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Lokführer in Dresden: „Wir wollen uns doch keine Millionen in die Taschen stopfen!“

GDL-Chef Claus Weselsky wird am Dresdner Hauptbahnhof von seinen Kollegen wie ein Star gefeiert. In seiner Rede schwört er sie auf einen längeren Arbeitskampf ein – und gibt ihnen ein Versprechen.

Von Jonas Niesmann
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Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, bei seiner Kundgebung vor dem Hauptbahnhof in Dresden.
Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, bei seiner Kundgebung vor dem Hauptbahnhof in Dresden. © Jürgen Lösel

Um Punkt 9 Uhr kommt Claus Weselsky über den Vorplatz des Dresdner Hauptbahnhofs geschritten, den Kragen seines Mantels gegen den schneidenden Wind hochgeschlagen. Er wird mit begeistertem Applaus empfangen. Ungefähr 300 Menschen stehen auf dem Platz, Zugbegleiter, Lokführerinnen, Werkstattpersonal, alle in grünen Westen mit der Aufschrift GDL auf dem Rücken.

„Unser Claus“, sagt der Veranstaltungsleiter und schaut dabei liebevoll zu Weselsky hinüber, „unser Claus ist pünktlich, aber wir warten noch auf unsere Kollegen aus Chemnitz.“ Die Kollegen reisen mit der Bahn an – und die sei heute leider verspätet. Die Ironie bringt ihn selbst ein bisschen zum Lachen.

Wie den Kollegen aus Chemnitz geht es dieser Tage wohl jedem, der sich in einen Bahnhof wagt. Seit Mittwoch streikt die Lokführergewerkschaft GDL, bis Montag soll es noch weitergehen. Sechs Tage Chaos, es ist der längste Streik in der Geschichte der Bahn. Die Passanten am Dresdner Bahnhof nehmen es trotzdem gelassen. Eine Rentnerin aus Hamburg hat spontan auf den FlixBus umgebucht. Für die Forderungen der Lokführer hat sie Verständnis: „Die haben bestimmt keinen leichten Job“, sagt sie. „Da finde ich 35 Stunden pro Woche und ein bisschen mehr Geld fair.“

35 statt 38 Stunden Wochenarbeitszeit, das ist die zentrale Forderung der GDL. Dazu kommen gut 550 Euro mehr Lohn und 3000 Euro Inflationsausgleichsprämie. Die Bahn hat dazu bisher kein Angebot vorgelegt, dass Claus Weselsky auch nur verhandlungsfähig erscheint. Während also in ganz Deutschland die Züge stillstehen, nutzt der Chef der Lokführergewerkschaft die Zeit, um jeden seiner dreihundert Kollegen per Handschlag zu begrüßen. Er schiebt sich durch die Menge, lacht, hört zu, posiert für Selfies. Ein junger Mann reckt neben ihm die Faust in die Höhe. Claus Weselsky ist eine Art Nelson Mandela der Bahnmitarbeiter.

Weselsky: "Nieten in Nadelstreifen"

Als die Chemnitzer Kollegen endlich da sind, tritt Weselsky ans Mikrofon. Es ist ein Heimspiel für ihn. „Mit vielen der hier Anwesenden bin ich groß geworden, als Lokführer“, beginnt der gebürtige Dresdner seine Rede. Nach der Eisenbahn, sagt er, habe man damals die Uhr stellen können. Bei Regen und Schnee sei sie gefahren, pünktlich und zuverlässig. Er hebt die Stimme: „Alles Eigenschaften, die uns diese Nieten in Nadelstreifen kaputtgemacht haben!“ Tosender Beifall, Trillerpfeifen und wehende Fahnen. Schnell wird klar: Den Eisenbahnern geht es um mehr als faire Bezahlung und eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit. Ihre Wut richtet sich auch die Vorstände der Deutschen Bahn, und wenn er die „tote Hosen“ oder „Erbsenzähler“ nennt, gefällt das der Menge.

Streikende GDL-Mitglieder haben sich am Freitag vor dem Dresdner Hauptbahnhof versammelt.
Streikende GDL-Mitglieder haben sich am Freitag vor dem Dresdner Hauptbahnhof versammelt. © Jürgen Lösel
Hier hielt GDL-Chef Claus Weselsky  eine Kundgebung ab.
Hier hielt GDL-Chef Claus Weselsky eine Kundgebung ab. © Jürgen Lösel
Weselsky sieht derzeit keinen Grund zur Fortsetzung von Tarifverhandlungen.
Weselsky sieht derzeit keinen Grund zur Fortsetzung von Tarifverhandlungen. © dpa/Robert Michael
Der Gewerkschaftsboss veranstaltet gerade den mit Abstand längsten Arbeitskampf im laufenden Tarifstreit bei der Bahn.
Der Gewerkschaftsboss veranstaltet gerade den mit Abstand längsten Arbeitskampf im laufenden Tarifstreit bei der Bahn. © Jürgen Lösel
Er gibt sich siegesgewiss.
Er gibt sich siegesgewiss. © dpa/Robert Michael

Weselsky spricht darüber, wie die Bahn seit ihrer Privatisierung immer mehr vor die Hunde gegangen sei, und er spricht auch über Geld. Nicht das Gehalt, dass die GDL fordert, und nicht das Geld, dass bei der Bahn für Dienstkleidung oder Instandhaltung fehlt – sondern über die Millionengehälter, die die Bahnvorstände einstreichen. „Wer eine so miese Eisenbahn in diese Zeiten stellt, hat keine Boni verdient!“, ruft Weselsky ins Mikrofon.

Seit Beginn der Tarifverhandlungen hat die Bahn drei Angebote vorgelegt. Weselsky kritisiert, hier bewege man sich „nur im Millimeterbereich.“ Das neue Angebot sei eine Unverschämtheit: Eine optionale 37-Stunden-Woche, allerdings mit entsprechend reduziertem Gehalt und nur, falls genügend Personal da ist.

Tarifstreit: Wenig Spielraum für Kompromisse

Gegenüber Gedankenspielen aus der Politik, das Streikrecht einzuschränken, gibt Weselsky sich kämpferisch: „Wer glaubt, dass wir Eisenbahnerinnen und Eisenbahner uns in die Hosen machen: Nichts dergleichen wird eintreten“, sagt er mit beschwörender Stimme. „Ich wünsche unseren Fahrgästen nicht, dass irgendjemand ausloten will, wie lange wir als GDL durchhalten.“

Und er hat auch ein Versprechen mitgebracht an diesem kalten Freitagmorgen vor dem Dresdner Hauptbahnhof. „Der Tarifvertrag wird in der Qualität unterschieben werden, die wir fordern!“, ruft Weselsky seinen Kollegen zu.

Davon in zukünftigen Verhandlungen abzurücken, dürfte ihm nach einer so eindeutigen Ansage schwerfallen. Dass er bei seiner Kernforderung keine Kompromisse machen will, bestätigt er nach seiner Rede auch Sächsische.de. „Alles andere als die geforderten 35 Stunden ist ein No-Go“, betont er. Dass dies keine abstruse Forderung ist, würden auch die erfolgreichen Tarifabschlüsse mit 18 anderen Bahnunternehmen zeigen. „Sie können niemandem erklären, warum das nicht bei der DB möglich sein soll.“ Die GDL sei der Bahn bereits entgegengekommen, als sie die Übergangszeit zu den kürzeren Arbeitszeiten verlängert habe. Erst Anfang 2028 soll laut dem neuen Lösungsvorschlag die Reduzierung auf 35 Stunden abgeschlossen sein.

Auch unter den anwesenden Lokführern herrscht Einigkeit darüber, dass 35 Stunden pro Woche nicht zu viel verlangt sind. „Wir machen uns kaputt im Schichtdienst“, sagt einer von ihnen. Die gewonnene Zeit würde für ihn Lebensqualität bedeuten, Zeit, die er mit seiner Familie verbringen könnte. "Wir wollen uns doch keine Millionen in die Taschen stopfen", sagt der junge Lokführer und klingt ein bisschen verzweifelt. „Es geht hier um drei Stunden!“