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Falsche Behandlungen – durch zu wenig Information

Kliniken wissen oft nicht, was ambulante Ärzte verordnen, zeigt eine Barmer-Analyse. Ein Modellversuch soll das ändern.

Von Stephanie Wesely
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Ärzte in Krankenhäusern wissen häufig nicht genau, welche Medikamente ihre Patienten bereits einnehmen. Vor allem bei Patienten, die mindestens fünf Medikamente gleichzeitig benötigen, gibt es Informationsmängel, die gefährliche Folgen haben könne
Ärzte in Krankenhäusern wissen häufig nicht genau, welche Medikamente ihre Patienten bereits einnehmen. Vor allem bei Patienten, die mindestens fünf Medikamente gleichzeitig benötigen, gibt es Informationsmängel, die gefährliche Folgen haben könne © Hans-Jürgen Wiedl/dpa

Jedes Jahr müssen mehrere Millionen Menschen ins Krankenhaus, die mindestens fünf Arzneimittel gleichzeitig einnehmen. Gerade bei diesen besonders gefährdeten Patienten kommt es häufig zu Behandlungsfehlern, die schlimmstenfalls lebensbedrohlich sein können. Denn einerseits fehlten den Klinikärzten oft wichtige Informationen zum Patienten, zum Beispiel zu seiner Medikation. Andererseits würden Patienten und weiterbehandelnde Ärzte nach der Entlassung aus der Klinik nicht ausreichend über Therapieänderungen informiert. Das sind die Ergebnisse des Arzneimittelreports der Barmer, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Demnach verfügten nur 29 Prozent der Patienten bei der Klinikaufnahme über den bundeseinheitlichen Medikationsplan, der Informationsverluste zwischen Ärzten verhindern soll. Seit Oktober 2016 hat jeder gesetzlich Versicherte, der drei oder mehr Medikamente regelmäßig einnimmt, ein Anrecht darauf. 17 Prozent dieser Polypharmazie-Patienten hatten gar keine aktuelle Aufstellung ihrer Medikamente dabei. Dies hat eine Umfrage unter rund 2.900 Barmer-Versicherten über 65 Jahren ergeben. Vorhandene Pläne waren zudem häufig unvollständig. „Es ist unverständlich, dass die Aufnahme in ein Krankenhaus so fehleranfällig ist“, sagt der Vorstandsvorsitzende Christoph Straub.

Nicht altersgerechte Medikamente

Wie aus dem Report weiter hervorgeht, fließen die Informationen auch während des Klinikaufenthalts nur bruchstückhaft. So gaben mehr als 30 Prozent der Befragten an, dass ihnen die Arzneimitteltherapie dort nicht erklärt worden sei. Jeder dritte Patient mit geänderter Therapie habe vom Krankenhaus keinen aktualisierten Medikationsplan erhalten. „Die Therapie kann aber nur erfolgreich sein, wenn der Patient sie versteht und mitträgt. Dazu muss er sie erklärt bekommen, zumal sie nach einem Krankenhausaufenthalt häufig noch komplexer wird“, sagte der Autor des Arzneimittelreports, Professor Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken.

Problem ist außerdem, dass die Anzahl der Patienten, die eine nicht altersgerechte Arzneimitteltherapie erhalten, nach der stationären Behandlung sogar höher ist als davor. Die Grundlage für diese Einschätzung liefert die sogenannte Priscus-Liste. Sie enthält Wirkstoffe, die alte Menschen nicht mehr bekommen sollten, weil sie schlechter vertragen werden oder wirken.

"Von moderner Versorgung meilenweit entfernt"

Auch 40 Prozent der befragten Allgemeinmediziner waren dem Report zufolge mit den Informationen durch das Krankenhaus unzufrieden. So seien nur bei jedem dritten Patienten Therapieänderungen begründet worden. Und das, obwohl 41 Prozent der betroffenen Versicherten nach der Entlassung mindestens ein neues Arzneimittel bekommen haben. Die Kontinuität der Versorgung werde dadurch erreicht, dass das Arzneimittel vom Krankenhaus mitgegeben wird, statt es auf einem Rezept zu verordnen. Nur bei jedem 20. Patienten jedoch war das der Fall. Umfassende Informationen von der Klinik zum weiterbehandelnden Arzt seien laut Grandt vor allem bei älteren, mehrfach Erkrankten mit mehreren Arzneimitteln unerlässlich. „Von einer modernen sektorenübergreifenden Versorgung ist unser Gesundheitswesen meilenweit entfernt“, sagt er.

Die Schuld geben die Studienautoren aber weniger dem einzelnen Arzt, als dem unzureichend organisierten und digital unterstützten Prozess einer sektorenübergreifenden Behandlung. Entscheidend sei, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Daher habe die Barmer TOP ins Leben gerufen. Die Abkürzung steht für „Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“ und stellt den behandelnden Ärzten aus Krankenkassendaten alle relevanten Informationen zur Verfügung, sofern der Patient sein Einverständnis gegeben hat. Dazu gehörten Vorerkrankungen und eine Liste aller verordneten Arzneimittel. Zudem arbeiteten Ärzte und Apotheker im Krankenhaus zusammen. Dort wird der Medikationsplan des Patienten vervollständigt oder erstellt und die Therapie erklärt. Das Projekt soll im Oktober an 15 Kliniken bundesweit starten und vier Jahre laufen. Ziel sind weniger Reibungsverluste. „Welche Kliniken sich beteiligen, steht noch nicht fest. Die Gespräche laufen noch“, sagt Barmer-Sprecher Thorsten Jakob.