Merken

Eine eisige Herausforderung

Conny Prasser gehört zu den Hartgesottenen, die bei unter fünf Grad ins Wasser steigen – und sogar um WM-Titel kraulen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Ronald Bonß

Von Michaela Widder

Es ist ein kalter Wintertag im Dezember. Conny Prasser packt die Sachen für den See. Es überrascht nicht, dass die Moritzburgerin an der nahe gelegenen Tongrube Steinbach der einzige Badegast ist. Sie hat sich eingemummelt, als wolle sie auf die Skipiste mit ihrer dicken Wollmütze, der Skihose und dem Wärmemantel. Bloß nicht schon vorher frieren.

Vom Eise befreit... Conny Prasser kämpft erst mal mit einer dicken Eisschicht, bevor sie ins Wasser kann.
Vom Eise befreit... Conny Prasser kämpft erst mal mit einer dicken Eisschicht, bevor sie ins Wasser kann. © Ronald Bonß

Badewetter ist schon seit drei Monaten nicht mehr. Wenn andere zum Schwimmen wieder in die beheizte Halle gehen, dann startet ihre Saison. Conny Prasser ist Eisschwimmerin. An diesem Mittag steht sie vor einer besonderen Herausforderung, der kleine See ist zugefroren. Für den Fototermin muss sie improvisieren. Zwei Minuten später steht sie nur im Badeanzug und mit Handschuhen und Schaufel da, fängt an, die dicke Eisschicht freizuhacken.

Minus fünf Grad Celsius Lufttemperatur zeigt das Thermometer an, das Wasser ist 1,7 Grad kalt. „Das ist schon sehr frisch“, meint selbst Conny Prasser, als sie halb im Wasser, halb auf dem Eis liegt, als wolle sie es sich gerade in einem heißen Whirlpool gemütlich machen.

Nicht nur für Warmduscher ist schwer vorstellbar, dass man in solchen eisigen Gefilden überhaupt schwimmen kann. „Man muss das natürlich trainieren, aber 50 Meter hält jeder durch.“ Die längste Distanz im Wettkampf, die Königsstrecke, sind die 1 000 Meter. Dabei konnte Conny Prasser bis 2007 gar nicht kraulen. Nach dem Umzug nach Moritzburg dauerte es nicht lange, und sie war vom Triathlonvirus infiziert. Denn in der Gemeinde gehört ein Wochenende im Juni allein den Athleten des Ausdauerdreikampfs. Seit ein paar Jahren ist die Hobbysportlerin beim traditionellen Schloss-Triathlon die Verpflegungschefin und hat mittlerweile selbst zwei Langdistanzen in Roth erfolgreich beendet. Doch seit vorigem Sommer steht ihr Rennrad auf dem Dach der ausgebauten Scheune. „Der Trainingsaufwand war zu groß, außerdem bin ich keine gute Läuferin.“ Durch Zufall hat sie im Schwimmen, ihrer liebsten Disziplin, eine Nische gefunden. Während das Eisbaden rund um die Welt eine große Tradition hat, ist das Eisschwimmen noch eine junge Wettkampfdisziplin. 2015 fand im russischen Murmansk die erste WM statt, für die nächste Anfang Januar in Burghausen hat sich Conny Prasser schon bei den German Open qualifiziert. „Als es vorigen Herbst kälter wurde, bin ich einfach weiter im See geschwommen“, erzählt sie vom Herantasten an die ungewohnten Temperaturen.

Beim Eisschwimmen muss das Wasser kälter als fünf Grad sein. Und erlaubt sind nur ein normaler Badeanzug und eine Badekappe, kein Neopren. Auch das Eincremen ist verboten. „Weil die Haut zu glitschig ist, falls man doch gerettet werden muss.“ Um den Körper ein wenig vor der Kälte zu schützen, futtern sich manche Athleten sogar eine Fettschicht an und sind im Winter zehn bis 15 Kilo schwerer. Doch kalt wird es jedem irgendwann.

„Nach den ersten paar hundert Metern wird es immer schwerer, sich zu bewegen. Die Muskulatur zieht sich zusammen, und am schlimmsten verkrampfen die Hände“, erzählt die 40-Jährige. Man könne zusehen, wie alle Schwimmer deutlich langsamer werden. „Am Ende kann es schon mal passieren, dass ich nicht mehr klar denken kann, da habe ich sogar mal die Orientierung verloren.“

Unter den Extremsportarten ist das Eisschwimmen eine der extremsten. Die Frage nach dem Gesundheitsrisiko muss sich Conny Prasser oft gefallen lassen. Bis zu fünf Minuten im Eiswasser sprechen Ärzte noch von Abhärtung, solange man nicht unter Bluthochdruck leidet. Doch über 1 000 Meter ist sie länger als eine Viertelstunde unterwegs, die absolute Schmerzgrenze. „Zehn Minuten im kalten Wasser zu schwimmen, ist wie zwei Stunden im warmen Becken“, meint die Extremschwimmerin. Beim Ice-Cup in Burghausen hat die gebürtige Freibergerin erst kürzlich ihren Altersklassen-Weltrekord auf 16:28 Minuten verbessert.

Gefährlicher als im Wasser sei die Zeit danach, meint Prasser, weil dann die Körperkerntemperatur zunächst noch weiter absinkt. Die Schwimmer kommen meistens krebsrot aus dem Wasser, die Haut pikst wie tausend Nadelstiche. „Schnell anziehen ist dann wichtig, man hat höchstens zwei drei Minuten Zeit, bevor das große Zittern losgeht.“ Es sei immens wichtig, sich langsam zu erwärmen und dafür länger. Manche Veranstalter stellen auch eine Infrarotkabine oder einen Badezuber, also ein Becken mit warmem Wasser, auf.

Da das Eisschwimmen doch mit einem gewissen Risiko verbunden ist, würde sie auch nie allein ins Wasser gehen. Mit Kathrin Döring und Ralf Reichelt hat Conny Prasser noch zwei Verrückte gefunden, die ab und an mit trainieren. Falls keiner von ihnen Zeit hat, steht zumindest ihr Mann Tobias am Ufer.

Weil die Seen nun fast überall zugefroren sind, hat sie mit der Stadt Dresden eine Vereinbarung getroffen und darf sich auf die WM im Freibad Prohlis, wo extra Wasser eingelassen wurde, vorbereiten. „Das ist gut, weil es dort ein 50-Meter-Becken gibt. Ein Kilometer sind dort auch Hardcore“, meint Prasser, die bei einem Insolvenzverwalter in Dresden arbeitet.

Am kommenden Wochenende steht die nächste Station des Ice-Cups – diesmal in der Donau – auf dem Programm. In Wien wird Conny Prasser über 300 sowie 1 000 Meter an den Start gehen. Die Szene der Wettkampfschwimmer in Deutschland sei klein. Ein Pionier im Eisschwimmen ist der frühere Olympiateilnehmer Christof Wandratsch, der schon 1991 bei der EM Gold über 25 Kilometer im Freiwasser gewonnen hat und später als Extremschwimmer immer wieder in den Medien auftauchte. In seiner Heimatstadt Burghausen treffen sich im Januar die Hartgesottenen zur WM, sie kommen unter anderem aus Russland, Finnland, Südafrika und Großbritannien. Dass die Sportart mal olympisch wird, ist wohl eher ein Wunschdenken. Wenn, wollen die Eisschwimmer auf jeden Fall bei Winterspielen antreten.

www.connyprasser.de