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Prozess in Dresden: Tankstellenräuber wieder verurteilt

Ein 20-Jähriger hat im November in einer Dresdner Tankstelle geschossen, um auf sich aufmerksam zu machen. Es war nicht sein erster Überfall. Doch die Kassiererin war nicht beeindruckt.

Von Alexander Schneider
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Eine Tankstelle wie diese war das Ziel eines jungen Räubers, der nun vor dem Amtsgericht Dresden stand. Er hatte erst einen Schuss abgegeben und dann die Kassiererin bedroht. Allerdings erfolglos.
Eine Tankstelle wie diese war das Ziel eines jungen Räubers, der nun vor dem Amtsgericht Dresden stand. Er hatte erst einen Schuss abgegeben und dann die Kassiererin bedroht. Allerdings erfolglos. © Symbolfoto: Anja Beutler

Dresden. Der junge Angeklagte spricht kaum hörbar. Berichtet, dass er in Cossebaude eigentlich einen Konsum überfallen wollte. Doch da sei ihm zu viel Personal im Markt gewesen. Also habe er sich die Total-Tankstelle in der Dresdner Straße ausgeguckt. Er sei in den Shop gegangen. Unauffällig maskiert mit einem Mund-Nasen-Schutz und bewaffnet mit einer Schreckschuss-Pistole Typ "Walther P 22", einem Klappmesser mit langer Klinge und einem Teleskopschlagstock. Er habe eine Zeit lang überlegt, so der 20-Jährige. Voller Adrenalin habe er wenig mitbekommen. Dann feuerte er ins Warenregal. So wollte er die Kassiererin erschrecken.

In seinem Prozess vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Dresden geht es an diesem Donnerstag um versuchte besonders schwere räuberische Erpressung. Der Angeklagte legt ein umfassendes Geständnis ab und schildert, was sich an jenem 30. November 2022 ereignete, als er gegen 20.50 Uhr die Tankstelle ausrauben wollte. 300 bis 1.000 Euro habe er sich erhofft, gibt er zu. Sein Hartz-IV-Geld war alle, er sei klamm gewesen.

Er habe extra nicht in die Decke geschossen, damit die Frau nicht sieht, dass er keine scharfe Waffe hat. "Kasse auf!", "Geld raus!", rief er. Doch die 59-jährige Sabine R. hatte er mit dem Schuss ins Regal nicht beeindruckt. "Du kriegst kein Geld", soll die Frau geantwortet haben, ehe sie den Alarmknopf drückte. Offenbar hatte die resolute Verkäuferin den Räuber mehr erschreckt, als er sie. Der Maskierte flüchtete. Die Polizei war da schon alarmiert. Was der Täter nicht mitbekommen hatte: Tankende Autofahrer hörten den Schuss und wählten den Notruf.

Der Räuber wurde wenig später in der Nähe gefasst. Ein alter Bekannter. Bereits 2019 hatte er als Jugendlicher ein Dresdner Lotto-Geschäft überfallen und dafür eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten erhalten. Die musste er bis August 2021 im Jugendgefängnis Regis-Breitingen bis auf den letzten Tag absitzen.

Ein Leben lang Außenseiter

Der Angeklagte hatte offenbar nie eine Chance auf ein "normales" Leben. Aufgewachsen bei Bautzen, Sohn einer verwahrlosten "Messi"-Familie, zwei jüngere Brüder, oft gab es weder Wasser noch Strom. Zu Hause erlebte er Gewalt, draußen wurde er gemobbt, schon in der Kita und der Grundschule war er Außenseiter. Ärger mit den Jugendämtern, Probleme mit Hilfsangeboten, Straftaten, Schulabbruch: Irgendwann wird er gegen seinen Willen nach Dresden verlegt, weil niemand mit ihm zurechtkommt. Dort genoss er erstmals "Freiheiten", nahm noch mehr Drogen, dann der Lotto-Überfall.

Der Schweißer-Pass, den er in der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen erfolgreich geschafft hatte, scheint das einzig Positive in seinem Leben gewesen zu sein. Über das Schweißen spricht er dann auch merklich lauter und in zusammenhängenden Sätzen. Doch nach seiner Entlassung ging der alte Schlendrian wieder los: Alkohol, Drogen, Geldnot. Er lebte in einem Übergangswohnheim, erhielt dann eine eigene Wohnung, war schon damit überfordert. Einen Job hatte er nicht, und so konnte er auch nichts aus seiner Schweißer-Befähigung machen.

Den Tatort in Cossebaude habe er gewählt, weil er dort in der Nähe als Jugendlicher in einer Hilfeeinrichtung gewesen sei, sagt der junge Mann. Die Schreckschusspistole, für die er keine Erlaubnis zum Führen hatte, habe er sich samt Munition bereits im August 2022 in einem Geschäft am Elbepark für knapp 200 Euro gekauft. "Für Silvester", behauptet der Mann.

Zeugin: "Wir sind doch nicht in Amerika"

Die 59-jährige Kassiererin ist die einzige Zeugin, die das Gericht noch vernimmt. Der Täter habe "ewig" am Kühlregal mit den Getränken gestanden, sagt sie. Für sie ein normaler Kunde, die Mund-Nasen-Bedeckung sei normal gewesen, sie habe die Maske nicht mit einem anstehenden Raubüberfall in Verbindung gebracht. Als der Täter aus dem Verkaufsraum gelaufen war, sei sie hinterher und habe die Kunden vor der Tür gefragt, wohin er gelaufen sei.

Warum sie dem bewaffneten Mann kein Geld herausgegeben habe? Sie habe nicht darüber nachgedacht. "Das ging alles so schnell", sagt die Frau und fügt hinzu, dass sie sich hinter der Corona-Schutzscheibe sicher gefühlt habe. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine scharfe Waffe war. Wir sind doch nicht in Amerika." Dass es doch gefährlich gewesen sei, habe sie erst im Nachhinein registriert. Erst aus der Zeitung habe sie erfahren, dass der Angeklagte auch ein Messer dabei hatte. Die Polizei habe sie getadelt, weil sie sich gefährdet hat.

Das Gericht verurteilt den Heranwachsenden zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Der Vorsitzende Richter Wolfgang Blümbott sagte, die geschädigte Kassiererin sei letzten Endes ein "Schutzengel" für den Angeklagten gewesen: Wenn die Frau ihm tatsächlich Geld ausgehändigt hätte, wäre seine Strafe weit höher ausgefallen.

Im Erwachsenen-Strafrecht steht auf eine vollendete schwere räuberische Erpressung eine Mindeststrafe von fünf Jahren. Andererseits, und das wertete das Schöffengericht positiv für den 20-Jährigen, habe er die Frau nicht auch mit seinen anderen Waffen angegriffen. Der Staatsanwalt hatte für die Tat eine Jugendstrafe in Höhe von drei Jahren und drei Monaten gefordert, Verteidiger Thomas Zeh dagegen maximal zwei Jahre und sechs Monate. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Angeklagte hofft nun auf eine Sozialtherapie in der Haft, wie es die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe empfahl, und darauf, seinen längst abgelaufenen Schweißerpass zu erneuern.