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Ist Aussetzen vorm Heim eine angemessene Strafe?

Der Vorfall in Dorfhain, wo Eltern ihr Kind vor einem Heim abgesetzt haben, hat viele Menschen in Sachsen entsetzt. Was das mit Kinderseelen macht, erklärt der Klinikdirektor und Psychiater Veit Rößner.

Von Sylvia Miskowiec
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Blick auf das Kinderheim in Dorfhain: Hier hatten Eltern zeitweise einen Achtjährigen allein abgesetzt
Blick auf das Kinderheim in Dorfhain: Hier hatten Eltern zeitweise einen Achtjährigen allein abgesetzt © SZ/Veit Hengst

Herr Prof. Dr. Rößner, weil es etwas gestohlen hat, setzen Eltern ihr Kind als Strafe vor einem Kinderheim aus und fahren weg. Auch wenn sie wenig später wiederkamen – was macht eine solche Bestrafung mit einem Kind?

Eine dauerhafte und stabile Beziehung zwischen Eltern und Kind ist wichtig, das zeigt sich auch an der Bedeutung, die sie in der UN-Kinderrechtskonvention bekommt. Dort steht, „dass das Kind zur vollen und harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit in einer Familie und umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen sollte“. Entsprechend postuliert die Konvention auch ein Recht, „seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden“. Natürlich kann in Einzelfällen eine Trennung das geringere Übel darstellen. Aber auch dann sind die Umstände, die zu einer Trennung führen und die Art und Weise des gelegentlichen oder regelmäßigeren Kontakts von großer Wichtigkeit.

Daher kann eine solche nicht nur angedrohte, sondern Realität gewordene Bestrafung ein Kind ganz schön aus der Bahn werfen. Generell können derartig traumatische Erfahrungen zum zentralen Angelpunkt werden - sowohl für das Kind, aber auch für dessen Kinder. Diese Erfahrungen sind in der Lage, das Denken, Fühlen, Erleben und Handeln grundlegend negativ und teilweise auch fast gegensätzlich zu beeinflussen. Auf der einen Seite können Kinder beispielsweise Ängste, Schamgefühle und Schuldgefühle entwickeln. Diese Erfahrungen können im weiteren Leben als Jugendliche und Erwachsene die Fähigkeit, eine eigene Paarbeziehung einzugehen, beeinträchtigen. Auf der anderen Seite können die traumatischen Erfahrungen aber auch dazu führen, dass Kinder Partner oder später eigene Kinder sehr eng an sich binden und eine altersentsprechende Entwicklung, etwa was die persönliche Autonomie betrifft, damit zu sehr einschränken.

Die genauen Folgen für den Einzelnen hängen natürlich von weiteren Faktoren wie Geschlecht, Alter bei Traumatisierung, Art und Häufigkeit der Traumatisierung etc. ab. Glücklicherweise kommt ein nicht kleiner Teil schneller oder langsamer über solche Erlebnisse hinweg. Wir sind teilweise überrascht, wie stark Kinder hier sein können. Wir nennen das Resilienz. Aber auch das Gegenteil müssen wir beobachten. So haben zum Beispiel auch nicht wenige unserer Patienten unter zehn Jahren die völlig unbegründete und viel zu starke Angst, sie würden von ihren Eltern getrennt. Auch was die Häufigkeit der Diagnose „Bindungsstörung“ betrifft, zeigt sich, wie wichtig eine stabile Eltern-Kind-Beziehung gerade für jüngere Kinder ist.

Prof. Dr. Veit Rößner ist Klinikdirektor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Dresden und SZ-Kolumnist.
Prof. Dr. Veit Rößner ist Klinikdirektor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Dresden und SZ-Kolumnist. © Agentur/Matthias Rietschel

Was können Eltern tun, wenn das Kind klaut – und was vermeiden?

Hier spielen unendlich viele Faktoren wie Alter, Geschlecht, bisherige Lerngeschichte, Persönlichkeit etc. eine Rolle. Daher zwei generelle Punkte zum Thema Bestrafen und Belohnen. Erstens helfen Bestrafungen alleine wenig und können manchmal sogar das Gegenteil bewirken. Zweitens fühlen sich die allermeisten unserer Kinder glücklicherweise so sicher und gesehen, gepaart mit einer Tendenz zur materiellen Überversorgung, dass es immer öfter schwierig ist, noch eine ausreichend motivierende Belohnung zu finden, die geeignet erscheint. Auch haben sich rund um das Thema Erziehung das Wissen stark erweitert und die Sprache verändert, wenn auch nicht immer zum Guten.

Generell wird mehr gesprochen und nachgedacht über ein gut abgestimmtes System aus Belohnung, Ermahnung, Entzug von Belohnung, aber auch Strafarbeit oder Verbot. In der heutigen Zeit ist ein Punkteplan bei Problemen wie zum Beispiel Stehlen das Mittel der Wahl. Das Punktesystem dient dazu, positives Verhalten zu belohnen und negatives allmählich abzubauen. Neben einem solchen „Regelwerk“ spielt aber immer noch die persönliche emotionale Beziehung zum Kind eine Rolle - das eigene emotionale Verhalten eingeschlossen! Einfacher ausgedrückt: Man soll durchaus seinen Ärger zeigen und auch eine Zeitlang durch reduzierte Freundlichkeit und Zuwendung zum Ausdruck bringen. Hier darf man aber Dauer und Form keinesfalls übertreiben, sondern braucht Fingerspitzengefühl. Denn das Gespräch und die Beziehung zum Kind sind elementar wichtig, um seine Beweggründe weiter mitgeteilt zu bekommen und zu verstehen.

Wie zeitgemäß sind noch klassische Bestrafungen wie Hausarrest oder TV-Verbot?

Hausarrest oder TV-Verbot sind immer noch wichtige und handhabbare Konsequenzen, wobei Eltern natürlich überlegen müssen, was sich die Kinder bei einem TV-Verbot für Alternativen an Ablenkung suchen und suchen dürfen.