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Dresdner Mediziner: "Manche Jugendliche waren seit Monaten oder Jahren nicht mehr regelmäßig in der Schule"

Oberarzt Andreas Lachnit behandelt am Städtischen Klinikum Dresden Kinder, die aufgrund von Panikattacken, Depressionen oder Schmerzen nicht in der Lage sind, am Unterricht teilzunehmen. Die Zahlen sind erschreckend hoch.

Von Julia Vollmer
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Der Mediziner Andreas Lachnit behandelt am Städtischen Klinikum Dresden Kinder und Jugendliche, die aufgrund psychischer Probleme nicht die Schule besuchen können.
Der Mediziner Andreas Lachnit behandelt am Städtischen Klinikum Dresden Kinder und Jugendliche, die aufgrund psychischer Probleme nicht die Schule besuchen können. © Christian Juppe

Dresden. Ein Mädchen wird von ihren Mitschülern so schlimm gemobbt, dass sie sich nicht mehr in die Schule traut. Sie hat Angst vor jedem Schultag und entwickelt Symptome wie Panikattacken und Bauchschmerzen. Die Schule weiß sich nicht anders als zu helfen, als die Siebtklässlerin freizustellen.

"Seit anderthalb Jahren besucht sie nicht mehr regelmäßig die Schule", sagt Andreas Lachnit. Er ist Oberarzt für Psychosomatik und Psychotherapie in der Kinder- und Jugendmedizin am Krankenhaus Dresden-Neustadt und behandelt Kinder und Jugendliche, die aus psychischen Gründen nicht in die Schule gehen können. Schulabsentismus nennen das die Mediziner. Auf seiner Station behandelt Lachnit täglich junge Patienten wie dieses Mädchen. "Manche Jugendliche waren seit Monaten oder Jahren nicht mehr regelmäßig in der Schule", sagt er.

Angst vor der Schule: "Unsere Station ist immer voll belegt"

Schule macht nicht immer Spaß, das ist klar. Aber in manchen Fällen macht sie krank. Neben Mobbing sind Leistungsdruck in der Schule und teilweise aus dem eigenen Elternhaus Auslöser. Die Kinder "schwänzen" die Schule nicht, weil sie "keinen Bock" haben - das sind die Ausnahmen -, sondern weil sie nicht dazu in der Lage sind.

"Unsere Station ist immer voll belegt, alle zehn Plätze sind dauerhaft voll", sagt Lachnit. Der Bedarf sei so groß, dass es eine Warteliste gibt. Fast alle aktuellen Patienten sind Mädchen. "Hier erkenne ich meist mehr Einsicht, dass sie Hilfe brauchen und suchen, daher die Konzentration auf junge Frauen", sagt er. In etwa acht Wochen stationärer Therapie werden viele Gespräche geführt und die Jugendlichen langsam wieder an den Schulalltag herangeführt, wenn möglich.

Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist hoch. Schulsozialarbeitende und Streetworker aus der Dresdner Kinder- und Jugendhilfe berichten von vielen ihrer Adressatinnen und Adressaten, die unter dem hohen Leistungsdruck an den Schulen, psychischen Problemen und Mobbing durch Mitschüler leiden.

Über 1.000 Anhörungen wegen unentschuldigten Fehlens

Das in Zahlen zu fassen, ist schwierig. Laut Bildungsbürgermeister Jan Donhauser (CDU) liegen für Jahr 2024 noch keine Zahlen vor. Das Amt für Schulen bearbeitet die Anzeigen der Schulen und veranlasst die Anhörung der betreffenden Schüler und deren Sorgeberechtigten. Danach wird das Verfahren an das Ordnungsamt zur Entscheidung abgegeben, so Donhauser. Zahlen können also nur auf Grundlage der verschickten Anhörungsschreiben genannt werden. So gingen im Jahr 2022 insgesamt 1.277 Briefe raus. Danach wurde die Statistik verändert, seit August 2022 werden die Anhörungen nach Schuljahren erfasst. Für das Schuljahr 2022/2023 zählte die Stadt 1.557 Briefe.

Das städtische Amt für Schulen stellte bisher zu Schuljahresbeginn Informationsschreiben für Schulleitung und Eltern mit Hinweisen und Kontaktdaten von Anlaufstellen zur Verfügung, heißt es auf Anfrage. Derzeit werde ein Handbuch erarbeitet, welches im ersten Halbjahr 2024 den Schulen ausgehändigt werden soll. Im Rahmen der Durchführung der Anhörungen werden auf Wunsch durch das Amt für Schulen weitere Beratungs- und Vermittlungsangebote unterbreitet.

Schüler von Oberschulen und Berufsschulen am häufigsten betroffen

Wie viele Schülerinnen und Schüler die Oberschule oder das Gymnasium aufgrund psychischer Probleme verlassen, wird nicht erhoben. Im Schuljahr 2021/22 gab es in Dresden 313 Schulabgänger, teilt Clemens Arndt, Sprecher des Landesamtes für Schule und Bildung, mit. In dieser recht hohen Zahl seien aber auch die Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, die aufgrund ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht in der Lage seien, einen Schulabschluss zu erlangen, sagt er. Die Zahlen für das Schuljahr 2022/23 liegen noch nicht vor.

Für unentschuldigtes Fehlen in der Schule können Bußgelder verhängt werden. Hier wird dann nicht zwischen "Schwänzen" und Schulverweigerung aus psychischen oder körperlichen Gründen unterschieden. Für Fehltage im Jahr 2022 wurden gegen Schülerinnen und Schüler 529 Bußgeldbescheide mit einer Gesamt-Bußgeldhöhe von 123.000 Euro erlassen, so Bildungsbürgermeister Donhauser. Für Fehltage im Jahr 2023 verschickte die Stadt 355 Bußgeldbescheide mit einer Gesamthöhe von 72.500 Euro. Laut Stadt seien Fälle überwiegend von Oberschulen und Berufsschulzentren gemeldet worden.

Nicht mit aufgeführt sind bei den genannten Zahlen die Verfahren gegen die Sorgeberechtigten.