Dresden
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Tellertausch und Gläserrücken in Prohlis

Geschirr zum Ausleihen? Kristin Hofmann hat das zunächst in Pieschen angeboten. Nun soll es diese Form der Müllvermeidung in möglichst vielen Stadtteilen geben.

Von Nadja Laske
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Warum kaufen, wenn man leihen kann: Mit ihrer ebenso einfachen wie wirkungsvollen Idee findet Kristin Hofmann immer mehr Mitstreiter.
Warum kaufen, wenn man leihen kann: Mit ihrer ebenso einfachen wie wirkungsvollen Idee findet Kristin Hofmann immer mehr Mitstreiter. © Sven Ellger

Dresden. Diese mega Müllberge! So viel Spaß Kristin Hofmann auf der Bunten Republik Neustadt auch hatte - das störte sie maßlos. "Damals gab es noch Plastikgeschirr, aber nun ist es halt aus Pappe und auch nicht viel besser", sagt die 38-Jährige. Schwer unter dem Abfalleindruck stehend, kam ihr eine Idee, von der sie heute sagt, sie sei ihr fast peinlich, weil so profan.

Seitdem sammelt Kristin Hofmann Geschirr. Sie rettet es an Glascontainern, bevor es durch die Luke fällt und scheppernd zerschellt, lässt es sich von Freunden schenken, übernimmt es aus Haushaltsauflösungen oder bekommt es, wenn Lokale ausrangieren. Auch eine große Menge veralteter Striezelmarkttassen bekam sie mal vermacht.

So gründete sie das Angebot "Tellertausch und Gläserrücken - der Geschirrverleih für Lau". Ein erstes Zuhause für ihre Ausgabestelle fand sie in Pieschen auf der Großenhainer Straße 93, im Keller des Jugendhauses Roter Baum. Als Leiterin der Stadtgeschäftsstelle und Vorsitzende des Stadtbezirksverbandes Loschwitz/Schönfeld-Weißig der Linken stieß sie mit ihrem Nachhaltigkeitsprojekt auf reichlich Unterstützung in den eigenen Reihen - und im Viertel.

Umweltschutz vor Esskultur

Inzwischen kommen regelmäßig Dresdner nicht nur aus Pieschen, um sich für ihre Familienzusammenkünfte, Einschulungsfeste, Vereinsfeiern und für größere Sitzungen oder Tagungen mit Tellern, Tassen und Gläsern einzudecken - kostenlos. Denn der Verleih funktioniert auf Vertrauensbasis. Hier und da gibt es eine willkommene Spende, doch weder dafür, noch für eine bessere Esskultur macht sich Kristin Hofmann so viel Mühe. Jedenfalls nicht vordergründig. Wobei sie es durchaus schöner findet, von Porzellan zu essen und aus Glas zu trinken, als auf Pappe zu servieren.

"Mir geht es in erster Linie um Müllvermeidung und darum, nicht noch mehr Geschirr zu kaufen und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass es überhaupt erst produziert wird", sagt die studierte Historikerin. An der TU Dresden studierte sie Neuere und Neueste Geschichte und wandte sich dann der Politik zu. Doch mit dem Umweltschutz sammelt Kristin nicht einfach nur Punkte bei der Wählerschaft ihrer Partei. Auch privat achtet sie auf ihren ökologischen Fußabdruck.

"Ich konsumiere nahezu nicht", sagt sie von sich und meint damit, dass sie keine neuen Dinge kauft, bis auf Lebensmittel. Kinderkleidung und Spielzeug bekommt sie von anderen Müttern im Ringtausch, ihre eigene von Freundinnen oder Second-Hand-Portalen und Flohmärkten. "Auch technische Geräte muss man nicht neu kaufen", sagt sie. In entsprechenden Facebookgruppen finde sich immer jemand, der etwas abzugeben habe.

Ordnung ist das halbe Leben. Deshalb hat Holm Vogel im Prohliser Eltern-Kind-Büro einen neuen Schrank fürs Leihgeschirr aufgebaut.
Ordnung ist das halbe Leben. Deshalb hat Holm Vogel im Prohliser Eltern-Kind-Büro einen neuen Schrank fürs Leihgeschirr aufgebaut. © Sven Ellger

Ob und wohin sie fliegt, überlegt sich Kristin Hofmann genau. "Allerdings habe ich ein Auto und bin auch sehr froh darüber." Mit ihrer Familie lebt sie am Rand der Stadt, da wären die Wege, vor allem mit Kindern, arg beschwerlich.

Möglichst leicht will sie sich ihr Engagement ums Leihgeschirr machen und ist immer auf der Suche nach neuen Kooperationspartnern und Räumlichkeiten. Denn der Tellertausch soll nicht nur in Pieschen stattfinden, sondern nach Möglichkeit in allen Stadtteilen. Seit Mittwoch gibt es nun eine neue Leihstation in Prohlis. Dort ist sie ins Eltern-Kind-Büro auf der Berzdorfer Straße 26 eingezogen.

"Dass das Angebot in Pieschen sein Publikum findet, hat mich nicht überrascht", sagt Kristin. Dort leben wie in der Neustadt viele Familien mit Interesse an Nachhaltigkeit. Doch der Gedanke sollte auch in Prohlis greifen. Nun steht in einem Raum des Familienzentrums ein Schrank mit Fächern und Glastüren. Darin stapeln sich große und kleine Teller, Kaffeepötte und Wassergläser.

Aussortiert und verpoltert

"Wir starten mit jeweils vierzig Teilen. Erfahrungsgemäß wird diese Größenordnung für die meisten Festivitäten gebraucht", erklärt Kristin. Einige Fächer hat sie frei gelassen, denn sie rechnet mit weiteren Spenden. Auch Töpfe und Pfannen nimmt sie an, allerdings nicht für den Verleih. "Solche Dinge gebe ich für Flüchtlinge weiter, die sich gerade eine eigene Wohnung einrichten."

Wer sich Leihgeschirr abholt, hat nicht zwingend zu wenig Porzellan. "Es war auch schon jemand hier, der sagte: Meine Schwiegermutter kommt zu Besuch, und wir haben nichts Einheitliches im Schrank", erinnert sich Kristin. Für solche Fällt hält sie sogar ein ganzes Service parat. Auch recht überraschende Anfragen erhält sie, zum Beispiel von Leuten, die Gemüse fermentieren wollen und für das Gefäß, das sie benutzen, unbedingt einen saugend passenden Teller als Deckel suchen. Ganz besonders Bewusste fragen an, ob sie aus Kristins Fundus alle Teile aussortieren dürfen, die leicht angeschlagen sind, um sie für eine Hochzeit zu verpoltern. Inzwischen bietet sie von sich aus diese Glücksbringer an.

Kristin Hofmanns Konzept soll sich noch weiter verbreiten. In Dresden-Plauen startet sie im November einen Geschirrverleih, in Cotta und Klotzsche sucht sie Mitstreiter und Räume. Unterstützung bekommt sie unter anderem über das Projekt "Zukunftsstadt", dem sie ihre Website verdankt, auf der sich Interessenten über "Tellertausch und Gläserrücken" informieren können.

Im engen Aus-Tausch zu leben, nennt Kristin Hofmann ein "Privileg der Großstadt", in der die Wege zueinander kurz sind. Doch ländliche Gegenden hat sie nicht abgeschrieben. Irgendwann, in 20 Jahren vielleicht, hofft sie auch dort auf ein umweltschonendes Hand-in-Hand.