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Turbulenzen beim Prozess gegen Rechtsextremisten

Nach knapp zwei Jahren wird im Prozess gegen drei Rechtsextremisten plädiert. Doch dann bricht eine Schöffin zusammen.

Von Alexander Schneider
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Im November 2018 hatte der Prozess gegen weitere Unterstützer der "Freien Kameradschaft Dresden" am Landgericht Dresden begonnen. Der Hauptangeklagte René H., hier mit seinem Verteidiger Peter Fricke, verdeckt sein Gesicht hinter einem Aktenordner.
Im November 2018 hatte der Prozess gegen weitere Unterstützer der "Freien Kameradschaft Dresden" am Landgericht Dresden begonnen. Der Hauptangeklagte René H., hier mit seinem Verteidiger Peter Fricke, verdeckt sein Gesicht hinter einem Aktenordner. © Archivfoto: Benno Löffler

Dresden. Die Generalstaatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen, Anwälte üben massive Kritik an den Angeklagten und ihren Verteidigern – die Plädoyers, der vorletzte Akt im Prozess gegen drei Dresdner Rechtsextremisten, wäre nach knapp zwei Jahren zähen Verhandelns auch ohne das tragische Ereignis vom Mittwochmittag spektakulär genug.

Seit November 2018 befasst sich eine Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden mit Mitgliedern beziehungsweise Unterstützern der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“. Diese kriminelle Vereinigung ist für zahlreiche Übergriffe und Anschläge, die teilweise gemeinsam mit Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ begangen wurden, im Jahr 2015 verantwortlich.

Kommende Woche sollte eigentlich das Urteil fallen – doch am Mittwochmittag erlitt eine Schöffin in der Kantine des Justizzentrums einen schweren Kollaps. Es war der 103. Verhandlungstag. Die Frau brach nach einem turbulenten Vormittag mit Plädoyers der Nebenklage-Vertreter in der Mittagspause zusammen. Notarzt und Rettungsdienst wurden alarmiert, die Frau in eine Klinik gebracht.

Als nach dem Mittag die Schlussvorträge der Verteidiger beginnen sollten, konnte der Vorsitzende Richter Thomas Mrodzinsky den Prozessbeteiligten nur mitteilen, dass die Verhandlung bis Freitag unterbrochen werde. In Abhängigkeit des Gesundheitszustands der Schöffin sei dann zu entscheiden, wie es weitergeht. Inzwischen gibt es jedoch einen neuen Stand. Der Freitagstermin wurde abgesagt. Nun soll am Montag geklärt werden, ob die Termine - am Montag, Dienstag und Donnerstag - für Plädoyers, letzte Worte und Urteil ausreichen, oder ob die Kammer weitere Sitzungstage finden muss.  

Wann kommt der letzte Akt?

Die Hauptverhandlung wäre jedoch auch durch einen – im schlimmsten Fall – kompletten Ausfall der Laienrichterin nicht gefährdet, weil die Kammer angesichts eines sich abzeichnenden Mammutprozesses vorsorglich einen sogenannten Ergänzungsschöffen eingesetzt hatte. Der Mann, der an jedem Verhandlungstag mit am Richtertisch saß, könne im Ernstfall einspringen.

Allerdings, so der Vorsitzende, sei zunächst zu prüfen, ob die Schöffin nicht doch ihr Ehrenamt weiter wahrnehmen könne. So ist also unklar, ob es wie zunächst geplant am Donnerstag zum letzten Akt, der Urteilsverkündung kommt, oder ob weitere Verhandlungstage erforderlich sind.

Es ist ein in jeder Hinsicht spektakuläres Verfahren gegen Dresdner Neonazis. In wechselnden Beteiligungen sollen die Männer unter anderem an den Ausschreitungen in Heidenau und einem Angriff auf eine Dresdner Flüchtlingsunterkunft im August 2015, an einem Überfall auf ein alternatives Wohnprojekt in Übigau im Oktober 2015 und bei den Ausschreitungen von mehr als 200 Rechtsextremen und Hooligans in Leipzig-Connewitz im Januar 2016 teilgenommen haben.

Die beiden Hauptangeklagten René H. (34) und Christian L. (31) sind seit September vergangenen Jahres auch Angeklagte in einem zweiten Prozess am Landgericht Dresden, wo ihnen vorgeworfen wird, beim Dresdner Stadtfest im August 2016 gemeinsam mit Dutzenden weiteren dunkel gekleideten und teilweise vermummten Tätern gezielt Flüchtlinge angegriffen zu haben, die das Stadtfest am Neustädter Elbufer genossen hatten.

Etwa zehn Menschen wurden mit massiven Tritten gegen den Kopf zum Teil lebensbedrohlich verletzt, darunter auch ein Schwerbehinderter. Es war die mit Abstand folgenschwerste Tat, was die Verletzungsfolgen angeht. Die Generalstaatsanwalt hatte L. sogar wegen versuchten Mordes angeklagt, doch die für Tötungsdelikte zuständige Schwurgerichtskammer war dem nicht gefolgt.

Security-Unternehmer mit Reisegruppe

Christian L. ist mehrfach einschlägig wegen politisch motivierter Gewalttaten vorbestraft. Zurzeit sitzt er in Strafhaft für einen Überfall auf Andersdenke am Rande einer rechtsextremen Demo am 1. Mai 2015 in Saalfeld/Thüringen. Dorthin soll er mit einer sogenannten „Reisegruppe 44“ gefahren sein – eine Gruppe von Freunden und Mitarbeitern René H.s. Die „44“ steht für den vierten Buchstaben im Alphabet – also „DD“ für Dresden.

René H. ist nicht vorbestraft und saß von Ende 2017 bis Juli dieses Jahres in Untersuchungshaft. Davor war er Chef einer eigenen Sicherheitsfirma und auch Mitarbeiter in der Security-Firma seines Verteidigers Thomas Moschke, wodurch das Mandats-Verhältnis schon zu Beginn dieses Prozesses ein Geschmäckle hatte. Einer der Gründe: Einige Gewalttaten, für die andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung „FKD“ längst verurteilt wurden, fanden im Herbst 2015 auf dem Rummelplatz in der Pieschener Allee statt – wo Security-Leute des Anwalts Moschke eingesetzt waren.

Auch Peter Fricke, H.s zweiter Verteidiger, ist nicht unumstritten. Er verteidigte einen Mann, der im März 2018 am Landgericht Dresden unter anderem wegen seiner Mitwirkung an den Stadtfest-Überfällen verurteilt wurde. Allerdings wird H. in seinem Stadtfest-Prozess nicht auch noch von Fricke vertreten.

Hohe Forderungen der Generalstaatsanwaltschaft

Die Generalstaatsanwaltschaft forderte für René H. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. H. habe nach Überzeugung der Ankläger unter anderem an den Ausschreitungen in Heidenau und an dem Überfall in Übigau mitgewirkt, wo rund 20 Täter ein Wohnprojekt, die sogenannte Mangelwirtschaft, auf Initiative der Gruppe Freital mit Pflastersteinen und illegalen Böllern angegriffen hatte.

Für Christian L. forderte der Staatsanwalt eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, in der die Verurteilung aus Thüringen bereits enthalten ist, die L. derzeit schon absitzt. L. habe sich an den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz beteiligt, mehr sei ihm nicht nachzuweisen.

Für René V. (35), den dritten Angeklagten, wurden zwei Jahre und neun Monate Haft gefordert. Er zähle zum engeren Kreis der FKD und sei auch in Connewitz dabei gewesen.

René H. bestreitet, die FKD unterstützt zu haben, und er bestreitet auch seine Mitwirkung an Gewalttaten. Seine Verteidiger argumentierten zuletzt etwa, dass H. von Rico K., einem der Freitaler Rechtsterroristen, der sich während seines Prozesses Ende 2017 eine mildere Strafe versprochen habe, angeschwärzt worden sei. Damals war es um einen Verdächtigen gegangen, von dem als "der große Leubener" gesprochen wurde.