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Wie Dynamo von der Wende überrollt wurde

Vor 30 Jahren ging alles ganz schnell: Die historischen Veränderungen trafen auch den Fußball. Die letzte Oberliga-Saison geriet zu einem Durcheinander.

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Fans feiern Dynamos Qualifikation für die Bundesliga.
Fans feiern Dynamos Qualifikation für die Bundesliga. © dpa

Von Jens Mende

Nicht nur in Magdeburg, Strausberg und Leipzig, sondern auch auf Malta und in Rom wurde 1990 die Auflösung des DDR-Fußballs entschieden. Die Auswirkungen reichen hinein bis in die Gegenwart. „Die Einheit war absehbar, so war meine Vorstellung: Alles so schnell wie möglich“, berichtet Hans-Georg Moldenhauer, der die Fußball-Wende maßgeblich mitgestaltet hat, von der turbulenten Zeit.

Hans-Georg Moldenhauer (l.) und der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger
Hans-Georg Moldenhauer (l.) und der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger © dpa

Während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit seinem damaligen Präsidenten Hermann Neuberger und auch die alten DDR-Funktionäre noch eine längere Übergangsphase für notwendig hielten, entwarf der Forschungsingenieur damals ein Blitzprogramm zur Fußball-Einheit. In seiner Heimatstadt Magdeburg, wo sich Fußball-Vertreter der DDR-Bezirke ohne die Verbandsoberen trafen, stellte Moldenhauer seinen Zehn-Punkte-Plan vor.

Glücksfall für Sammer und Kirsten

Kurz danach auf dem Verbandstag des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV), am 31. März 1990, erhielt der ehemalige Torwart des 1. FC Magdeburg die meisten Stimmen und wurde neuer Präsident. „Manchmal wird man was, was man gar nicht werden will“, sagt Moldenhauer 30 Jahre danach: „Ich bin dann zum Fernsehen zu einem Interview gefahren. Meine Frau ist zu Hause fast umgefallen, als sie mich da gesehen hat.“

Für Moldenhauer, den Verband und die Klubs von Rostock über Jena und Dresden bis Zwickau ging die Zeit der Veränderungen und der Wirrungen dann erst richtig los. Die größten Stars wie Andreas Thom, den Bayer Leverkusen für 2,8 Millionen D-Mark und einen späteren Zuschlag von einer weiteren Million vom DDR-Serienmeister BFC Dynamo (FC Berlin) kaufte, wanderten schnell zu den Bundesliga-Spitzenvereinen ab.

„Die Wende hat uns natürlich ganz neue Möglichkeiten eröffnet“, sagt Matthias Sammer, der im Sommer 1990 von Dynamo Dresden zum VfB Stuttgart wechselte und dann zum ersten Spieler aus der DDR in einer wieder gesamtdeutschen Nationalmannschaft wurde. „Das war für alle ein Glücksfall, die dann den Sprung in die Bundesliga geschafft haben“, meint Sammers Dynamo-Mitspieler Ulf Kirsten, vor drei Jahrzehnten von Bayer-Manager Reiner Calmund nach Leverkusen geholt.

So viele Ostvereine wie möglich in Liga eins und zwei

Am Rand des Uefa-Kongresses im April 1990 auf Malta lotete Moldenhauer mit Neuberger die möglichen Perspektiven für die DDR-Klubs aus. Es war ein Zehn-Stunden-Gespräch in der Hotel-Suite des DFB-Bosses. Der letzte DFV-Präsident wollte „so viel wie möglich“ Ostvereine in die 1. und 2. Bundesliga bringen und schlug eine neue „Deutschland-Liga“ vor oder wenigstens vier DDR-Mannschaften in der Bundesliga und zehn Ost-Teams in der 2. Bundesliga. Doch so weit ging die Vereinigungsfreude beim DFB dann doch nicht.

Der Dresdner Heiko Scholz (l.) und Sven Köhler vom Chemnitzer FC liefern sich 1990 einen Zweikampf.
Der Dresdner Heiko Scholz (l.) und Sven Köhler vom Chemnitzer FC liefern sich 1990 einen Zweikampf. © imago/Camera 4

Moldenhauer geriet mehr und mehr zwischen die Interessen. Neuberger wollte vereinigte Ligen nicht vor 1992 und auch die EM- sowie Olympia-Qualifikation noch mit zwei deutschen Auswahl-Mannschaften spielen. „Wir im Fußball bestimmen nicht das Tempo“, war Moldenhauers Antwort. Die DDR-Sportklubs und Betriebssportgemeinschaften, die von Staat, Polizei, Nationaler Volksarmee und großen Betrieben finanziert wurden, verloren plötzlich ihre wirtschaftliche Grundlage. Von den 898 in der 1. und 2. DDR-Liga registrierten Spielern wollte ein Großteil nur schnell im Westen Geld machen. DDR-Trainer verlangten, dass Moldenhauer einen Transferstopp in die Bundesligen durchsetzt.

„Die Menschen haben die Mauer eingerissen. Da konnten wir doch keine neue Fußball-Mauer errichten“, sagt der inzwischen 78-jährige Rentner. Bei der Fifa-Tagung vor der WM 1990 in Rom, zu der viele Fans aus dem Osten endlich reisen durften, meldete Moldenhauer die DDR-Nationalteams offiziell ab. Quasi als Gegenzug brachte er für die letzte Oberliga-Saison noch mal vier Europapokal-Startplätze mit, was ein Jahr später beispielsweise Stahl Eisenhüttenstadt zwei historische Spiele gegen Galatasaray Istanbul bescherte.

2020 schlechtere Quote als 1990

Die Vereinigungs-Formel hieß nun zwei plus sechs. Der DDR-Meister (Hansa Rostock) und der Tabellenzweite (Dynamo Dresden) der Saison 1990/1991 durften direkt in die aufgestockte Bundesliga. Der Dritte bis Sechste der 14 Klubs der DDR-Oberliga kamen in der 2. Bundesliga unter. Der Siebente bis Zwölfte mussten sich mit den beiden Staffelsiegern der 2. DDR-Liga um zwei restliche Zweitliga-Plätze im vereinten Fußball-Deutschland streiten. „Angesichts der damaligen Situation stehe ich heute noch dazu“, sagte Moldenhauer.

Was folgte, waren nervöse und vielfach überforderte Vereinschefs, finanzielle Husarenritte, ein Zuschauerschwund, da die Fans lieber in die Bundesliga-Stadien reisten, große Sicherheitsprobleme und ein hart umkämpfter Wettbewerb. „In drei Jahren ist der Ostfußball tot“, hatte Hansa Rostocks Trainer und Meistermacher Uwe Reinders damals schnell prophezeit. „Wir hatten ein tolles Durcheinander, weil jeder dachte, eine zentrale Steuerung brauchen wir nicht mehr“, skizzierte Moldenhauer die Lage vor dem Anpfiff der letzten Saison.

Torsten Gütschow freut sich gemeinsam mit einem Fan.
Torsten Gütschow freut sich gemeinsam mit einem Fan. © dpa

Noch immer klafft zwischen dem Fußball im Osten und Westen eine Lücke, die nur teilweise durch die weiter unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten bedingt sind. „Nicht alles hat mit der Vereinigung zu tun“, sagt Sammer, einer der Protagonisten auf dem Feld. Am 20. November 1990 löste sich der DFV in Leipzig auf und wurde einen Tag später als Nordostdeutscher Fußball-Verband in den DFB integriert. Die letzte Erstliga-Saison wurde am 25. Mai 1991 als Nordost-Oberliga beendet.

Von den 14 Klubs der DDR-Oberliga und den 36 Vereinen der 2. Liga spielen inzwischen nur der 1. FC Union Berlin in der Bundesliga und der FC Erzgebirge Aue (ehemals Wismut) in der 2. Bundesliga. Der später gegründete Klub RB Leipzig arbeitete sich außerdem in die nationale Spitze vor. Die Ost-Quote liegt inzwischen weit unter der Ausgangslage von 1990. „Ich habe damals keine blödsinnigen Dinge gefordert“, bemerkt Moldenhauer, der später stellvertretende Präsident des DFB wurde. (dpa)