SZ + Feuilleton
Merken

Semperoper und ein Computer starten ungewöhnliches Opernprojekt

Dresdens Semperoper bereitet eine Musiktheater-Produktion vor, die es so noch nie gab. Erstmals komponiert, textet, singt und spielt eine künstliche Intelligenz vor Publikum.

Von Bernd Klempnow
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Wie komponiert ein Computer? Vielleicht so wie Mozart?
Wie komponiert ein Computer? Vielleicht so wie Mozart? © 123rf

Neue Horizonte: Die Semperoper verlässt tradierte Wege des klassischen Musiktheaters. Für den Start der Spielzeit 2022/23 bereitet das Traditionshaus eine Musiktheater-Produktion vor, in der eine künstliche Intelligenz phasenweise Komposition, Libretto und Interpretation autark und live erfindet. Es wäre weltweit die erste Oper dieser Art, die vor Publikum entsteht und bei jeder Aufführung anders klingt und aussieht. Die Premiere von „chasing waterfalls“ ist für den 3. September geplant. Die Vorbereitungen laufen.

Wer ist der Kopf des Projekts?

Der Berliner Regisseur, Choreograf und Medienkünstler Sven Sören Beyer hat in Abstimmung mit dem Chefdramaturgen der Semperoper Johann Casimir Eule das Projekt initiiert. Beyer wurde an der Palucca Schule in Dresden und der Schauspiel-Hochschule „Ernst Busch“ ausgebildet. Er ist dafür bekannt, dass er mit seinem Künstlerkollektiv phase7 performing.arts inszenatorisch mediale und hochtechnologische Mittel mit Tanz, Sprache und Musik zu verbinden versucht. Dabei setzt er etwa Realtime Software, Drohnen und das räumliche Audiowiedergabeverfahren Wellenfeldsynthese ein. Letzteres erzeugt Wellenfronten, die von einem virtuellen Punkt ausgehen und so virtuelle akustische Umgebungen schaffen. Das Ergebnis kann eine besonders imposante Inszenierung sein. Beyer hat schon Auftragswerke von Theatern wie der Deutschen Oper Berlin sowie Großinszenierungen etwa für die Europäische Kulturhauptstadt Stavanger realisiert.

Gibt es kein richtiges Libretto?

Doch, auch wenn der Computer live textet. Für die Konzeption dieser Oper wurde die Schriftstellerin Christiane Neudecker gewonnen, die sich zudem mit multimedialen Events für Wissenschaft und Kultur beschäftigt. Für ihr Libretto hat sie ebenfalls mit KI-Textgeneratoren experimentiert. Mehrere preisgekrönte Videokünstler und Designer realisieren die visuelle Darstellung von „chasing waterfalls“.

Die neuartige Opernproduktion könnte Ki-Fans anziehen. Ob sie schlangestehen?
Die neuartige Opernproduktion könnte Ki-Fans anziehen. Ob sie schlangestehen? © Sven Ellger

Was kommt auf den Besucher zu?

Derzeit gehen die Macher von einer 70-minütigen Aufführung aus. Sie ist für sechs Sänger und Sängerinnen, eine virtuelle Stimme und ein Kammerorchester konzipiert. Für den computergenerierten Gesang wird die Stimme der norwegischen Sopranistin Eir Inderhaug digital eingespeist. Neben den KI-generierten Klangpassagen und elektro-akustischen Passagen eines Berliner Experimentalstudios sollen gewohnte klassische Opernelemente zum Tragen kommen. Der Hongkonger Künstler und Modern-Spezialist Angus Lee ist Co-Komponist und steht als Dirigent auch am Pult der Sächsischen Staatskapelle.

Gibt es nur was auf die Ohren?

Das Publikum wird laut Semperoper einen bildgewaltigen Aufführungsrahmen erleben. Visuelle Höhepunkte sollen eine Wasserfallinstallation und eine über der Bühne hängende acht Meter hohe kinetische Lichtskulptur aus LED-Panels sein. Darüber hinaus sei das Publikum eingeladen, als Teil der Szenografie mitzuwirken. Dafür werden die Gesichter freiwilliger Besucher und Besucherinnen vor jeder Aufführung mittels 3-D-Face-Scan aufgenommen und anschließend in einer KI-Modifikation in das Bühnenbild integriert.

Warum dieses Experiment?

Ob sich tatsächlich überzeugende neue Horizonte der Opernproduktion öffnen, ist ungewiss. Intendant Peter Theiler jedenfalls sagt: „Wir freuen uns, dass wir dem KI-Standort Sachsen mit diesem innovativen Projekt einen weiteren, kulturellen Zugang zu dieser hochaktuellen Schlüsseltechnologie und einen Impuls für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema künstliche Intelligenz bieten können.“ Insgesamt drei Aufführungen sind vorerst geplant: am 3., 8. und 11. September. Von Dresden aus geht dann die Produktion nach Hongkong zum New Vision Arts Festival. Anlässlich der Uraufführung veranstaltet die Semperoper am 11. September mit T-Systems Multimedia Solutions das Symposium „Künstliche Intelligenz oder Wo und wer spielt in Zukunft die Musik?“.