch was dran sein“ verschaffen.

Deshalb möchte ich als Oberbürgermeister allen danken, die auch in diesem Jahr Erinnerungskultur in Dresden gestalten. Trotz Pandemie gibt es öffentliches und vielgestaltiges Gedenken an wichtigen Orten in der Stadt. Junge Menschen beschäftigen sich beim digitalen Schülergipfel mit dem Thema. Inspirierende Kunstprojekte laden zur Diskussion ein. Nun folgt gleich die Menschenkette, diesmal als große Foto-Projektion.

Diese virtuelle aber zugleich reale Menschenkette ist eine Form des Erinnerns und des Einstehens für Menschlichkeit heute. Gemeinsam zeigen wir Einsatz für unsere demokratischen Grundrechte und achten dabei auf die Gesundheit von uns allen.

Wir bleiben uns fern und sind trotzdem da. Das ist unser Statement für die Grundrechte in ihrer Gesamtheit. Diese Grundrechte sind eine Reaktion auf das, weshalb wir hier zusammengekommen sind: Wir erinnern hier auf dem Altmarkt an die Opfer der Zerstörung großer Teile unserer Stadt und an alle, die Opfer der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie wurden.

Unter dem Eindruck des Schreckens dieser Jahre, verstanden die Mütter und Väter des Grundgesetztes die Grundrechte als gleichwertig zueinander. Genauso wie wir das Recht haben zu demonstrieren, haben wir das Recht, gesund zu bleiben. Mit der Menschenkette und auch mit den Lichtern, die hier am Rednerpult symbolisch für die Zuschauenden leuchten, halten wir Meinungsfreiheit auch mitten in der Pandemie lebendig. Ohne dass sich tausende Menschen in der Stadt die Hände reichen, erscheinen wir tausendfach an Synagoge, Frauenkirche, Kreuzkirche, Rathaus, Schauspielhaus und Staatskanzlei.

Wir lassen uns die Geschichte nicht umdeuten – lassen wir uns also auch die Gegenwart nicht umdeuten!

Das Coronavirus ist gefährlich. Wenn es sich ungebremst verbreiten kann, sterben viele Menschen. Doch trotz atemberaubend schneller wissenschaftlicher Forschung bleiben Widersprüche, bleiben Zweifel, und bleiben Fragen.

Gute Antworten sind die, die stets die Würde des Einzelnen im Blick haben und dabei keinen Unterschied machen, ob dieser Mensch über 90 Jahre alt ist oder gerade Laufen lernt. Wo er geboren wurde, wen er liebt, woran er glaubt. Wie er aussieht oder welches Geschlecht er hat.

Nie wieder dürfen uns unsere Mitmenschen gleichgültig sein!

Vielen Dank.