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Dieser Mann will Hebamme werden

Noch ist Jonas Küppers eine Ausnahme im Kreißsaal. Er studiert Hebammenwissenschaft. Das Berufsbild wandelt sich, auch in Sachsen. Väter freut das. Doch wie sehen das die Frauen?

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Jonas Küppers will Hebamme werden – und übt schon mal.
Jonas Küppers will Hebamme werden – und übt schon mal. © Friso Gentsch/dpa

Die Geburt hat 17 Stunden gedauert, ein gesunder Junge. Mutter erschöpft, Vater fix und fertig, beide überglücklich. So weit, so normal? Klares Nein. Denn im Kreißsaal ist „die“ Hebamme ein Mann. Genauer: Jonas Küppers, 30 Jahre alt und in Deutschland eine absolute Ausnahmeerscheinung in dem Frauenberuf.

Schätzungen gehen von rund 24.000 Hebammen bundesweit aus. Der sächsische Hebammenverband hat 785 Mitglieder, dazu 29, die noch in Ausbildung sind. Zum Männer-Anteil gibt es keine verlässlichen Zahlen. Die Angaben schwanken laut Wissenschaftlerin Cornelia Schwenger-Fink zwischen sechs und 30 Männern. Ein Einziger ist es im Freistaat, sagt die Vorsitzende des sächsischen Hebammenverbandes, Stephanie Hahn-Schaffarczyk.

Viel positive Resonanz

Jonas Küppers ist Student der Hebammenwissenschaft an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld – und Feuer und Flamme für den Beruf. „Das Thema Hebamme hatte ich eigentlich nie auf dem Schirm. Ich wollte immer in den medizinischen Bereich und hatte schon eine Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht.“ Als eine gute Freundin Hebamme wird, ist sein Interesse geweckt. Er macht ein Praktikum im Kreißsaal. „Ich wollte wissen, wie das abläuft und ob ich umkippe. Schon nach der ersten Geburt war ich total geflasht, euphorisiert.“ Der Düsseldorfer bewarb sich an vielen Hochschulen. „Es war schwer, an einen Platz zu kommen.“

Gerade wird die Hebammenausbildung bundesweit akademisiert, umgestellt auf ein Bachelorstudium mit viel Praxisanteil. In Sachsen kann man in Dresden und Leipzig Hebammenwissenschaften studieren. „Durch das wissenschaftliche Arbeiten wird die Arbeit in den Kreißsälen mehr auf eine Augenhöhe mit den Ärzten gehoben“, so Hahn-Schaffarczyk – ein Punkt, den viele Hebammen lange vermisst hatten.

Für Jonas ging es 2020 mit Vorlesungen an der FHM in Bielefeld und parallelem Arbeiten in einer Partnerklinik in Herford los: Kreißsaal, Wochenbettstation, etwas Gynäkologie und Kinderstation. Bei drei freiberuflichen Hebammen war er im Rahmen des Studiums bisher tätig. „Die haben das ziemlich gefeiert, dass mal ein Mann kommt.“ Er bekomme von Kolleginnen wie Müttern viel positives Feedback. Die Geburtshilfe fasziniert ihn. Die Begleitung der werdenden Mütter mit ihren Sorgen und Ängsten liegt Jonas, das mitunter therapeutische Verhältnis kennt er als Heilpraktiker. Ist das Neugeborene da, betreut der 30-Jährige Väter und Mütter in der frühen Familienphase, weist sie ein ins Baden, Wickeln, Anziehen, unterstützt die Frauen in der Stillzeit. Macht er als Mann grundsätzlich etwas anders als seine Kolleginnen? Das sieht er so nicht. Aber von einigen erfahrenen Hebammen habe er die Rückmeldung erhalten, dass er besonders vorsichtig und behutsam sei.

Üben an der Neugeborenen-Puppe.
Üben an der Neugeborenen-Puppe. © Friso Gentsch/dpa

Wissenschaftlerin Schwenger-Fink glaubt, dass der Beruf mit der Akademisierung „interessanter und attraktiver“ wird – auch für Männer. „Es eröffnen sich europaweite Berufsperspektiven, bessere Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten sowie möglicherweise auch eine höhere Anerkennung des Berufsbildes“, sagt die Studiengangsleiterin Hebammenwissenschaft an der FHM in Hannover. Nachwuchs sei dringend nötig. Es fehle deutschlandweit an Hebammen, sodass manche Kreißsäle vorübergehend abgemeldet oder ganz geschlossen werden müssten, vor allem in kleinen Krankenhäusern.

An den FHM-Standorten Bielefeld und Hannover ist Jonas bislang der einzige männliche Student. Das werde nicht so bleiben, das Berufsbild befinde sich im Wandel, ist Schwenger-Fink überzeugt. So sei der Beruf Hebamme für Männer etwa in Italien nicht unüblich. In jüngster Zeit erhielten geburtshilfliche Teams zunehmend Unterstützung durch männliche Hebammen-Kollegen aus dem europäischen Ausland. Zu einer vielfältigen Gesellschaft gehöre, dass der Beruf Hebamme „ganz selbstverständlich von allen Geschlechtern ausgeübt wird.“

Spürt Jonas Gegenwind? Von „alteingesessenen“ Hebammen würden Männer im Job wohl auch skeptisch beäugt. Bislang sei er selbst aber nur ein einziges Mal auf Abwehr gestoßen. „Im Kreißsaal hat mich eine ältere Hebamme gefragt, wie denn das bitte funktionieren soll bei Vaginaluntersuchungen.“ Jonas verweist auf Frauenärzte. Viele Gynäkologen sind männlich – und deren Rolle werde auch nicht infrage gestellt. Manche Kliniken und Hebammenpraxen lassen Männer bei intimen Untersuchungen von einer weiblichen Kraft begleiten. Eine einheitliche Linie gebe es nicht.

Problem Verdienst

„Ich denke schon, dass sich Frauen auf männliche Hebammen einlassen können. Das zeigt ja auch das Beispiel Niederlande – dort gibt es sehr viele männliche Hebammen“, sagt Stephanie Hahn-Schaffarczyk. Barbara Blomeier, Vorsitzendes des Landesverbands der Hebammen NRW, beobachtet: „Die Erfahrungen mit männlichen Hebammen sind durchweg positiv.“ Doch es müsse den Frauen offenstehen, lieber eine weibliche Hebamme haben zu wollen.

Wahlfreiheit für die werdenden Mütter findet auch Jonas selbstverständlich. Und er berichtet: „Im Kreißsaal ist der werdende Vater oft froh, dass noch ein Mann da ist. Männer sind mit der Situation manchmal überfordert. Die Frau hat Schmerzen und sie selbst können nicht helfen. Die Männer halten sich dann gern an mich.“

Um mehr Männer in den Beruf zu holen, müsse man mehr Wissen vermitteln und an die Vergütung ran, rät FHM-Dekan Rainer Beurskens. „Auch heute noch ist der Mann oft Haupternährer der Familie. Da spielt das Gehalt eine entsprechende Rolle.“ Jonas will nach dem Studium weitere Erfahrung im Kreißsaal sammeln und sich später selbstständig machen. „Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, warum nicht mehr Männer Hebamme werden wollen. Vielleicht trauen sie sich einfach nicht.“ (dpa mit rnw/sp)